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Die Amateur-Aufpasser

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Die Nacht beginnt mit einer Eskalation. In einem Hauseingang zerrt ein junger, betrunkener Mann am Arm einer Frau. Sie kennt ihn, hat aber keine Lust auf ihn. Ein Freund des Betrunkenen schreitet ein, krallt sich in dessen Gesicht fest: „Ich hau dir gleich eine rein.“ Der Gewarnte lässt los, das Mädchen verschwindet. Wolfgang Ebel atmet durch. Der Mann mit dem kahlrasierten Kopf hatte sich schon neben den drei Streitenden aufgebaut, muss aber nicht eingreifen. Er dreht sich um, grinst. Sein Blick sagt: „Willkommen in Aachen.“

Der 57-Jährige ist Türsteher und betreibt eine Sicherheitsfirma. Außerdem ist er Initiator der Bürgerstreife, die neuerdings nachts in Aachens Innenstadt patrouilliert. Denn dort halten viele die Polizei für überfordert, zwischen 2012 und 2013 stieg die Zahl der Straßenraubdelikte um mehr als ein Viertel . Die Leute fürchten sich vor Gruppen, die an der Feiermeile Betrunkene von hinten niederschlagen, Handys und Geld rauben.




Einsatzort für Bürgerwehren: Bundesdeutsche Fußgängerzonen bei Nacht.

Nach dem ersten Oktoberwochenende, an dem sieben Menschen überfallen wurden, postete Ebel einen Aufruf auf Facebook: So könne es nicht weitergehen, wer wolle mit ihm Streife laufen? Viele Bürger unterstützten die Idee, andere warnten vor Rassisten, die von so einer Gruppe angezogen würden. Am nächsten Abend lief die Bürgerstreife zum ersten Mal los. Seitdem ist sie freitags und samstags unterwegs, von halb eins bis halb sechs, bis zu 20 Personen. Die Leute machen das in ihrer Freizeit. Sehen sie etwas Verdächtiges, rufen sie die 110 an. Notfalls, sagt Ebel, würde er jemanden auch festnehmen, bis die Polizei kommt. Dieses Recht haben Bürger, wenn sie Täter auf frischer Tat ertappen.


Wie in Aachen entstehen auch in anderen Städten in Nordrhein-Westfalen Bürgerwehren: In Harzheim bei Düren, Radevormwald und Mönchengladbach. Auch in Brandenburg haben sich mehrere Gruppen formiert. Nährboden ist ein Graubereich zwischen dem Wunsch nach Zivilcourage und der Versuchung von Selbstjustiz. In immer mehr Orten in Deutschland patrouillieren Menschen selbst, um Überfälle zu verhindern oder Einbrüche, deren Zahl zum Beispiel in Nordrhein-Westfalen und Brandenburg in den vergangenen Jahren dramatisch gestiegen ist. Egal wo, die Frage bleibt immer die gleiche: Sind Privatleute auf Streife gute Mitbürger, die auf andere aufpassen? Oder spielen da Menschen Sheriff, mit unlauteren Absichten? Das Gewaltmonopol müsse beim Staat bleiben, sagt jedenfalls die Polizei. Aus dem Aachener Präsidium heißt es, die private Streife behindere die Polizeiarbeit: Sie verdränge Täter nur, die dann von Zivilfahndern in der Innenstadt nicht mehr festgenommen werden könnten. Auch die Politiker im Stadtrat sind dagegen. Wer den Helden spielen will, kann schnell als Täter enden. Ein Sprecher der Aachener Polizei sagt: „Wenn man zu viert durch die Straßen geht, fühlt man sich stärker und greift eher ein, selbst wenn man gar nicht sollte.“


Nach dem Gezerre am Hauseingang trifft Ebel seine Streife vor einem Supermarkt am Marktplatz. Zehn Männer und Frauen in wetterfesten Jacken. Metzger, IT-Student, Kassiererin. Einer ist bei der Müllabfuhr. Warum er dabei ist? „Ich habe eine 19-jährige Tochter, die am Wochenende ausgeht.“ Die Innenstadt wird aufgeteilt, dann ziehen sie in drei Gruppen los.


Unauffällige, besorgte Bürger, das ist nur ein Teil der Gruppe. Der andere kennt sich mit Gewalt und Gegengewalt aus. Leute mit Kampfsport- und Türsteher-Erfahrung bilden den harten Kern. Dass er Sicherheitsunternehmer sei, habe mit der Streife nichts zu tun, beteuert Ebel. Viele aus der Gruppe würden sich aus der Schule kennen, in der er den Kampfsport Kuntao unterrichtet.


In dieser Nacht haben sie nicht wirklich etwas zu tun. Die jungen Partygänger sind altersgemäß betrunken. Einer trägt einen Hut in Hot-Dog-Form, zwei Jungs pinkeln hinter einen Baucontainer. Eine Gestalt setzt sich unter einem Denkmal eine Spritze. Ein junger Mann ruft vom Straßenrand nach Zigarettenblättchen. Er rollt etwas, das wie ein Joint aussieht. Ebel schüttelt den Kopf. Da kann die Bürgerstreife nicht helfen. Weil nichts passiert, können die Wächter erzählen. Marion ist Außendienstlerin, 51, schick gekleidet. Sie läuft mit, weil sie sich Sorgen um ihre Stadt macht. Große Sorgen. Man müsse aufeinander aufpassen. „Ich hüte ja auch die Katzen meiner Nachbarn.“


Jeder hat hier eine Geschichte zu erzählen. Von Gewaltopfern, die sie kennen oder von denen sie gelesen haben. Die alte Frau, die auf dem Friedhof vergewaltigt wurde. Die Busfahrerin, die verprügelt wurde, weil sie einem Fahrgast verbot, mit Döner einzusteigen. Und natürlich all die Überfälle. Sie haben Angst davor, dass der Staat die Kontrolle verliert – und Angst vor dem vermeintlich Fremden: Dass „Südländer“ und „Farbige“ hinter den Überfällen steckten, sagen mehrere, leise und eine Tonlage niedriger. Die Polizei widerspricht, sie sieht ein „völlig uneinheitliches Täterbild“. Ebel, der auf Facebook die AfD mag, sagt, man sei „unpolitisch, nicht rechts, nicht links.“


Das hat er auch dem Staatsschutz der Polizei erzählt. Der besuchte ihn zwei Tage nach der ersten Streife. Die Beamten gaben Ebel Vorgaben: „Keine Waffen, keine Uniformen.“ In der Stadt entspann sich eine Debatte: Hier Aachener, die die Bürgerstreife anfeuern, dort die Polizei, die von lediglich „gefühlter Bedrohung“ spricht und darauf verweist, dass die Gesamtzahl der Raubüberfälle noch unter der des Vorjahres liegt. Ein Polizeisprecher gibt allerdings zu, dass die Präsenz von Streifenwagen wegen der Diskussion früher verstärkt wurde als geplant – und dass die Beamten irgendwann die so angehäuften Überstunden abfeiern müssen.


Bisher war Ebels Streife vor allem mit Flanieren und Schauen beschäftigt. Einmal stellten sie sich zur Abschreckung neben einen Betrunkenen, der Geld abhob, während ihm „Gestalten“ auflauerten. Einmal begleiteten sie angetrunkene Mädchen aus dem Club eine einsame Straße entlang. Das war’s.


Auch wenn die Gruppe mit Politik nichts zu tun haben will: Rechte Aktivisten sehen Bürgerwehren – aggressivere Varianten von Bürgerstreifen – durchaus als Möglichkeit, sich in der Öffentlichkeit zu präsentieren. In islamfeindlichen Blogs wird zur Gründung entsprechender Gruppen aufgerufen – gegen den „muslimischen Mob“, wie es dort heißt. In Dortmund kündigte die Neonazi-Partei „Die Rechte“ im Sommer an, ihre Leute auf die Straße zu schicken. Die NPD rief 2013 zu einer Bürgerwehr im Berliner Stadtteil Hellersdorf auf, die Flüchtlinge und Linke schikanieren sollte. In Würzburg trat eine Bürgerwehr quasi paramilitärisch auf. Eine Frau aus der selbsternannten „Einsatzgruppe Lupus“ musste Geld zahlen, damit ein Verfahren eingestellt wurde, wegen Bildung einer bewaffneten Gruppierung und Amtsanmaßung. Sie war mit Pfefferspray bestückt und trug uniformartige blaue Kleidung mit einem Wolfsaufnäher. Von solchen Extremen ist die Gruppe in Aachen weit entfernt. Lammfromm sind hier aber auch nicht alle.


Steffen ist der Mann mit der Taschenlampe, er leuchtet durch den Park hinter dem Elisenbrunnen, verschrien als Junkie-Treffpunkt. Steffen ist groß, schwer, trägt dunklen Bart und Pferdeschwanz. Auch er hat früher „Türen gemacht“, stand also vor Discotheken und Bars. Später, während die Streife Pause bei McDonald’s macht, sagt er ganz offen, dass er nur darauf warte, auf der Straße angegriffen zu werden – und sich zu wehren. Nur wolle ihn keiner angreifen. „Leider“, sagt er und grinst. „Ich sehe nicht wie ein Opfer aus.“ Bürgerstreifen sind für manche also doch mehr als nur ein Dienst an der Allgemeinheit.




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