Rodionov ist dem deutschen Publikum kein Unbekannter. Seit Beginn der Krise um die Ukraine saß er in zahlreichen Talkshows des deutschen Fernsehens und durfte zur besten Sendezeit die Position Moskaus vertreten, während mitunter nicht ein einziger Vertreter der Ukraine in der Runde war. Das hindert Rodionovs Kanal nicht daran, zu behaupten, die etablierten Medien berichteten einseitig Russland-kritisch, andere Stimmen kämen im „Mainstream“ gar nicht zu Wort.
Russlands Präsident Putin in einem Interview des Senders "Russia Today".
Um die behauptete Einseitigkeit zu durchbrechen, hat der russische Auslandssender RT Anfang des Monats auch ein deutsches Angebot gestartet. Einstweilen als Portal im Internet mit täglich einer halben Stunde Video-Journal mit dem Titel Der fehlende Part. Ein richtiger Fernsehsender soll möglicherweise 2015 starten.
Was den Machern fehlt, wird nach den ersten Sendungen schnell klar. Es treten auf: Ken Jebsen, ehemals Moderator beim RBB, bis ihn der Sender wegen antisemitischer Äußerungen hinauswarf. Studiogast Rainer Rupp, Stasi-Spion unter dem Decknamen „Topas“, wirft seinerseits Angela Merkel und Joachim Gauck Stasi-Verstrickungen vor, an den langwierigen Ermittlungen zum Absturz von Flug MH17 über der Ukraine sind seiner Darstellung nach nicht die Separatisten schuld, die monatelang keine Ermittler an die Absturzstelle ließen, sondern der ukrainische Geheimdienst. Ein weiterer Gast: der Journalist Max Blumenthal, der unlängst Gregor Gysi bis auf die Toilette verfolgte.
Durch die Sendung führt Jasmin Kosubek, jung, hübsch und scheinbar unbedarft. Mit vielen „Ähms“ stottert sie sich durch die Sendungen, die mit den rasanten Kamerafahrten an die Anfänge des Jugendsenders Viva in den 90er-Jahren erinnern. „Und wie verdreht die deutsche Presse nun die ganze Geschichte?“, sagt sie und lässt den freien Journalisten Martin Lejeune, dem von Kollegen eine zu große Nähe zur Terror-Organisation Hamas vorgeworfen wird, seine Sicht auf den Vorfall mit Blumenthal erklären.
Um sich ein Bild von der Fundiertheit der anonym auf der Website veröffentlichten Artikel zu machen, genügt eine Probebohrung in einem beliebigen Text. Etwa in dem unter dem Titel „Brics top, Europa flop“. Das sei die Aussage des renommierten Wissenschaftlers Jim O’Neill, heißt es im Text. Der Euro habe im vergangenen halben Jahr zehn Prozent gegenüber dem Dollar eingebüßt. Dass die Währung des Bric-Landes Russland im gleichen Zeitraum ganze 26 Prozent gegenüber dem Dollar verloren hat, verschweigt der RT-Artikel. Die Quelle zur Aussage ist nicht verlinkt, lässt sich aber leicht finden: Ein Interview von O’Neill mit der Wirtschaftswoche. Darin sagt er gleich am Anfang: „Brasilien und Russland haben sich enttäuschend entwickelt.“ Brics top, Europa flop?
Eher scheint es so, dass sich das Alternativmedium RT gerne bei den Mainstream-Medien bedient, die Fakten aus dem Zusammenhang reißt, um sie dann mit eigenem Spin entstellt wiederzugeben.
Das ist nicht anders als beim Muttersender RT, der 2005 vom Kreml gegründet wurde, um die „Dominanz der angelsächsischen Nachrichtennetzwerke zu durchbrechen“, wie Wladimir Putin damals erklärte. Der zur staatlichen Mediengruppe Rossija Segodnja (Russland Heute) gehörende Kanal sendet rund um die Uhr auf Englisch, Spanisch, Arabisch und Russisch. Nach eigenen Angaben erreichen seine Programme mehr als 700 Millionen Menschen in mehr als 100 Ländern der Welt.
Vor dem Hintergrund des Konflikts um die Ukraine rüstet der Kreml nun nach. Das Budget für das kommende Jahr wurde um 41 Prozent auf 262 Millionen Euro erhöht. Ein eigener Kanal für Großbritannien ist gestartet, Frankreich und Deutschland sollen folgen. Bis es so weit ist, überbrückt Der fehlende Part im Internet. Mit wackeliger Optik und improvisiert wirkenden Dialogen fällt die Sendung weit hinter die mit hohem technischen Aufwand gemachten und professionell präsentieren Sendungen des internationalen Mutterkanals zurück. Aber auf ein Publikum, das sich ohnehin größtenteils via Youtube und Blogs informiert, kann das durchaus attraktiv wirken.
Vor der Kamera treten als Reporter durchweg junge Leute auf: Der 24-Jährige Reporter Nicolaj Gericke ist direkt von der Uni zur Videoagentur Ruptly gekommen. Kosubek ist früher nie journalistisch aufgefallen und die Reporterin Lea Frings war bisher nur als Mitglied der Linkspartei im Kreisverband Köln aktiv.
Der Intendant des deutschen Auslandssenders Deutsche Welle, Peter Limbourg, sieht in Russia Today mehr als nur einen von vielen Konkurrenten. Er wolle „Putins Propaganda endlich Paroli bieten“ sagt er – durch Aufklärung. Die Deutsche Welle will er dafür als internationalen Informationssender stärken und auf englischsprachige Nachrichtensendungen setzen. „Wir wissen, dass wir mit englischsprachigen Sendungen mehr Menschen erreichen“, sagt Limbourg. „Schon seit Gründung der Deutschen Welle ist es unsere Aufgabe, gegen Propaganda anzugehen“, sagt er. Am 27. April will die Deutsche Welle mit einem neuen englischen Fernsehangebot starten.
Limbourg nimmt die russische Konkurrenz sehr ernst. Russia Today sei aktiv in Gebieten, die auch für die Deutsche Welle interessant seien – etwa den USA. „RT macht ein sehr lautes, sehr aggressives, sehr buntes Programm“, sagt er. Die technische Ausstattung sei gut, ebenso die Grafiken, auch die Moderatoren und Moderatorinnen hätten „einen kernigen Auftritt“. Die finanzielle Ausstattung der russischen Konkurrenz sei enorm. „Der Erfolg eines Medienangebots hängt ja nicht nur von den Inhalten ab, sondern auch davon, welche Frequenzen und Lizenzen man kaufen kann.“ Der Bundestag soll deswegen nach Wunsch von Limbourg mehr Geld geben und den Jahresetat für die Deutsche Welle erhöhen – zusätzlich zu den 280 Millionen Euro, die kürzlich genehmigt worden sind.
„Russia Today sagt selbst, dass es einen klaren Regierungsauftrag hat“, sagt Limbourg. „Sie wollen Putins Sicht der Dinge darstellen.“ Die Deutsche Welle fühle sich dem Meinungspluralismus verpflichtet. Die Expansion von RT, aber auch des arabischen Senders Al Jazeera oder des chinesischen CCTV dürfte die Deutsche Welle auch für die Berliner Politik wieder interessanter machen. Denn schließlich gilt es, im Wettbewerb der Meinungen und lautesten Stimmen nicht unterzugehen. Bisher sieht die Deutsche Welle im Vergleich zu den spektakulären Videos von Al Jazeera und dem lauten Meinungsjournalismus von RT ziemlich brav aus.