Nicht alle wählen in der Schule Latein als Fremdsprache. In einigen Studiengängen müssen die Studenten das nachholen.
Jura und Medizin lassen sich heute ohne die Sprache studieren, hier reicht meist ein Kurs über Fachbegriffe. Mit der Bologna-Reform wurde an vielen Unis für Germanistik, mitunter Geschichte und Geisteswissenschaften im Bachelor der Latein-Nachweis gestrichen, erst im Master ist er häufiger fällig. Eine Bastion des Lateinischen ist eher noch das Lehramt: Für die Gymnasiallaufbahn in Geschichte und Religion, oft in Deutsch, Spanisch, Französisch. Für Englisch müssen Studenten meist zumindest Kenntnisse haben. Es herrscht ein Wildwuchs, je nach Universität und Bundesland. Mancherorts weichte die Politik die Latein-Pflicht aber ganz gezielt auf.
Nordrhein-Westfalen will nun den Nachweis für alle Sprachlehrer abschaffen und für Lehrer in Geschichte und Philosophie abmildern – außer die Kritiker setzen sich doch noch durch. Denn an Rhein und Ruhr prallen die Lager pro und kontra Latein gerade aufeinander. Ein Grundsatzstreit.
Im Schulministerium denkt man zumindest ungewöhnlich lange nach. Eine Expertengruppe im Auftrag der grünen Ressortchefin Sylvia Löhrmann hatte schon vor Längerem festgestellt, dass Latein im Lehramt zwar „hilfreich“ sei, aber „nicht unbedingt nötig“. Bis zum Jahresende wollte man eigentlich Details verkünden, ein Gesetz soll in der ersten Jahreshälfte 2015 in den Landtag kommen. Ein Termin sei noch nicht absehbar, die Sache werde weiter geprüft, teilt das Ministerium mit. Man folge ja nur einem bundesweiten Trend – dass gerade in NRW die Aufregung so groß ist und in anderen Ländern diese Entwicklung fast konfliktfrei abgelaufen ist, sei erstaunlich, heißt es in Regierungskreisen.
Anders sieht das der Altphilologenverband: Mit dem Streichen des Lateinischen für die Lehrämter verabschiede sich die rot-grüne Koalition in Düsseldorf „von einer über 1000-jährigen Bildungstradition in unserem Land“. Zur wissenschaftlichen Beschäftigung mit Fremdsprachen brauche man nun mal Latein. Wenn „qualitative Anforderungen und sogar das Menschenbild vom Zeitgeist abhängig gemacht werden“, herrsche am Ende „die reine Willkür“. Der Philosophische Fakultätentag, dem Vertreter der Geistes- und Sozialwissenschaften von mehr als 60 Hochschulen bundesweit angehören, arbeitet gerade an einer Resolution. Bei den Professoren, so ist zu hören, stört man sich besonders daran, dass die Abschaffung der Latinum-Pflicht der Fachwelt vom Staat verordnet wird. Auch die oppositionelle CDU im Landtag ist in Rage, sie wittert einen „Anschlag auf die Bildung“. Und polterte: Wisse die Ministerin denn nicht, dass man durch Latein das Denken lerne? „Man kann auch auf Deutsch denken lernen“, entgegnete Löhrmann.
Die Ministerin hat für die Pläne auch Anhänger, die Causa war gar extern losgetreten worden. Eine Petition von Bochumer Studenten gegen das Latinum hatte Tausende Unterstützer gefunden. Von Luxus-Wissen war da die Rede, mehr noch aber warnten die Aktivisten vor Hürden im Studium. Für das oft übliche Nachholen des Latinums müssten angehende Lehrer die Studienzeit überziehen – bis zu vier Semester, was den Bafög-Anspruch gefährde. Eine Gegen-Initiative namens „Latein lebt“ versuchte es mit Kompromissen: Kann man das Nachholen von Latein nicht klüger ins Lehramtsstudium einbinden? Der Ausgang ist offen. Ein Trost aber für Altphilologen: Eltern schätzen den Wert der Sprache, die Latein-Nachfrage an den Schulen ist seit Jahren konstant bis leicht steigend. So lernen bundesweit neun Prozent der Schüler (inklusive Nicht-Gymnasiasten) Latein. Platz drei hinter Englisch und Französisch, deutlich vor Spanisch.