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"Ich hasse Dekoration"

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Seit einiger Zeit schon ist die Pariser Designerin Isabel Marant in aller Munde, vor allem: wegen ihrer Mode. Dabei sehen auch ihre Boutiquen sehr besonders aus, gerade jetzt zur Weihnachtszeit. Ein Gespräch mit ihrem Schaufensterdekorateur Arnold Go

Er ist in diesen Wochen ständig unterwegs, also verabredet man sich für ein Telefonat via Skype. Arnold Goron kümmert sich, wie jedes Jahr, um die Weihnachtsdekoration der Isabel-Marant-Boutiquen in Paris und New York und parallel um den Look des Ablegers in Südkorea, dort fliegt er am nächsten Tag hin. Goron, Jahrgang 1966, hat in Paris Grafikdesign studiert. Nach seinem Abschluss arbeitete er im Büro des französischen Stararchitekten Jean Nouvel, später als Artdirector für die Tageszeitung Libération und für die Werbeagentur Euro RSCG in Paris. Seit 2006 baut Arnold Goron ausschließlich Skulpturen und Installationen, unter anderem für die Shops von Levi's, Baby Dior, Petit Bateau und eben Isabel Marant. Für seine Arbeiten verarbeitet er Alltagsgegenstände wie Sperrholz oder Papier in Handarbeit. Die Deko, die er in der Isabel-Marant-Boutique in Seoul installieren wird, besteht aus Aluminiumtellern.

SZ: Frohe Adventszeit, Monsieur Goron! Ist ja lustig, Ihre aktuelle Weihnachtsdeko für Isabel Marant erinnert an diese Happy-Birthday-Kerzen, die man auf Geburtstagstorten steckt...
Arnold Goron: Ich habe bunte Buchstaben aus Schaumstoff und Holz an Stäbe gebaut, ja! Aber dann habe ich sie auf kleinen Motoren installiert. Die Buchstaben bewegen sich rauf und runter, so dass man einen Augenblick stehen bleiben und das Fenster betrachten muss, bis man den eigentlichen Wortlaut versteht.

Was steht da?
"Merry Noõl" und "Happy Année". Ist schließlich eine Weihnachtsdekoration.

Das ist ja simpel. Wie kommen Sie auf eine so bestechend einfache Idee?
Ich mag knifflige, kleinteilige Skulpturen mit einer Mechanik oder Motoren. Ich stelle alles selbst her, und es sind im Grunde die Basteleien eines Buben. Allerdings erreichen meine Installationen mitunter eine ganz unkindliche Größe. Dann werden die einfachen Ideen sofort sehr, sehr kompliziert.

Inwiefern?
Vor sechs Jahren habe ich zum ersten Mal eine Weihnachtsdeko mit einem Motor und ein paar beweglichen Buchstaben gemacht. Es hat toll funktioniert, und alle waren begeistert. Mittlerweile montiere ich gelegentlich 45 Buchstaben auf zig Motoren und alles geht schief. Ich bekomme täglich Anrufe: Arnold, es klappt nicht! Arnold, die Skulptur ist schon wieder kaputt! Meine Sachen sind eben ein bisschen schrottig. Ehrlich gesagt, bin ich in einer Tour am Reparieren.

Da geht es Ihnen wie vielen Leuten, die beim Basteln zwei linke Hände haben. Deshalb kaufen manche ihre Weihnachtsdeko lieber fertig im Geschäft...
Ich finde ja, jeder sollte etwas selbst herstellen, was ihm wirklich gefällt. Zu einer originellen Weihnachtsdekoration gehört meiner Meinung nach auch, dass sie jede Form traditioneller Symbole weglässt.

Aha, eine Weihnachtsdeko ohne Sterne, Tannenbäume und Rentiere? Das müssen Sie erklären.
Das fängt bei ganz grundsätzlichen Dingen an. Alle Leute benutzen andauernd Lichter in ihren Weihnachtsdekorationen. Ich würde auf keinen Fall Lichter verwenden, auf gar keinen Fall! Überall sieht man diese zwei Farben, grelles Rot und Grün. Ich benutze für Weihnachten sanfte, pastellige Töne. Das Wichtigste ist aber das Material: Es sollten persönliche Materialien verwendet werden, die einem selber etwas bedeuten. Das kann alles Mögliche sein. Ein Stoff, der sich gut anfühlt. Bilder, Souvenirs, was Sie wollen! Oder Dinge, die Sie jeden Tag sehen und benutzen. Und die dann, in einem neuen Kontext, eine ganz andere Bedeutung bekommen.

Zum Beispiel?
Streichhölzer. Gerade habe ich für ein Spezial des Magazins der New York Times das T-Logo aus Streichhölzern nachgebaut. Vier Tage lang habe ich Hunderte Streichhölzer zusammengeklebt. Ich versuche immer einfache, aber besondere Skulpturen zu bauen. Ich hasse Dekoration.

Aber es ist doch Ihr Job, zu dekorieren!
Ja und nein. Die Arbeiten, die ich für Isabel Marant fertige, wirken zuerst einmal gut in den Boutiquen. Sie funktionieren als Hingucker in ihren Schaufenstern, aber sie würden auch in Galerien und vielleicht sogar bei Ihnen zu Hause funktionieren. Wenn man die Weihnachtsdekoration eines großen Pariser Kaufhauses in einen anderen Kontext stellt, bedeutet sie plötzlich gar nichts mehr. Alles, was dort glitzert, flackert und leuchtet, verwandelt sich außerhalb der Schaufenster in einen riesigen Haufen teuren Kitsch. Es hat keine Nachhaltigkeit, keine Bedeutung. Es ist halt nur Deko.

Aber es macht doch Spaß, die Wohnung aufzumotzen und vier Wochen im Jahr anders zu leben als sonst...
In meinen Augen ist das Tollste am Dekorieren, dass man sich die Zeit nimmt, um etwas Neues herzustellen; etwas, das einen Raum verändert und ihm Atmosphäre verleiht. Das ist es ja, was ich vorhin meinte: Persönliche Gegenstände erwecken den Raum zu Leben, anstatt ihn zu überladen. Sie erzählen etwas. Deshalb ist auch meine Buchstaben-Weihnachtsdekoration so beliebt. Sie bewegt sich, sie ist lustig und vor allem ist sie eigen.

Wenn aber alle Symbole weggelassen werden, verliert Weihnachten selbst dann nicht an Bedeutung?
Ich denke überhaupt nicht über solche Dinge nach. Ich würde für eine Hochzeit oder was auch immer genau die gleiche Skulptur bauen! An Weihnachten sagen die Buchstaben halt 'Frohes Fest'. Mir persönlich ist nur der Gruß selbst wichtig. Wenn ich die Weihnachtsfenster aufbaue, weiß ich ganz genau, dass in vier Wochen die ganze Arbeit abgerissen und weggeschmissen wird. Man gibt mir die Motoren zurück und einige Elemente, die ich noch weiterverwenden kann. Das war's dann.

Aber Sie sagen doch selbst, dass Ihre Werke sowieso nicht lange halten.
Das stimmt. Kennen Sie das? Ein Kind baut eine Maschine. Es baut und baut. Schließlich ist das Werk vollendet, und es ruft: Mama, schau mal, meine Maschine funktioniert! Guck mal, sie funktioniert! Und genau in dem Augenblick, in dem sich die Mutter umdreht und guckt, funktioniert gar nichts mehr. Und das Kind sagt: Aber eben gerade ging es noch! Genauso ist es mit meiner Arbeit. Ein anderes Modelabel oder gar ein Kaufhaus würde das gar nicht mitmachen. Da braucht man Multimedia-Gedöns und Computer-Back-ups.

Was machen Sie denn, wenn, mal angenommen, die Skulptur in der Boutique in Tokio zusammenkracht?
Ich repariere sie über Skype. Kein Witz. Das ist sogar ziemlich schwierig. Aber glauben Sie mir, ich bin auch in der Lage, ein Mobile zu bauen, das wirklich lange hält.

Wie kommt man drauf, einer Schaufensterpuppe riesige weiße Flügel zu verpassen oder ein Mobile aus Gesichtern zu basteln, um nur mal zwei ihrer jüngsten Arbeiten zu nennen?

Die meisten Ideen stammen aus Bildern und Büchern, die sich in meinem Atelier angesammelt haben. Ich arbeite ständig an irgendwelchen Skulpturen, und nicht selten landen die Ideen, zumindest Teile davon, in den Schaufenstern. Die größte Inspiration ist aber das Material selbst. Im Falle der Flügel wollte ich unbedingt etwas aus Porzellanfolie herstellen.

Was ist denn das?
Eine flexible Folie aus Keramik, die geschnitten oder gestanzt und dann gebrannt wird. Ich stellte mir einen Vogel mit durchsichtigen Federn vor. Die Federn sind aus dieser Porzellanfolie gefertigt, genauer gesagt sind es 1500 Federchen in unterschiedlichen Größen für jeden Vogel. Ich habe jede einzelne aus der Folie geschnitten und dann bei 1200 Grad brennen lassen. Zum Schluss habe ich durch jede Feder einen Nylonfaden gezogen und sie zu Flügeln zusammengewebt. So bleiben sie beweglich.



Ein typischer Look von Isabel Marant. Die Mode der Pariser Designerin ist seit mehreren Jahren heiß begehrt, Modeketten kopieren häufig ihre Entwürfe.

Ihre Arbeitgeberin, Isabel Marant, ist eine der umschwärmtesten Pariser Designerinnen. Wie haben Sie beide sich überhaupt kennengelernt?
Es war ein Glücksfall. Ich kannte weder sie persönlich noch hatte ich jemals ein Schaufenster dekoriert. Ein Freund fragte mich auf einer Party, ob ich Isabel Marant kennenlernen wollte, und ich sagte nur: warum nicht? Damals, vor sechs Jahren, hatte sie nur zwei kleine Läden in Paris, für die ich dann die Fenster dekoriert habe. Dann eröffnete Isabel noch einen Shop. Und dann einen in New York. Vor vier Jahren kam einer in Madrid dazu, dann in Beirut, Hongkong, Tokio und London.. .Heute gibt es 13 Shops auf der ganzen Welt.

Ihre Arbeiten wirken ungekünstelt und cool, genau wie der Stil von Isabel Marant. Gab es mal eine Idee, die bei der Designerin nicht durchging?
Sicher hat sie am Anfang mal Ideen abgelehnt. Aber wir arbeiten ja schon sehr lange zusammen. Mittlerweile kennen wir uns also so gut, dass wir nicht mehr aneinander vorbei denken. Trotzdem bin ich immer noch sehr nervös vor der Präsentation. Aber Isabel ist sehr offen und sie lässt mich meine Arbeit machen. Generell gilt: Wenn ich meine Idee selbst richtig gut finde, ist sie leicht zu begeistern.

Die Marke Isabel Marant gilt in der Branche als sehr modern. Wie aktuell kann ein Schaufenster in Zeiten des Onlineshoppings sein?
Wenn Sie mich fragen: Es gibt es kein besseres Werbemittel als ein gutes Schaufenster. Wenn Sie an einem unbekannten Laden vorbeispazieren und Ihnen das Fenster gefällt, dann bleiben Sie stehen und schauen, oder? Sie fragen sich: Was ist denn das für ein Laden? Was verkaufen die denn? Ein gutes Schaufenster löst so viele Fragen über diesen Laden aus, dass der Betrachter wissen möchte, was ihn drinnen erwartet. Und schon geht er in den Laden. Eine tolle Schaufensterdekoration funktioniert wie ein gutes Kampagnenfoto: Es zieht einen sofort rein.

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