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Nach göttlichem Recht

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Die ägyptische Verfassungskommission hat einen Entwurf erarbeitet, der sich stark an der Scharia orientiert. Er ist geeignet, die Gesellschaft politisch zu islamisieren - und das Volk zu spalten

Kairo - Von einer 'revolutionären Verfassung' spricht Hossam al-Gheriani, der Präsident der ägyptischen Verfassungskommission. Das Gesetzeswerk, das der von Islamisten dominierte Rat nun vorgelegt hat, wird die Spaltung der Gesellschaft aber vertiefen. Was für Islamisten und einen Teil der gläubigen Muslime die Achtung der Scharia als göttlichem Recht auf Erden ist, bleibt für moderate Muslime, Christen und liberal-säkulare Ägypter eine Provokation. Gherianis Satz, es sei ein Grundgesetz 'in dessen Geist wir unsere Kinder erziehen werden', ist für viele inakzeptabel. Der Text war in einer 16-stündigen Sitzung der Verfassunggebenden Versammlung im Eilverfahren angenommen worden; über jeden der 234 Artikel wurde einzeln abgestimmt. Der Entwurf muss nun von Staatschef Mohammed Mursi gegengelesen und dem Volk dann in einem Referendum vorgelegt werden.

Der Text ist deutlich stärker von Islam und Scharia geprägt als frühere Verfassungen. Fundamentalisten hatten das sechs Monate arbeitende Gremium dominiert. Die meisten nicht-islamistischen Mitglieder der 100-köpfigen Verfassungskommission verließen das Gremium aus Protest gegen die Islamisierungstendenz. Sie nahmen an der Abstimmung nicht teil. Christen, Liberale und Bürgerrechtler hätten wegen der Mehrheitsverhältnisse keine Chance gehabt, den Ausgang zu beeinflussen.

Die Verankerung der Scharia als dem göttlichen Gesetz des Islam, das auch im weltlichen Leben Anwendung findet, ist nicht das Kernproblem. Entscheidend ist die politische Auslegung. Denn die Scharia selbst ist Teil des Alltagsverständnisses in islamischen Gesellschaften. Die Geltung des 'göttlichen Rechts' in Teilen der weltlichen Gesetzgebung ist für viele Gläubige eher Selbstverständlichkeit als Verstoß gegen die Idee des Rechts- und Verfassungsstaats. Auch in früheren Verfassungen Ägyptens galten die 'Prinzipien der Scharia' als 'Quelle des Rechts'. Teile des Privatrechts, etwa Ehe- und Erbfragen, unterlagen unter dem Regime des weltlich orientierten Autokraten Hosni Mubarak der Scharia. Für die koptischen Christen galt deren Rechtsverständnis.

Der von den Islamisten vorgelegte Verfassungsentwurf geht über dieses von Tradition und Alltagswirklichkeit gezeichnete Rechtsverständnis weit hinaus. Eine islamistische Auslegung des Contrat Social der ägyptischen Gesellschaft wäre einfach: Die neue Verfassung bietet Instrumente, die Gesellschaft politisch zu islamisieren. Eine strenge Auslegung der Scharia würde so allen Bevölkerungsgruppen - auch Nicht-Muslimen - ein Gesellschaftsmodell aufzwingen, das sie auf theologisch angeblich abgesicherte islamische Moral- und Wertvorstellungen verpflichtet. Die Tradition Ägyptens als islamischer Gesellschaft kann dies nicht rechtfertigen.

Während die Mubarak-Verfassung religiöse Wertvorstellungen weitgehend Sache des Einzelnen sein lässt und sich mit dem Scharia-Verweis begnügt, können islamische Moral und die daraus resultierende Rechtsvorstellungen nun kollektiv angewandt werden. Die Scharia, die sich aus dem von Gott im 7. Jahrhundert an den Propheten Mohammed verkündeten Koran und den späteren Begleittexten der 'Sunna' speist, ist aber kein einheitlich interpretierbarer Kodex. Der sunnitische Islam folgt vier Rechtsschulen, die sich in ihrer Scharia-Auslegung unterscheiden. Sunnitische Islamisten wie die in Ägypten herrschenden Muslimbrüder folgen einer orthodoxen, strengem Rechtsdenken folgenden Interpretation.

Islam und Scharia
Die Artikel der Verfassung, in denen es um die Oberhoheit des koranischen Gesetzes gegenüber weltlicher Gesetzgebung geht, sind auffällig offen formuliert und verweisen oft auf noch nicht vorhandene Folgegesetze. Rechtsquelle sind zwar wie früher nur 'die Prinzipien der Scharia'. Neu ist aber, dass diese Prinzipien mit der aktuellen islamischen Rechtsauslegung abgeglichen werden sollen. Das schafft Raum, Scharia-Prinzipien strenger auszulegen. Ein weiterer Artikel verlangt, dass die Theologen und Rechtsgelehrten der Kairoer Al-Ashar-Universität in allen Scharia-relevanten Fragen konsultiert werden. Dies könnte die Oberaufsicht der islamischen Rechtsgelehrten samt Veto-Recht bei der parlamentarischen Gesetzgebung bedeuten. Ähnlich funktioniert die Gesetzgebung in der Islamischen Republik Iran.

Die Rolle der Frau
Die Gleichheit der Geschlechter wird nicht erwähnt. Stattdessen verweist ein Artikel auf die 'wahre Natur der ägyptischen Familie' und gibt vor, deren 'Moral und Werte zu fördern'. Damit wird die traditionsgebundene Rolle der Frau als Mutter, Hausfrau und Person, deren öffentliches Auftreten Beschränkungen unterliegt, betont. Ein Artikel verlangt von der Frau, ihre 'Pflichten in der Familie' gegenüber ihrer öffentlichen Rolle 'auszubalancieren'. Dies könnte Beruf, Ausbildung oder gesellschaftliches Engagement beschränken. Eine besondere Rolle des Mannes in der Familie wird nicht erwähnt.

Meinungs- und Religionsfreiheit
Ein Paragraf verbietet die 'Beleidigung aller Propheten', ein Blasphemieverbot, das sich weit auslegen lässt. Eingeschränkt werden könnte die Religionsfreiheit. Der strenge sunnitische Islam anerkennt nur die drei großen monotheistischen Religionen. Andere Bekenntnisse und islamische Sekten werden als heidnisch betrachtet. Ein Blasphemieverbot könnte auch Meinungs- und Kunstfreiheit begrenzen. Die Konflikte um die Mohammed-Karikaturen oder die 'Satanischen Verse' Salman Rushdies haben gezeigt, dass orthodox-islamische Vorstellungen mit Meinungs- und Kunstfreiheit unvereinbar sind. Zensur wird religiös legitimiert. Dies unterstreicht ein anderer Artikel: 'Der Staat unterstützt die Künste, Wissenschaft und Literatur und hilft, sie in der Gesellschaft zu verankern'. Kunst, aber auch religiös inakzeptable Wissenschaftszweige könnten als schädlich unterdrückt werden. Zudem verbietet der Artikel die 'Beleidigung von Menschen' - das könnte für Politiker gelten.

Macht des Präsidenten
Jenseits der religiösen Schlagseite enthält der Verfassungstext auch Passagen, die als Fortschritt in Richtung einer Beschränkung der Macht von Präsident und Militär gewertet werden können. Laut dem Entwurf bleibt Ägypten eine zentralistische Präsidialrepublik. Die Amtszeit des direkt gewählten Staatschefs wird auf zweimal vier Jahre begrenzt. So soll autokratischer Dauerherrschaft vorgebeugt werden. Es bleibt beim Zwei-Kammern-Parlament. Der vom Präsidenten vorgeschlagene Premier muss vom Unterhaus bestätigt werden, es kann die Vertrauensfrage stellen. Die Auflösung des Parlaments durch den Staatschef wird erschwert.

Das Militär
Das früher allmächtige Militär soll einer minimalen zivilen Aufsicht unterliegen. Ein Nationaler Sicherheitsrat soll Einsicht in den Militärhaushalt haben. Den Krieg erklären kann der Staatschef nach Information des Parlaments und in Absprache mit dem Sicherheitsrat, in dem auch Offiziere sitzen. Allerdings kann die Armee Zivilisten vor Militärgerichte bringen, wenn sie sich von einer Straftat betroffen fühlt. Das dürfte dazu dienen, die Zustimmung der Generale zur Verfassung zu erkaufen.

Der Islam ist Staatsreligion, das Arabische offizielle Sprache. Dies verletzt die Rechte der koptischen Christen, die bis zur Eroberung Ägyptens durch die Araber die Einheimischen waren.

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