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Palästinensischer Frühling

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Eine Protestwelle rollt durch das Westjordanland. Der Zorn richtet sich vor allem gegen Premierminister Fajad, der im Westen geschätzt wird. Die israelische Regierung befürchtet, dass die Proteste mittelfristig in eine neue Intifada münden

Gewaltsame Proteste erschüttern das palästinensische Westjordanland. Aus Ärger über steigende Lebenshaltungskosten griffen Demonstranten in mehreren Städten Polizeistationen an und verwüsteten öffentliche Gebäude. Vielerorts mündeten die Proteste in Streiks, Läden wurden geschlossen, Lehrer und Studenten blieben den Universitäten fern, Taxi- und Busfahrer blockierten Zufahrtsstraßen. Es ist die weitreichendste Protestwelle gegen die palästinensische Führung seit Gründung der Autonomiebehörde vor 18 Jahren. Der Zorn der Demonstranten richtet sich vor allem gegen den im Westen geschätzten Premierminister Salam Fajad, dessen Rücktritt lautstark gefordert wird.



Der palästinensische Premierministee Fajad ist bei der Bevölkerung in die Kritik geraten und schließt einen Rücktritt nicht mehr aus.

Auslöser der Sozialproteste war eine Erhöhung der Mehrwertsteuer sowie ein Anstieg der Benzinpreise, nachdem die israelischen Zulieferer zuvor den Treibstoff verteuert hatten. Auf einer Kabinettsitzung am Dienstag wurden diese Erhöhungen weitgehend wieder zurückgenommen, um die Lage zu beruhigen. Aufgebracht sind jedoch auch die öffentlich Bediensteten, weil seit Monaten ihre Löhne nicht regulär gezahlt werden. Nun wurde beschlossen, wenigstens den halben Augustlohn auszuzahlen. Geschuldet ist dies einer schweren Finanzkrise der Autonomiebehörde, die darüber klagt, dass die Geberländer ihre versprochenen Hilfszusagen nicht einhalten. Insgesamt fehlten knapp eine Milliarde Euro, heißt es. Seit dem arabischen Frühling ist die Zahlungsbereitschaft der Bruderstaaten noch weiter gesunken. Überdies blockiert der US-Kongress die Auszahlung von 200 Millionen Dollar, seitdem sich die Palästinenser vor Jahresfrist bei den Vereinten Nationen gegen den Willen Washingtons um staatliche Anerkennung bemüht hatten.

Sowohl bei der palästinensischen Führung als auch in Israel wächst die Sorge, dass die Proteste außer Kontrolle geraten könnten. Nach dem Vorbild des tunesischen Gemüsehändlers, der mit seiner Selbstverbrennung den arabischen Frühling gestartet hatte, starb im Gaza-Streifen bereits ein 17-Jähriger, der sich aus Verzweiflung selbst in Flammen gesetzt hatte, zwei ähnliche Versuche im Westjordanland konnten vereitelt werden. Am Wochenende hatte Präsident Mahmud Abbas vergeblich versucht, sich an die Spitze der Bewegung zu setzen. 'Der palästinensische Frühling hat begonnen', sagte er, 'wir unterstützen alles, was die Leute wünschen.' Zugleich bemühte er sich, die israelische Besatzung, die zu starken Handelseinschränkungen führt, allein für die Wirtschaftskrise verantwortlich zu machen.

Den Zorn der Bürger hat er damit jedoch nicht besänftigen können, allerdings hat er ihn noch stärker auf Premierminister Fajad gelenkt, der nun mit leeren Kassen das Versprechen des Präsidenten umsetzen muss. Bei Demonstrationen wurden bereits Puppen verbrannt, die Fajad darstellen sollten, er selbst hat einen Rücktritt nicht ausgeschlossen. Im Ausland gilt der Premier mit seiner reichhaltigen Erfahrung bei der Weltbank als Garant für Sicherheit und Transparenz, schließlich hat er die Korruption bekämpft und funktionsfähige staatliche Institutionen aufgebaut. Dabei jedoch hat er sich im eigenen Lager viele Feinde gemacht. Als Unabhängiger gehört er weder der Fatah noch der Hamas an, er stört die Kreise vieler aus der alten Garde.

In Israel wird befürchtet, dass die Proteste zu einer Funktionsunfähigkeit der Autonomiebehörde führen und am Ende in eine neue Intifada münden könnten - zumal nach einem Sturz Fajads, weil dann ein anderes Feindbild gebraucht würde.

Deshalb fordert jetzt nun sogar die Regierung in Jerusalem die Geberländer zur finanziellen Unterstützung der Palästinenser auf, Verteidigungsminister Ehud Barak hat dem deutschen Außenminister Guido Westerwelle bei dessen Besuch in Israel gerade erst ausdrücklich für die deutsche Aufbauhilfe im Westjordanland und im Gaza-Streifen gedankt. Abbas verlangt nun jedoch auch von Israel konkrete Zugeständnisse. Er will das Pariser Protokoll von 1994 nachverhandeln, das im Osloer Friedensabkommen den Rahmen für die wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Israel und den Palästinensergebieten absteckt. Diese Forderung ist bereits lautstark von den Demonstranten übernommen worden, so dass sich die Wut nun auch gegen Israel richtet.

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