Es braucht Geduld in der Forschung, aber noch mehr Geduld braucht es, um Platz für die Forschung zu schaffen. Kaum jemand dürfte das besser wissen als der Präsident des Robert-Koch-Instituts. Sichtlich erleichtert und gerührt wirkte Reinhard Burger am Dienstag, als er nach 14 Jahren Planung in Gegenwart der Bundeskanzlerin das neue, 170 Millionen Euro teure Hochsicherheitslabor des Instituts einweihen konnte. Es ist zwar bereits das vierte Labor dieser höchsten mikrobiologischen Sicherheitsstufe in Deutschland, aber das erste einer Bundesbehörde. Zu den dort untersuchten Keimen zählen vor allem Viren, die hämorrhagische Fieber auslösen, also die Blutgefäße schädigen und innere Blutungen auslösen. Der prominenteste Vertreter der sogenannten L4-Viren heißt Ebola.
Vor allem an tödlichen Viren wie Ebola soll am neuen Robert-Koch-Institut in Berlin Wedding geforscht werden.
Das neue Labor liegt mitten in der Bundeshauptstadt, unmittelbar angegliedert an die größte Isolierstation der Republik auf dem Virchow-Campus der Charité. Es ist als Gebäude im Gebäude angelegt, ein vierstöckiger Kubus im Seitenflügel des Komplexes, der auf drei Etagen ausschließlich Technik beherbergt, eine „Maschine mit ein bisschen Beton drumherum“, wie Reinhard Burger sagt. 80000 Meter Kabel sind darin verlegt, es gibt sogar ein eigenes Blockheizkraftwerk. Das Labor selbst wirkt – abgesehen natürlich von bruchfester Verglasung, einer vollständigen Edelstahlverkleidung, Desinfektionsduschen, Schleusen und belüfteten Gummischutzanzügen – wie ein normales, nagelneues Laboratorium. Es wurde allerdings so angelegt, dass ohne Auszeiten gearbeitet werden kann: Jedes Labor ist doppelt vorhanden. Wird die eine Seite wie vorgesehen jährlich gewartet, kann es auf der anderen weitergehen.
Womit sich die Wissenschaftler im neuen Schmuckstück des Instituts genau befassen werden, darüber halten sich die Beteiligten allerdings ein bisschen bedeckt. Viele Projekte seien noch gar nicht entschieden. Fest steht, die Einrichtung soll sich vor allem an den Aufgaben der Behörde orientieren. Die liegen im Bereich der Seuchenkontrolle und -überwachung. „Das bedeutet für uns, dass wir uns zunächst mit Diagnostik befassen und die Eigenschaften von Erregern untersuchen“, sagt der Laborleiter. Für viele Erreger gebe es zum Beispiel kaum Daten darüber, wie lange sie auf Oberflächen oder in der Umwelt ansteckend bleiben. Zugleich ist klar, dass es bei solch einfach anmutenden Fragen nicht bleiben kann. So können in dem neuen Labor auch genetisch veränderte Erreger untersucht und sogar Keime mit künstlich hinzugefügten Eigenschaften hergestellt werden. Solche „gain of function“-Experimente sind zur Zeit heftig umstritten, nachdem Forscher mithilfe der Genetik extrem gefährliche Grippeviren im Labor erschaffen haben. Kurth kann nicht ausschließen, dass es auch in Berlin „gain of function“-Experimente geben wird. Derzeit stünden sie aber nicht auf der Agenda.
„Mich interessiert, wie Infektionen zum Menschen gelangen“, sagt Kurth, der selbst erst seit vier Jahren in Hochsicherheitslabors arbeitet, aber zusammen mit anderen Forschern in Afrika Tiere gesucht hat, die als Reservoirs für Erreger wie Ebola oder Marburg dienen könnten. Er kann sich deshalb vorstellen, dass in dem kleinen Tierstall des Labors neben Mäusen irgendwann auch exotische Nagetiere oder Fledermäuse einziehen.
Dass das Robert-Koch-Institut nun über eine solche Einrichtung verfügt, ist wohl auch ein politisches Signal an die Behörde, sich nach Jahrzehnten vorwiegend national orientierter Fürsorge zunehmend auch globalen Gesundheitsproblemen zu widmen. So klang es auch am Tag der Einweihung in der Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel an, die eine „noch wichtigere Rolle“ Deutschlands in der Bekämpfung von Infektionskrankheiten wünschte. Und nicht ganz zufällig dürfte die Wahl des zweiten Festredners auf eine der wichtigsten Figuren des internationalen Gesundheitsmanagements gefallen sein: Der amerikanische Epidemiologe David Heymann war für die Seuchenbehörde der USA und die Weltgesundheitsorganisation tätig, erlebte die ersten zwei großen Ebolaausbrüche in Afrika mit und betonte in Berlin ebenfalls Deutschlands Rolle im Kampf gegen Ebola und andere Viren.
Ob das für die Bewohner der Hauptstadt ein Kriterium ist? Andreas Kurth muss sich immer wieder Fragen nach der Sicherheit des Labors stellen lassen. Der Laborleiter hat für die Sorge zwar Verständnis, allerdings gibt er sich überzeugt, dass gerade in diesem neuen Labor für jeden auch nur denkbaren Notfall gesorgt ist: Fällt die Lüftung aus, springt eine zweite an. Gibt es einen Stromausfall, übernehmen die Notstromaggregate. Wird im Labor jemand ohnmächtig, schleppt ihn ein Kollege zur Desinfektion in die Materialschleuse. Verletzt sich ein Mitarbeiter mit einer infektiösen Nadel, gibt es im angrenzenden Virchowklinikum ein Spezialteam, das den Betroffenen versorgt, sobald er desinfiziert und aus dem Schutzanzug befreit ist. „Wir würden dann versuchen, experimentelle Medikamente zu bekommen“, sagt Kurth.
Die Angst davor, dass ein Erreger in die reich bevölkerte Umwelt ausbüxt, teilen die Mitarbeiter des RKI nicht. „Es hat so etwas bislang noch nie gegeben“, sagt Andreas Kurth. Ob das für die Bewohner des Stadtteils Wedding eine Beruhigung ist, muss sich aber zeigen. Bis die ersten Ebolaviren in die blitzblanken Probenschränke des neuen Labors einziehen, dauert es ohnehin noch eine Weile. Zunächst beginnen die technischen Testläufe, danach wird erst einmal mit weniger gefährlichen Keimen der Sicherheitsstufe 2 geprobt. Wenn alles glatt geht, können Kurth und seine Mitarbeiter am Ende dieses Jahres mit den echten Killern loslegen.