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Der Brokkoli des General Tso

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Zunächst die Zahlen, dann die süß-saure Soße. Glaubt man den Statements einiger Hollywood-Studios, dann bricht jetzt die goldene Ära des Video on Demand (VoD) an. Nachdem die Skandalkomödie „The Interview“ nur klein im Kino und groß als Internet-Video, als Stream, vertrieben wurde – und so bislang über 30 Millionen Dollar einspielte –, sei, verlautbart das produzierende Sony-Studio, ein Präzedenzfall geschaffen: Blockbuster seien fortan nicht mehr nur von der Kinoauswertung abhängig.

Das ist eine Behauptung, die derzeit niemand belegen kann. Denn erstens kommt es selten vor, dass – wie „The Interview“ – ein Film nach der Hacker-Attacke auf Sony sogar vom US-Präsidenten Werbung erhält. Und zweitens halten fast alle Studios ihre VoD-Zahlen streng geheim und protzen nur gelegentlich und auch nur im Erfolgsfall mit reißerischen Dollarzahlen wie gerade Sony. Die aber sind nicht aussagekräftig. Denn im Gegensatz zu den Kinoeinnahmen, die halbwegs salomonisch zwischen Kinobetreibern und Studios geteilt werden, sind mit den diversen VoD-Plattformen wie Google Play, Amazon Instant Video oder iTunes ganz individuelle, ganz unterschiedliche und teils exklusive Verträge ausgehandelt worden. Und ob diese wirklich eine klassische Kinoauswertung finanziell abfedern können, bezweifeln die meisten Branchenanalysten in Hollywood.



Eine Fastfood-Meile in Hongkong. Chinesisches Fastfood wird seit dem 19. Jahrhundert in den USA immer populärer


Weshalb Video on Demand weiterhin vor allem fürs Independent-Kino interessant ist. Für kleine Produktionen also, die keine oder nur eine ganz kleine Kinoauswertungen stemmen können, ihren Film aber trotzdem an möglichst viele Zuschauer bringen wollen. Ein US-Indie, der als einer der ersten mit VoD experimentiert hat, ist IFC, eine Firma, die sich gerne des von Produzenten und Verleihern oft etwas stiefmütterlich behandelten Genres des Dokumentarfilms annimmt. Womit nun die süß-saure Soße ins Spiel kommt. Zum Jahresbeginn hat IFC die wunderbar schräge Doku „The Search for General Tso“ als Video on Demand veröffentlicht, die im letzten Jahr schon auf einigen Festivals zu sehen war.

General Tso ist ein im Wok frittiertes, in viel Soßenpampe mariniertes und auch noch mit Brokkoli dekoriertes Hühnerschlegelgericht. Es steht in den USA auf der Speisekarte praktisch aller chinesischen Imbisse und Restaurants.

Regisseur Ian Cheney stellt im Film diverse Theorien zur Herkunft dieses Fast-Food-Klassikers auf und nimmt ihn zum Anlass, die Geschichte der chinesischen Küche auf den Speiseplänen der westlichen Welt zu erforschen. Was neben sehr viel Fett auch eine sehr lustige Gesellschaftskunde für die USA des 20. Jahrhunderts zutage fördert. Cheney interviewt Soziologen, Historiker, Köche und Glückskeksfabrikbesitzer. Gemeinsam rollen sie die amerikanische Hassliebe zum chinesischen Essen auf, seit dem kalifornischen Goldrausch der 1850er-Jahre, als die ersten Chinesen ins Land kamen. Die wirkten auf die meisten Amerikaner wie Außerirdische, komische Typen, die Opium rauchten und ihr Essen mit kleinen Holzstäbchen zu sich nahmen. So suspekt erschienen die Einwanderer, dass 1882 ein „Chinese Exclusion Act“ verabschiedet wurde, der für einige Jahre festlegte, dass keine chinesischen Arbeiter mehr ins Land kommen durften. Erst als sich die Emigranten langsam von der Westküste aus auf das gesamte Land zu verteilen begannen und ihre heimischen Speisen mit amerikanischer Fritteusen-Finesse kombinierten, setzte sich um die Jahrhundertwende chinesisches Fast Food in den USA durch.

Trotzdem kam es knapp fünfzig Jahre später noch einmal zu einem dramatischen Tiefpunkt in der amerikanischen Liebe zu chinesischem Essen: die Chop-Suey-Krise der Vierziger- und Fünfzigerjahre. Nach der kommunistischen Revolution und Maos Siegeszug in China wurde es in den USA quasi zur patriotischen Bürgerpflicht, die frittierten Hähnchen aus dem Reich der Mitte links liegen zu lassen. Hunderte Restaurants mussten schließen. Erst als Präsident Nixon im Februar 1971 eine Versöhnungsreise nach China machte, bildeten sich wieder Schlangen vor den Lokalen. Der Essens-Hype ging dann Mitte der Siebziger sogar so weit, dass es unter europäischen Emigranten, die in die USA eingewandert waren, als Einbürgerungsstatement galt, in der neuen Heimat beim Chinesen essen zu gehen.

„The Search for General Tso“ gibt es als Video on Demand für 6,99 Dollar unter anderem im amerikanischen iTunes-Store oder bei Amazon USA.


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