Als erstes großes Unternehmen in Europa setzt nun die Generali-Gruppe auf die elektronische Kontrolle von Fitness, Lebensstil und Ernährung. Für das sogenannte Telemonitoring kooperiert der Konzern mit dem südafrikanischen Versicherer Discovery. Discovery hat das Gesundheitsprogramm Vitality entwickelt, das Kunden mit Gutscheinen, Geschenken und Rabatten belohnt, wenn sie sich nur gesund verhalten. Das freilich wird überprüft.
Wer länger rennt, ist länger gesund - und zahlt dann weniger bei der Krankenversicherung.
Verbraucher, die sich für eine Lebens- oder Krankenversicherung nach dem neuen Modell entscheiden, müssen Generali regelmäßig Daten zu ihrem Lebensstil übermitteln. Das funktioniert mithilfe einer App, die Vorsorgetermine dokumentiert, Schritte zählt oder sportliche Aktivitäten misst. Auch gesunde Ernährung gehört zum Paket. „Damit stärken wir die Bindung zu unseren Kunden“, sagte Generali-Konzernchef Mario Greco vor Investoren. „Außerdem beeinflussen wir das Verhalten unserer Kunden, und gesündere Kunden sind besser für uns.“
In der ersten Stufe bekommen die Versicherten, die sich gesundheitsbewusst verhalten, Gutscheine für Reisen und das Fitnessstudio. Im nächsten Schritt sind Prämiennachlässe beim Versicherungsschutz möglich. Die neuen Angebote sollen in den nächsten zwölf bis 18 Monaten auch in Deutschland erhältlich sein.
Generali macht damit einen großen Schritt, um die persönlichen Daten von Kunden zu nutzen. Seit einiger Zeit gibt es dafür das Schlagwort „Big Data“. In diese Kategorie fallen auch Versuche von Versicherern, Daten über das Verhalten von Autofahrern mithilfe kleiner Sender im Wagen – den Black Boxes – zu sammeln und in ein Punktesystem für die Preisfindung umzuwandeln. In Deutschland ist die Resonanz bislang schwach, in Italien und Großbritannien sehr hoch.
Nicht nur Generali, auch Allianz, Axa und andere Versicherer arbeiten an solchen Projekten. Sie versprechen Kunden, ihnen bei einer gesünderen Lebensweise zu helfen. Alle Unternehmen betonen, dass sie nur Daten verwenden, die Versicherte ihnen freiwillig geben. Allerdings wollen die Gesellschaften ihre Klientel so genau wie möglich kennenlernen, um ihr einen individuellen Tarif anzubieten. Das Kalkül dabei: Wer gesund lebt, kostet den Krankenversicherern weniger Geld. Im Gegenzug erhalten willige Verbraucher Vergünstigungen. Umgekehrt gilt aber auch: Wer risikoreicher lebt, zahlt mehr. Das ist auch langfristig das größte Risiko des neuen Systems: Wer nicht bereit ist, seine Daten preiszugeben, dürfte künftig einen deutlich höheren Preis für seine Versicherung zahlen.
Einer der Vorreiter ist der amerikanische Krankenversicherer United Healthcare. Er bietet Kunden schon seit drei Jahren einen Preisnachlass an, wenn sie täglich eine bestimmte Anzahl an Schritten tun und das auch nachweisen können. Einen ähnlichen Weg geht jetzt Generali.
Verbraucherschützer sind skeptisch. „Wenn Versicherte individuelle Informationen preisgeben müssen, um rabattierte Angebote zu erhalten, sehe ich das sehr kritisch“, sagt Peter Grieble von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg. „Der Kunde weiß ja gar nicht, wie seine Daten im Konzern verarbeitet werden, und wer Zugriff darauf hat.“ Könne jeder Sachbearbeiter Informationen zu Gesundheitszustand oder Fahrweise abrufen, sei das aus Datenschutzgründen äußerst problematisch. Allerdings: Über den Gesundheitszustand weiß ein privater Krankenversicherer heute auch schon alles, weil er die Arztrechnungen und Rezepte für jeden einzelnen Kunden kennt.
Individualisierte Tarife bergen indes eine große Gefahr: Sie führen das Prinzip der Versicherung ad absurdum. Versicherer gleichen eigentlich verschiedene Risiken aus, zwischen vielen Kunden und auch über die Zeit. Das ist der Kern ihres Geschäfts. Mit den individualisierten Tarifen versuchen die Unternehmen nun, die „besten“ Risiken für sich zu gewinnen – in der Hoffnung, dass sich die Konkurrenten mit vielen „schlechteren“ Risiken herumschlagen müssen. Denn dann machen sie trotz Preisnachlässen noch einen höheren Gewinn. Felix Hufeld, oberster Versicherungsaufseher bei der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht Bafin, sieht die neuen Möglichkeiten zur Datenauswertung kritisch: „Wenn wir den Gedanken zu Ende denken, kann das letztlich zu einer Atomisierung des Kollektivs führen“, sagte Hufeld bei einer SZ-Fachkonferenz in Köln. Das bliebe nicht ohne Folgen für den Versicherungsgedanken an sich.