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Die alten Kleider der Kirche

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Deutschland braucht ein neues Religionsverfassungsrecht

Das Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland ist sechs Pfund schwer und 2390 Seiten dick. Bei der Lektüre des Inhaltsverzeichnisses gehen selbst dem rechtskundigen Staatsbürger die Augen über. Was es da alles gibt! Hunderte Seiten handeln da allein von der staatlichen 'Gewährleistung des öffentlichen Wirkens der Kirchen'. Das Wunderwerk, zweibändig natürlich, heißt 'Handbuch des Staatskirchenrechts', es ist nicht mehr neu, die letzte Auflage ist fast zwanzig Jahre alt; das macht nichts, weil sich am rechtlichen Verhältnis von Kirche und Staat in Deutschland auch nicht viel ändert, um nicht zu sagen: gar nichts.

Das wird in absehbarer Zeit auch so bleiben: Das Bundesarbeitsgericht hat erst jüngst mit einem verzinkten Urteil zum kirchlichen Arbeitsrecht den aufbegehrenden Gewerkschaften den Weg zum Bundesverfassungsgericht verbaut - wo die Gesamtbeziehungen von Staat, Grundrechten und Kirche auf den Prüfstand hätten kommen können. Die Bundesarbeitsrichter gaben den Gewerkschaften Steine statt Brot: Sie gaben ihnen nur im konkreten Fall recht (es ging um Streik in einer kirchlichen Einrichtung), nicht aber generell.

Es bleibt also nun wohl für lange Zeit dabei, dass in den Kindergärten, Krankenhäusern und Altenheimen, die unter dem Zeichen des Kreuzes stehen, verfassungsrechtliche Verbürgungen und das hierauf beruhende Arbeitsrecht nur in eingeschränktem Maß gelten. Die Kindergärtnerin, die sich scheiden lässt, muss noch immer Angst haben, den Arbeitsplatz zu verlieren. Und das Streiken für Lohn und gute Arbeitsbedingungen bleibt in kirchlichen Einrichtungen qua Verdikt der Kirchen weiterhin grundsätzlich untersagt.

Ein gordischer Knoten ist, verglichen mit dem Knäuel von Staat und Kirche in Deutschland, ein einfaches Gebilde. Allerdings trennt man in Deutschland, anders als in den USA, öffentlich-politische und privat-religiöse Moral voneinander. Wenn man allein die Wahl hätte zwischen dem US-Modell und dem deutschen, dann wäre einem das deutsche lieber. Das deutsche Modell fußt eigentlich nicht auf dem Grundgesetz, sondern auf der Weimarer Verfassung: Das Grundgesetz hat nämlich in seinem Artikel 140 einfach die Vorschriften der Weimarer Reichsverfassung von 1919 übernommen. Und auf dieser Basis wieder gründen die geltenden Konkordate zwischen dem Staat und den christlichen Kirchen: die Staats-Alimentation der Bischöfe beispielsweise ist dort geregelt; und auch die Einrichtung von Lehrstühlen an den Unis (nicht nur für Theologie, sondern auch für Gesellschaftswissenschaften und Pädagogik), die nur mit Zustimmung der Kirchenoberen besetzt werden dürfen; und vieles andere mehr.

Eine wirkliche Trennung von Kirche und Staat gibt es in Deutschland nicht, es herrscht kein Laizismus wie in Frankreich. Das muss auch nicht sein, das entspräche nicht deutscher Tradition. Aber der Ausdruck 'freundliche Trennung', mit dem das deutsche System beschrieben wird, ist ziemlich euphemistisch. Der staatliche Einzug der Kirchensteuer ist das bekannteste Exempel dieser 'freundlichen Trennung': Oswald von Nell-Breuning, Soziallehrer der katholischen Kirche, hat diesen Kirchensteuereinzug schon vor 45 Jahren als 'Anachronismus' bezeichnet. Nach der deutschen Wiedervereinigung wurde das staatlichen Kirchensteuersystem dem Osten ohne langes Fackeln übergezogen. Das gesamte sogenannte Staatskirchenrecht wäre freilich eine der Fragen gewesen, die 'mit der Einigung aufgeworfen' waren - und deshalb schon damals bei der Verfassungsreform 1992/93 hätten gelöst werden müssen. Pfarrer Wolfgang Ullmann, Abgeordneter der Bündnisgrünen, ein kluger älterer Herr aus Ostdeutschland, wurde angeschaut wie ein Revoluzzer, als er damals die Trennung von Kirche und Staat forderte; er brach ein heiliges Tabu.

Der Limburger Altbischof Kamphaus hat einmal gesagt: Die Kirche gleiche einem alten, abgemagerten Mann in viel zu großen Kleidern. Einmal hätten sie ihm gepasst, aber jetzt hingen sie an ihm herunter und hinderten ihn beim Gehen. Das geltende alte sogenannte Staatskirchenrecht gehört zu diesen Kleidern. Man sollte ihm als Erstes einen anderen Namen geben: Religionsverfassungsrecht! Dann wäre klar, dass auch Religionen dieses Recht beanspruchen können, die nicht in einer Kirche organisiert sind: die Muslime vorweg.

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