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"So viel Angst"

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Man kann mit Friedrich Stapf reden, aber er lässt sich nicht mehr zitieren. Kein Kommentar. Das war nicht immer so, im Gegenteil: Es gab Zeiten, da hat er sich geradezu inszeniert. Schöne Frauen, teure Jachten, schnelle Autos, eine Art Playboy-Arzt zeigte sich Ende der Neunzigerjahre in der Öffentlichkeit. In einer Talkshow erzählte er vom Unfall mit seinem Mercedes SL 500, den er überlebte, und sprach von den „vielen Tausend Schutzengeln“, die über ihn wachten. Er spielte auf seinen Ruf als „Engelmacher“ an: als Spezialist für Abtreibungen.



Der bekannte Abtreibungsarzt Friedrich Stapf findet in Stuttgart keine neue Immobilie mehr für seine Klinik und muss nun schließen.

Ein Mann, der von Abtreibungen gut lebt und dies seinen „Traumberuf“ nennt: der ist für Abtreibungsgegner eine einzige Provokation. Aber Stapf nahm immer für sich in Anspruch, im Namen der Frauen zu handeln. Er beriet Politiker bei der Reform des Paragrafen 218, er klagte vor dem Bundesverfassungsgericht erfolgreich gegen das bayerische Gesetz, mit dem die CSU die Hürden vor einer Abtreibung erhöhen und Spezialkliniken lahmlegen wollte. Und stets wurde ihm bescheinigt, in seinen Kliniken würden die Frauen respektvoll behandelt. Nun aber will Stapf nur noch seinen Anrufbeantworter in Stuttgart für sich sprechen lassen: „Da wir auf dem freien Mietmarkt keine Räume für unsere Klinik finden konnten und da die Stadt sich nicht in der Lage gesehen hat, uns andere Klinikräume zur Verfügung zu stellen, ist die Klinik Stapf leider ab 31. Januar 2015 endgültig geschlossen.“

Die Aufregung ist groß in Stuttgart. Friedrich Stapf, 68, betreibt seine Klinik hier bereits seit 1991, es ist die größte in Baden-Württemberg. Erst 1993 konnte Stapf, gegen den Widerstand der CSU, in München seine Arbeit aufnehmen. In Stuttgart nimmt Stapf nach eigenen Angaben jährlich 2200 Abtreibungen vor, ein Fünftel aller für Baden-Württemberg ausgewiesenen Eingriffe. Sollte er dichtmachen, woran noch nicht alle glauben, muss die Politik dafür sorgen, dass die Lücke geschlossen wird. Die Frauen haben einen gesetzlichen Anspruch darauf. Es geht aber auch um den Ruf Stuttgarts. Radikale Abtreibungsgegner machen Stapf das Leben schwer. Konnten sie das Klima wirklich so vergiften, dass nun abtreibungswillige Frauen fürchten müssen, nicht mehr angemessen betreut zu werden?

Nüchtern betrachtet ist Stapf – respektive seine Ehefrau, die die Geschäfte führt – erst einmal selbst schuld. Er versäumte es, den Mietvertrag mit der Stadt zu verlängern. Bei der Suche nach neuen Räumlichkeiten schien er im November fündig geworden zu sein. Doch vor Unterzeichnung des Mietvertrags gelangte die Sache an die Öffentlichkeit. Christliche Fundamentalisten, organisiert in der Initiative „Nie wieder“, setzten den Eigentümer der Immobilie unter Druck, der Deal platzte. Auf ihrer Webseite und in Mails an Bürgermeister, Stadträte, Immobilienbesitzer ziehen sie Parallelen zwischen Abtreibung und Holocaust, auf dem Gehsteig vor Stapfs Klinik belagern einige von ihnen sogar Patientinnen. Klaus Günter Annen aus Weinheim, ein bundesweit bekannter Aktivist in Sachen „Lebensschutz“, lenkt die Kampagne.

„Wer so agiert, befindet sich nicht im christlichen Spektrum“, sagt Werner Wölfle, der grüne Bürgermeister, der für die Krankenhäuser Stuttgarts zuständig ist. Den radikalen Abtreibungsgegnern alle Verantwortung zuzuschreiben, hält er jedoch für „zu viel der Ehre“. Er habe Stapf mehrere Objekte zu vermitteln versucht, letztlich habe der auch unternehmerisches Risiko gescheut und sich ganz auf die Stadt verlassen. Die Grundstimmung in Stuttgart hält Wölfle für „absolut liberal“, auch wenn sich AfD-Gruppierungen an einer Demonstration gegen Stapf beteiligten.

„Ich fühle mich um zwanzig Jahre zurückversetzt“, sagt Marion Janke, leitende Ärztin von Pro Familia in Stuttgart. Sie findet es „erschreckend, dass eine kleine Gruppe so viel Angst verbreiten kann“. In mehreren Fällen sei Stapf nicht als Mieter akzeptiert worden, weil die Eigentümer Angst vor der Belagerung durch die „Lebensschützer“ hätten. Nicht nur Stapf, sondern auch andere Abtreibungsärzte würden nicht mehr wagen, sich öffentlich zu äußern. Janke selbst wurde angefeindet, weil sie vor einer „Versorgungslücke“ warnte, sollte die Stapf-Klinik schließen. Der Begriff sei unangemessen, schließlich gehe es um menschliches Leben. Die Kritik kam nicht nur von organisierten Abtreibungsgegnern. Der AfD-Stadtrat Heinrich Fiechtner empfahl ihr, Pro Familia solle sich in „Contra Familiam“ umbenennen.

Wie es nun weitergeht in Stuttgart? Laut Paragraf 13 des Schwangerschaftskonfliktgesetzes sind die Länder dazu verpflichtet, „ein ausreichendes Angebot ambulanter und stationärer Einrichtungen zur Vornahme von Schwangerschaftsabbrüchen“ sicherzustellen. Sozialministerin Katrin Altpeter von der SPD verweist darauf, sie habe keine Handhabe, den Anspruch durchzusetzen. Schließlich kann kein Arzt gezwungen werden, Abtreibungen vorzunehmen. Sie setzt auf weitere Gespräche. Bürgermeister Wölfle glaubt, nach einigen Monaten werde sich die Situation normalisieren; mehrere Gynäkologen haben ihm signalisiert, sie wollten ihr Angebot ausweiten. Pro Familia wiederum hält eine Klinik, die ganz auf Abtreibungen spezialisiert ist, für unersetzlich. Die Stadt müsse nun notfalls selbst für Stapf als Mieter einspringen. Friedrich Stapf, Deutschlands bekanntester Abtreibungsarzt, sagt derweil gar nichts, mit gutem Grund. Auch in München hat er Ärger mit radikalen Abtreibungsgegnern, auch dort muss er demnächst umziehen.



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