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Wettbewerb der Solidarisierung

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Die Sicherheit, schon wieder die Sicherheit. Eigentlich wollte man an diesem Dienstag in Berlin über Wohlfahrtsangebote für die vier Millionen Muslime in Deutschland sprechen, allerlei muslimische Verbandsvertreter und Ministerialbeamte hatten die große Runde mit Innenminister Thomas de Maizière (CDU) und Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) monatelang munitioniert. Nach den Terroranschlägen von Paris dämmerte den Beteiligten jedoch rasch, dass kultursensible Kindergärten und Altenpflege für Muslime nicht im Zentrum des öffentlichen Interesses stehen dürften. Also sagt Erol Pürlü als Sprecher der versammelten Islamverbände bei der Islamkonferenz das, was die Muslimvertreter seit Tagen in allerlei Variationen wiederholen: Man verurteile die „menschenverachtenden Angriffe aufs schärfste“, keiner solle nach einer Legitimierung des Terrors suchen, die Anschläge seien auch ein Angriff auf „unsere muslimischen Werte“. Und von de Maizière darf der Hinweis nicht fehlen, dass man „mit aller Härte“ gegen Terroristen vorgehe.



Familienministerin Manuela Schwesig, Innenminister Thomas de Maiziere, und Erol Pürlü, Sprecher des Koordinationsrates der Muslime, bei einer Pressekonferenz in Berlin über die Fachtagung der Islamkonferenz zum Thema Wohlfahrtspflege.

Das Thema Sicherheit in der Islamkonferenz hat eine Vorgeschichte und das macht den Umgang damit so delikat. Die großen Religionsverbände wie der Islamrat und der Zentralrat der Muslime wehren sich seit Jahren dagegen, Extremisten und Terrorverhütung in den Mittelpunkt zu stellen, sie fühlen sich dadurch einem Generalverdacht ausgesetzt, sie wollen lieber die Gleichstellung mit den Kirchen vorantreiben und praktische Erleichterung wie islamkonforme Bestattungsregeln durchsetzen.

Darf die Islamkonferenz auch eine Sicherheitskonferenz sein? Im offenen Streit um diese Frage gingen de Maizières Vorgänger Hans-Peter Friedrich (CSU) und mehrere Islamverbände erst vor wenigen Jahren auseinander. Danach war die Islamkonferenz ein Torso, bis de Maizière sie mit einer Auslagerung der Sicherheitsfragen in separate Gremien wiederbelebte.

Und nun die Anschläge. Und nicht nur das: Dienstagmorgen fordert der CSU-Innenexperte Stephan Mayer in der Rheinischen Post, die Islamkonferenz sollte sich doch auch darüber austauschen, wie man „der zunehmenden Radikalisierung von jungen Moslems“ und der Zuwendung zum Salafismus „entgegenwirken kann“. Mayer hätte genauso gut eine Portion Reizgas in die Runde sprühen können, das hätte ähnlich integrierende Wirkung entfaltet. De Maizière lehnt den Vorschlag denn auch klar ab, die Sicherheit sei Thema mit den Islamverbänden, „aber nicht unter der Dachüberschrift Islamkonferenz“.

In diesem Rahmen entfaltet sich eine Dynamik in der Gesprächsrunde, wie mehrere Teilnehmer berichten. Muslime und Politiker beschwören die gemeinsamen Werte, auf der Pressekonferenz zelebriert man diese Einigkeit. Der Bundesinnenminister dankt den Muslimvertretern „auch persönlich“ für ihre klare Verurteilung der Anschläge, „in diesen schwierigen Zeiten müssen wir zusammenstehen“, sagt Pürlü. Und Schwesig lobt öffentlich den CDU-Minister de Maizière für seine Moderation der Islamkonferenz, was auch nicht alle Tage vorkommt. „Die islamischen Verbände haben sich noch nie so mit diesem Land identifiziert“, sagt ein Teilnehmer aus der Türkischen Gemeinde. Man erlebe einen „Wettbewerb der Solidarisierung“, die schrecklichen Taten von Paris hätten die Zusammenarbeit in der Konferenz faktisch verbessert. Die Anschläge, sie lassen zusammenrücken.

Und das eigentliche Thema, die Wohlfahrt? De Maizière und Schwesig versuchen, möglichst elegant die Kurve von der Sicherheit zu muslimkonformen Altenheimen zu nehmen. Solche Angebote seien ein „wertvoller Beitrag für ein friedliches Zusammenleben“, sagt de Maizière. Angebote an muslimische Senioren, die in Deutschland alt werden wollten, seien Teil des „sozialen Kits“, sagt Schwesig. Konkret geht es zum Beispiel darum, dass muslimische Frauen oft darauf Wert legen, von einer Frau gepflegt zu werden. Und dass muslimische Jugendvereine radikalen Gruppen den Boden entzögen, weil sie sich um die Probleme der Jugendlichen wie Diskriminierung kümmerten, sagt Schwesig.

Die Ministerin für Familie und Jugend, in deren Haus es nun ein Referat für „Demokratie und Vielfalt“ gibt, nutzte die Gelegenheit, um ihre Bundesprojekte gegen Extremismus ins Licht zu rücken, für die seit Jahresbeginn zehn Millionen Euro mehr zur Verfügung stehen. Das Budget wurde von 30,5 auf 40,5 Millionen Euro aufgestockt. Das Geld soll in Projekte gegen gewaltorientierten Salafismus, Antisemitismus und Islamismus fließen. Gedacht wird an Präventionsarbeit in Schulen oder Ausstiegsangebote für radikalisierte Muslime. Auch Anlaufstellen für Angehörige von Jugendlichen, die in Extremistenkreise geraten, sind geplant. Am Ende ist selbst die Familienministerin nicht um die Frage nach der Sicherheit herumgekommen.

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