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Stunde der Trauer

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Dass dem Deutschen Bundestag Pathos fremd ist, zeigt sich an diesem Morgen. Das Parlament ist zusammengekommen, um der Terroropfer von Paris zu gedenken. Der Plenarsaal ist voll wie selten. Auch die Kanzlerin und 14 ihrer 15 Minister sind gekommen. Auf der Tribüne sitzen die Botschafter Frankreichs und Israels. Es ist also alles gerichtet für einen staatstragenden Beginn. Doch was macht Bundestagspräsident Norbert Lammert? Er gratuliert nach der Sitzungseröffnung erst einmal drei Abgeordneten nachträglich zum Geburtstag. Dann lässt er auch noch ein neues Mitglied für den „Beirat der Bundesnetzagentur für Elektrizität, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen“ wählen. Erst dann steht der Bundestagspräsident auf und beginnt mit seiner Rede zu den Untaten von Paris. In der französischen Nationalversammlung oder dem US-Kongress würden Sitzungen wie diese anders beginnen.



Bundeskanzlerin bei der Gedenkminute für die Opfer von Paris im Bundestag. In ihrer anschließenden Rede bezeichnete die Kanzlerin Terror im Namen des Islam als „Gotteslästerung, nichts anderes“.

Was dann folgt, gereicht dem Bundestag aber zur Ehre. Es wird eine Debatte voller Nachdenklichkeit. Und eine Stunde, in der selbst die am Redepult ansonsten unauffällige Kanzlerin das Auditorium aufmerken lässt – auch wenn sie sich einen peinlichen Versprecher leistet.

„Der Mordanschlag von Paris galt nicht allein einer bestimmten Zeitung und den Menschen, die sie machen, er galt der Freiheit der Meinung und der Presse“, sagt Lammert. Die Demokratie sei „die in Europa gewachsene Verfassung der Freiheit“. Aber diese Freiheit sei nur möglich, wenn Zweifel erlaubt sind: „Zweifel an dem, was wir kennen, was wir gelernt haben, was wir wissen und zu wissen glauben, was wir zu glauben gelernt haben.“ Dieser Zweifel sei „der Zwillingsbruder der Freiheit“. Ohne Zweifel an tradierten Positionen und Kritik an bestehenden Verhältnissen gebe es weder Fortschritt noch Freiheit, sagt der Bundestagspräsident. Deshalb habe die Freiheit „der jeweils eigenen Meinung, der Rede, der Kunst und nicht zuletzt der Presse eine herausragende, unaufgebbare Bedeutung“ für Demokratien. Und deshalb werde man sie weder von islamistischen Terroristen noch von sonst jemanden zur Disposition stellen lassen.

Wer wegen der Pariser Anschläge aber eine „Islamisierung des Abendlandes“ proklamiere, betreibe „Demagogie statt Aufklärung“, sagt Lammert. „Unser Gegner ist nicht der Islam, sondern der Fanatismus, nicht Religion, sondern Fundamentalismus.“ Der Bundestagspräsident warnt jedoch auch die Pegida-Gegner davor, es sich zu einfach zu machen. „Die gut gemeinte Erklärung“, man dürfe den Islam nicht mit dem Islamismus verwechseln, reiche nicht aus – und sei ebenso wenig wahr, wie die Behauptung, die Kreuzzüge, die Inquisition und die Hexenverbrennungen hätten nichts mit dem Christentum zu tun, sagt Lammert. Die Frage, wie die Tötung von Menschen im Namen Gottes überhaupt möglich sei, sei durch Tabuisierung nicht zu beantworten. Umso notwendiger sei die eindeutige Stellungnahme islamischer Verbände bei der Veranstaltung vor dem Brandenburger Tor gewesen.

15 Minuten dauern die „einleitenden Worte des Bundestagspräsidenten vor Eintritt in die Tagesordnung“, wie das pathosfreie Protokoll des Parlaments die Rede nennt. Dann fordert Lammert die Abgeordneten auf, sich im Gedenken an die Opfer von Paris zu erheben. Es wird ein beeindruckender Moment der Stille in dem ansonsten so lauten Plenarsaal.

Als sich die Stille wieder löst, tritt Angela Merkel ans Pult. „Wir sind erschüttert und fassungslos über den Tod von 17 unschuldigen Menschen“, sagt die Kanzlerin zu den Anschlägen von Paris. Die Freiheit der Presse sei „einer der größten Schätze unserer Gesellschaft“. Die Voraussetzung dafür sei Toleranz. Diese Tugend dürfe man aber nicht mit Standpunktlosigkeit verwechseln. Religionsfreiheit und Toleranz meinten nicht, dass im Zweifelsfall die Scharia über dem Grundgesetz stehe. Die Taten von Paris hätten mit Religion nichts zu tun, sagt Merkel. Die Anmaßung der Terroristen, im Namen des Islam zu handeln, sei „Gotteslästerung, nichts anderes“.

Merkel nimmt die Muslime in Deutschland gegen pauschale Schuldzuweisungen in Schutz und spricht erneut vom Islam, der zu Deutschland gehöre. Jede Ausgrenzung verbiete sich, sagt Merkel. Die allermeisten Muslime seien „rechtschaffene und verfassungstreue Bürger“. Aber dann nimmt auch Merkel die islamische Geistlichkeit in die Pflicht. Die Frage, warum so viele Mörder sich bei ihren Taten auf den Islam berufen, bedürfe einer Antwort, sagt Merkel. Die Menschen wollten wissen, an was das liege – das seien „berechtigte Fragen“. Sie halte deren Klärung durch die Geistlichkeit des Islam für „wichtig“ und „dringlich“. Dabei fordert die Kanzlerin auch klare Worte gegen den Antisemitismus. Schließlich gehe es bei den Pariser Anschlägen um „zwei der großen Übel unserer Zeit“, den islamistischen Terror und den Antisemitismus. Doch dann verspricht sich Merkel, sie scheint es noch nicht einmal zu merken. „Antisemitismus ist unsere staatliche und bürgerliche Pflicht“, sagt die Kanzlerin. Gemeint hat sie natürlich genau das Gegenteil.

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