Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Das große Schuldenspiel

$
0
0

Möglicherweise liegt das Problem darin, dass es in Athen am Sonntag voriger Woche keinen normalen Regierungswechsel gab. Wobei „normal“ bedeutet hätte: Die ausscheidende Regierung bereitet in einer Übergangszeit alles vor, damit das neue Team möglichst reibungslos mit dem Regieren beginnen kann. Tatsächlich lief der Wechsel so ab: Wie bei einer Revolution verließ die Mannschaft des abgewählten konservativen Ministerpräsidenten Andonis Samaras noch am Abend des 25. Januar ihre Büros, die neuen Leute des linken Populisten Alexis Tsipras rückten tags drauf ein. Weil eine Einarbeitungsphase fehlte, hatten die Neuen herzlich wenig Ahnung von den Dingen, die sie erwarteten. Daher ist die Vermutung nicht abwegig, dass der radikale Finanzminister Yanis Varoufakis nicht nur aus revolutionärem Eifer, sondern auch aus Unwissenheit einen Schuldenschnitt für Griechenland forderte und so die Angst vor einer Staatspleite und vor „Grexit“ nährte, dem Ausstieg Griechenlands aus dem Euro.



Der griechische Finanzminister Varoufakis besteht nicht mehr auf einen Schuldenschnitt. Stattdessen legte er zwei pragmatische Vorschläge vor, um das Land wirklich reformieren zu können.

Für die These vom Anfänger-Dilettantismus spricht, dass sich Varoufakis inzwischen sehr viel milder äußert. Nein, er wolle keinen Großkonflikt mit den Gläubigern, er bestehe nicht einmal auf einem klaren Schuldenschnitt. Auf seiner Europatour legte er in London zwei sehr pragmatische Vorschläge vor: Athen wolle neue Anleihen ausgeben, deren Zins an das Wachstum Griechenlands gekoppelt ist. Außerdem sollen Anleihen ohne begrenzte Laufzeit eingeführt werden, sogenannte Ewigkeits-Bonds. Der Financial Times sagte der Minister: „Helft uns, unser Land zu reformieren und gebt uns ein wenig Finanzspielraum, um dies zu tun. Sonst ersticken wir und werden ein deformiertes und kein reformiertes Griechenland.“ Alexander Kritikos, Ökonom beim Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), meint: „Anleihen, die ans Wachstum gekoppelt sind, könnten tatsächlich der Ausweg aus dem Dilemma sein.“ Wahrscheinlich stammt die Idee von Matthieu Pigasse, dem linken französischen Banker der Varoufakis berät. Die Börsen reagierten jedenfalls erleichtert, die Kurse stiegen.

Momentan hat Griechenland nach Angaben der Regierung in Athen Außenstände von 322Milliarden Euro. Das entspricht einem Anteil am Bruttoinlandsprodukt von 175 Prozent. Ein Land mit hoher Sparquote und starker Exportwirtschaft könnte so eine Schuldenlast bewältigen. Beides hat Griechenland offenkundig nicht, daher gilt die Staatsschuld Athens allgemein als untragbar. Aus diesem Grund gibt es auch, bei allem Ärger über das zunächst rüpelhafte Auftreten von Varoufakis, eine gewisse Sympathie für dessen Anliegen.

Was dabei meist vergessen wird ist, dass Griechenlands Partner in der Euro-Zone auf die prekäre Lage des Landes längst Rücksicht genommen haben: Sie streckten die Laufzeit der Kredite so weit, dass der Schuldendienst gegenwärtig kaum ein Problem für die griechische Staatskasse darstellen dürfte, aus ökonomischer Sicht jedenfalls. Politisch allerdings hat der Minister die Finanzmärkte mit seinen kühnen Worten in den ersten Tagen so aufgeschreckt, dass Athen zunächst einmal kein Geld auf dem Kapitalmarkt mehr bekommen dürfte. „Der Regierung steht das Wasser bis zum Hals“, sagt Ökonom Kritikos.

Gläubiger der Regierung sind seit 2012 überwiegend öffentliche Institutionen: der europäische Rettungsschirm EFSF mit 44 Prozent, nationale Regierungen (18 Prozent), der Internationale Währungsfonds (IWF) zehn Prozent und die Europäische Zentralbank (EZB). Der Rest sind private Kreditgeber. Größte Gläubigernation ist Deutschland über bilaterale Kredite und den deutschen Anteil am EFSF mit etwa 54 Milliarden Euro. An zweiter Stelle kommt Frankreich mit 40 Milliarden Euro.

Die öffentlichen Gläubiger sind Griechenland bei Zins und Tilgung weit entgegengekommen: Tilgung für die bilateralen Kredite wird erst von 2020 an mit einer Jahresrate von zunächst 706 Millionen Euro fällig, die Tilgung für EFSF-Kredite beginnt 2023 mit 2,3 Milliarden Euro.

Lediglich für den IWF-Kredit werden bereits in diesem Jahr 8,5 Milliarden Euro fällig, was mit der besonderen Rolle des Fonds als Gemeinschaft von 188 Ländern aus der ganzen Welt zusammenhängt. Außerdem werden Anleihen im Wert von 6,7 Milliarden Euro fällig, die meisten davon bei der Europäischen Zentralbank. Diese will Varoufakis durch seine „Ewigkeits-Bonds“ mit unbegrenzter Laufzeit ersetzen. So würde der Athener Staatshaushalt erst einmal geschont.

Auch die Zinsen sind für Athen extrem günstig. Für bilaterale Kredite galt 2014 ein Zinssatz von 0,582 Prozent, beim IWF muss die Regierung 3,77 Prozent an Zins und Gebühren zahlen, für den größten Teil der EFSF-Kredite gilt ein Zinsmoratorium bis 2022.Die niedrigen Zinsen und Streckung der Tilgung kommen faktisch einem Schuldenschnitt gleich, auch wenn die Schuldensumme nominell nicht sinkt. Nicht zu vergessen ist auch, dass Griechenland bereits 2012 von den privaten Gläubigern einen Schuldenschnitt von 107 Milliarden Dollar erhalten hat, was damals ungefähr der Hälfte des griechischen Bruttoinlandsprodukts entsprach. Im Verhältnis ist dies einer der höchsten Schuldennachlässe der Geschichte.

Jetzt geht es allerdings auch um kurzfristige Probleme: Athen hat zur Finanzierung des Haushalts im vergangenen Jahr 14 Milliarden Euro an kurzfristigen Anleihen begeben. Die Anleihen liegen überwiegend bei griechischen Banken; auch einige internationale Hedgefonds haben dort ihr Geld angelegt. Diese Form der Finanzierung dürfte der Regierung Tsipras bis auf weiteres versperrt sein. Griechenlands Banken haben mit anhaltender Kapitalflucht zu kämpfen. Der Zins auf zehnjährige griechische Staatsanleihen, ein Maß für das Vertrauen am Kapitalmarkt, ist seit Mitte Januar von 8,4 auf mehr als elf Prozent gestiegen.

Und dann das Problem der „Troika“. Das Gremium aus EZB, IWF und Vertretern der EU-Kommission, das die im Rahmen der Rettungspakete vereinbarten Reformen überwachen soll, ist unter Griechen verhasst. Es war unter anderem dieser Hass, der zum Wahlsieg der linkspopulistischen Syriza beigetragen hatte. Folgerichtig hatte die neue Regierung als einen ihrer ersten Schritte die Zusammenarbeit mit der Troika gekündigt. Aber was nun?

Klar ist, dass der IWF aufgrund seiner Statuten nur dann einem Mitgliedsland helfen darf, wenn dieses sich auf Reformen einlässt und wenn diese Reformen von Fachleuten des IWF überwacht werden . Das ist ein Eingriff in die Souveränität eines Landes, aber der ist unvermeidbar, wenn dieses Land internationale Hilfe in Anspruch nimmt. Auch die Europäer müssen darauf bestehen, dass ihre Hilfe nicht unkontrolliert vergeben wird. Etliche Experten bleiben sehr skeptisch: „Tsipras will die Schulden loswerden, weil er Zugang zum Kapitalmarkt braucht, um seine Wahlversprechen zu erfüllen“, sagt Commerzbank-Analyst Christoph Weil. Andere trauen Syriza zu, endlich den Kampf gegen die Korruption aufzunehmen. Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) forderte, die EU-Mitgliedstaaten sollten die neue Athener Regierung unterstützen, indem sie Konten griechischer Steuerbetrüger einfrieren. „Wenn jetzt die neue griechische Regierung ernst macht mit der Bekämpfung von Korruption und Steuerhinterziehung, dann sollte die gesamte Europäische Union das aktiv unterstützen“, sagte Gabriel der Bild-Zeitung.

Italiens Regierungschef Matteo Renzi geht davon aus, dass die EU und Griechenland im Schuldenstreit eine gemeinsame Basis finden können. Die Bedingungen dafür seien gegeben, sagte Renzi am Dienstag nach einem Treffen mit Tsipras in Rom. Dieser bat um Zeit, damit seine neue Regierung ihre Pläne zur Neuordnung der Wirtschaft und für Reformen vorbereiten könne. Es werde keine neuen Haushaltsdefizite geben.


Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345