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Alternative zur Alternativlosigkeit

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Als der junge, forsche Präsident sein Amt antrat, legte er sich als Erstes mit den mächtigen Ausländern an, die seiner Meinung nach zu lange die Geschicke des Landes bestimmt hatten. Seine Vorgänger, verkündete er, hätten sich von neoliberalen Dogmatikern leiten lassen. Weltbank und IWF setzte er erst einmal vor die Tür, er kündigte Verträge für ausländische Armeebasen und Rohstoffabkommen. Anstatt mit alten Kadern umgab er sich mit jungen, dynamischen Beratern und Ministern, die in Nichtregierungsorganisationen groß geworden waren. Die Altparteien der Eliten, die sich bis dahin an der Macht abgelöst hatten, verschwanden in der Versenkung. Der junge Präsident wurde zweimal wiedergewählt.

Rafael Correa wurde 2007 erstmals Präsident von Ecuador. Da war er in etwa so alt, wie Alexis Tsipras jetzt ist. Auch sonst gibt es Ähnlichkeiten zwischen dem Ecuadorianer und dem Griechen: das smarte Auftreten, die zu Unbelehrbarkeit neigende Forschheit, die kritische Haltung zu gängigen wirtschaftspolitischen Dogmen, die Lust an der Provokation. Und den trotzigen Willen, der Welt zu zeigen, dass ihre kleinen, krisengeschüttelten Länder es schaffen könnten, wenn man sie nur ihren Weg gehen ließe. Diesem Willen opfern sie sogar die linke politische Korrektheit: Correa überwarf sich mit den NGOs, die ihn groß gemacht hatten. Tsipras verprellte europäische Sympathisanten, indem er sich einen rechtspopulistischen Koalitionspartner nahm, den er kontrollieren kann und den er mit dem unbedeutenden Verteidigungsministerium abspeiste.



Die Entwicklungen in Südeuropa weisen Parallelen zu denen Südamerikas in den letzten Jahrzehnten auf. Wie auch
der neue griechische Premier Alexis Tsipras, so kam auch Ecuadors Präsident Rafael Correa (hier im Bild vom Januar 2014) sehr jung ins Amt und legte eine kritische Haltung zu gängigen wirtschaftspolitischen Dogmen an den Tag.


Die Parallelen zwischen Tsipras und Correa sind zum Teil dem Zufall geschuldet – die zwischen dem Ecuadorianer und der spanischen Podemos-Bewegung nicht. Deren Anführer Pablo Iglesias, der „spanische Tsipras“, beruft sich ausdrücklich auf die lateinamerikanische Linke, er findet Brasilien und Ecuador als Vorbilder „interessant“. Es gibt auch personelle Verbindungen zwischen Podemos und dem Chavismus in Venezuela. In Spanien wurde Iglesias von der konservativen Presse schon als europäischer Chávez geschmäht, was angesichts der Temperamentunterschiede übertrieben erscheint, und was Iglesias auch gar nicht mehr so gerne hört, seit Venezuela taumelt. Doch seine Anhänger sind weiterhin voller Bewunderung dafür, wie die ehemaligen Kolonien sich unter linker Ägide seit der Jahrtausendwende emanzipiert haben.

Sie kommen aus allen Teilen der spanischen Bevölkerung. Zu den Kundgebungen von Podemos gehen Alte und Junge, Rentner und Arbeitslose, vor allem Akademiker, die mobil und hochgebildet sind, und trotzdem vor dem Nichts stehen. Der Essayist und Journalist Enric Juliana warnte vor Jahren vor einer „Mexikanisierung“ Südeuropas. Spaniens Zukunft sei atlantisch, prognostizierte er damals, und meinte die Exportchancen. Nun mehren sich aber die Anzeichen, dass sich sogar die Politik Spaniens lateinamerikanisieren könnte. Eine umgekehrte Conquista sozusagen.

Die Ähnlichkeit beginnt beim Nationalismus. Juliana wies jetzt darauf hin, wie selbstverständlich die neue Linke Spaniens das Wort „patria“ im Munde führe, das seit der Franco-Zeit tabu war. Ähnlich klingt es bei Chávez und Correa, inzwischen aber auch im Griechenland von Tsipras und sogar in Renzis Italien. Es ist die Reaktion auf das Gefühl, dem hegemonialen Diktat Brüssels ausgesetzt zu sein.

Der Europa-Gedanke wird zum Glück nicht ganz untergepflügt. Es gibt sogar den Glauben, dass im Süden die Alternative zur Alternativlosigkeit heranwachse. „Das Europa der Händler, das Europa Angela Merkels und der Finanzhaie ist nicht unser Europa“, sagt Podemos-Chef Iglesias. Mit ähnlicher Rhetorik kündet die lateinamerikanische Linke davon, dass „Nuestra América“ nun nicht mehr der Hinterhof der USA sein solle, sondern ein Partner.

In Lateinamerika wurde viel vorweggenommen, was derzeit in Europa passiert. US-Präsident Ronald Reagan hatte den südlichen Teil des Kontinents in den Achtzigerjahren als Experimentierfeld für die marktliberale Revolution auserkoren. Zum Teil noch unter Deckung der Diktaturen, aber auch nach der Demokratisierung hatten US-amerikanische Wirtschaftsstrategen freie Hand. Ihr Rezepte waren den heutigen der EU-Troika nicht unähnlich. In Bolivien wurde der Bergbau privatisiert, in Argentinien die Eisenbahnen, Ecuador führte gar den US-Dollar ein. Das erbrachte Wachstum, allerdings auch einen Verfall der Infrastruktur, die nur dann bedient wurde, wenn es sich rentierte. Nichts trug das Wachstum zum Abbau der Armut bei, weil die Erlöse meist bei den postkolonialen Eliten und internationalen Konzernen blieben. In Bolivien und Ecuador leerten sich ganze Landstriche, Hunderttausende suchten das Heil in der Auswanderung.

Die Daheimgebliebenen begannen, links zu wählen. In Argentinien kam Néstor Kirchner, in Bolivien Evo Morales, in Brasilien Lula da Silva und in Ecuador Rafael Correa an die Macht. Sie machten Rohstofferlöse erstmals breiten Schichten zugänglich. Spanische und griechische Geld-Eliten unterscheiden sich von lateinamerikanischen nur dadurch, dass sie keinen Zugriff auf Rohstoffe haben. Ihr Rentenkapitalismus ist ganz von Immobilienblasen, EU-Geld und Korruption abhängig. In diesen Klientelismus sind die Traditions-Sozialisten wie die spanische PSOE oder die griechische Pasok genauso verstrickt wie die Konservativen. „La Casta“, die Kaste, werden sie in Spanien genannt – aus Podemos-Sicht sind sie neben der EU-Troika das Haupthindernis für eine Erneuerung.

Wie diese aussehen soll, ist bisher nur in Konturen zu erkennen. Die Abhängigkeit von Öl und Erz hat sich in Lateinamerika durchaus auch negativ ausgewirkt. Jetzt, da die Preise fallen, ist das Umverteilungsmodell gefährdet – auch wenn Ecuador immer noch ein Wachstum von fünf Prozent aufweist und die meisten Ecuadorianer sagen, es gehe ihnen besser als früher. Doch allgemein wurde während der Boomjahre zu wenig in Produktivität investiert.

Genau daran wird die neue Linke Südeuropas gemessen werden: ob es ihr gelingt, nicht nur „venceremos“ zu rufen – sondern ihr Selbstbewusstsein über die mediterrane Rhetorik hinaus in produktive zählbare Erfolge zu überführen, die dann auch Menschen ernähren. Der Verbund im Euro bietet dafür Voraussetzungen. Doch es kann nur klappen, wenn Europa gemeinsam am Aufschwung arbeitet, und es nicht zulässt, dass die Länder des Südens sich am argentinischen Autarkismus orientieren. Dafür aber wird mehr Dialog und deutlich weniger Direktive nötig sein als bisher.


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