Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Gabriels stille Reserve

$
0
0
Bei klarem Wetter reicht der Blick von der Sophienhöhe bis nach Köln. Davor liegen die Äcker der fruchtbaren Jülicher Börde, hier und da stehen die monströsen Gerüste der Braunkohlebagger in Löchern so groß wie Seen. Und in der Ferne, wohin man auch schaut, die Wolkenfabriken: Niederaußem, Neurath, Frimmersdorf, Weisweiler. Einige der ältesten und einige der klimaschädlichsten Braunkohlekraftwerke der Republik – von der Sophienhöhe, einer Abraumhalde bei Aachen, hat man sie im Blick. Alle gehören dem Stromkonzern RWE. Alle sind Teil des Problems.



Wenn es nach Witschaftsminister Gabriel geht, sollen Kohlekraftwerke CO2-Emissionen einsparen.

Dieses Problem ist, je nach Sichtweise, mal 22 und mal 55 Millionen Tonnen Kohlendioxid groß. So viel sollen die Kraftwerke dazu beitragen, bis zum Jahr 2020 das deutsche Klimaziel zu erreichen. Schon jetzt ist klar: Ohne Einschnitte bei der Kohle wird das nichts. Im besten Fall landet Deutschland dann bei 35 Prozent, im schlechteren bei 32 Prozent weniger CO₂. Der Regierungsplan aber fordert minus 40Prozent bis 2020. Je nach Lücke müsste die Kohle mal mehr, mal weniger bringen.


Für diesen Montagnachmittag hat deshalb Sigmar Gabriel die Bosse der größten deutschen Stromkonzerne zu sich bestellt, per telefonischer Einladung. Der Wirtschaftsminister von der SPD will ihnen eine Idee erläutern, mit der es den ersten Kohlekraftwerken an den Kragen gehen könnte – auch solchen in Sichtweite der Sophienhöhe. Es ist ein raffinierter Plan, der die Verantwortung auf die Stromkonzerne abwälzt, dies aber per Gesetz. Gabriel versucht es, wie schon bei der Novelle des Ökostrom-Gesetzes im Januar, mit einer Überrumpelungstaktik. Bis nächste Woche Mittwoch soll der Kohleplan stehen.


Insgesamt 22 Millionen Tonnen Kohlendioxid sollen die Kraftwerke nach Gabriels Plan bis 2020 einsparen, fein säuberlich verteilt auf fünf Jahre. Macht jeweils 4,4Millionen Tonnen Kohlendioxid zusätzlich für jedes Jahr zwischen 2016 und 2020. „Die Kraftwerksbetreiber können frei entscheiden, wie sie die ihnen auferlegten Minderungsbeiträge dauerhaft erbringen“, heißt es in einem Papier, das Gabriels Leute für das Treffen am Montag vorbereitet haben. Sprich: Sie können frei wählen, ob sie dafür Kraftwerke abschalten oder einfach nur drosseln. Hauptsache, am Ende haben die Unternehmen 22 Millionen Tonnen Treibhausgase eingespart. „Damit wird ihnen ein Maximum an Flexibilität gewährt“, heißt es in dem Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt. Nur zum Vergleich: Allein die Kraftwerke rund um die Sophienhöhe stoßen im Jahr um die 80 Millionen Tonnen Kohlendioxid aus.


Der Plan ist noch nicht einmal eine Kehrtwende für Sigmar Gabriel. Der SPD-Chef hatte sich zuletzt mit Verve für die Kohle eingesetzt, aber immer diverse Hintertürchen offengelassen. Zwar hatte er gewarnt, nicht gleichzeitig aus Kohle- und Atomkraftwerken auszusteigen – aber das stand nie ernsthaft zur Debatte. Und natürlich ist es auch nicht Gegenstand des Planes, den er diesen Montag präsentieren will. Auch hatte Gabriel kategorisch ausgeschlossen, Kraftwerke per Gesetz abzuschalten. Der Plan sieht das auch nicht vor, wenngleich die „freie Entscheidung“ der Konzerne genau darauf hinauslaufen dürfte. Womöglich sogar mit Rückendeckung der Kohlegewerkschaft IG BCE.


Denn zu dem Plan gehört auch eine Spezial-Perspektive für abgeschaltete Kohleblöcke – als stille Reserve des deutschen Kraftwerksparks. Genau so eine Reserve schwebt nämlich Gabriels Leuten vor; für Zeiten, in denen Ökostrom und vorhandene Kraftwerke den Bedarf nicht überall decken können. Diese Reserve solle „erst nach Abschluss aller Marktgeschäfte eingesetzt“ werden, heißt es in Papieren aus dem Ministerium. Vorgehalten würde sie von den Netzbetreibern, finanziert von den Stromkunden. Die Belegschaften der betreffenden Kraftwerke hätten so noch einen Job, denn die Kessel müssen jederzeit einsatzbereit sein. Die Bundesregierung wolle dafür sorgen, dass „die Versorgung mit fossilen Kraftwerken gesichert bleibt“, heißt es in dem Papier, und dass „der Strukturwandel sozialverträglich gestaltet wird“. Außer dem Rheinland hängt vor allem die Lausitz an der Braunkohle.


Eigentlich hätte den Strukturwandel schon Europas Emissionshandel einläuten sollen. Seit 2005 deckelt er die klimaschädlichen Ausstöße der Kraftwerke. Die künstliche Knappheit sollte dafür sorgen, dass die Emissionen einen Preis bekommen: Die besonders klimaschädliche Braunkohle wäre dadurch teurer geworden, das sauberere Gas hingegen wettbewerbsfähiger. Doch die Knappheit blieb Theorie, in Wahrheit verdirbt ein massiver Überschuss die Preise. Frühestens im nächsten Jahrzehnt wird er schwinden. So ist der Aufpreis für die Kohle lachhaft gering und ohne jede Wirkung. Die Braunkohle boomt, rund um die Sophienhöhe dampfen die Schlote.


Gabriel will die Klima-Emissionen jetzt auch zur Grundlage des 22-Millionen-Tonnen-Plans machen. Denn die zwangsweise Einsparung soll sich, anders als frühere Vorschläge, nicht mehr an Alter und CO₂-Bilanz der Kraftwerke orientieren, sondern „auf fossile Kraftwerke gleichmäßig verteilt“ werden. Damit werden zwar auf Braunkohle-Konzerne wie RWE und Vattenfall die stärksten Einschnitte zukommen. Aber auch Unternehmen wie Eon, EnBW und manches größere Stadtwerk müssen Kraftwerke drosseln – eine Vorstellung, die einigen nicht recht behagt. Das Treffen, über das zuerst der Spiegel berichtet hatte, dürfte damit zum munteren Verteilungskampf zwischen den Konzernen werden. Keiner von ihnen wollte sich dazu vor dem Gespräch äußern.


Ohnehin bleibt die Frage, ob 22 Millionen Tonnen genug sind – schließlich liegen der Zahl die optimistischsten Annahmen für den Klimaschutz zugrunde. Die Grünen-Umweltpolitikerin Bärbel Höhn wittert schon ein „peinliches Ablenkungsmanöver“. Die Umweltorganisation BUND dagegen sieht einen ersten Schritt „zum Einstieg in den Ausstieg“ aus der Kohle. Nur reichten Gabriels 22 Millionen Tonnen leider noch nicht, sagt BUND-Chef Hubert Weiger. „Da geht mehr.“

Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345