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Primus mit Macken

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Ein Teil der Madrider Wirtschaftspresse jubelte, als kürzlich die Zahlen für das letzte Quartal 2014 herauskamen: „Spanien ist die Wachstumslokomotive Europas.“ Es war das sechste Quartal in Folge mit Wachstum, in der Jahresbilanz 2014 waren es 2,0 Prozent, mehr als selbst Optimisten vorausgesagt hatten. Doch macht nun ein neues Wort die Runde, das für allgemeine Verunsicherung sorgt: Tsiglesias, zusammengesetzt aus dem Namen des griechischen Premiers Alexis Tsipras und des Vorsitzenden der linksalternativen Oppositionspartei Podemos Pablo Iglesias. Podemos (Wir können es) hat sich in Spanien Umfragen zufolge mit einem Viertel der Stimmen an die Spitze gesetzt, dicht gefolgt von den ebenfalls oppositionellen Sozialisten und der konservativen Volkspartei (PP) unter Premier Mariano Rajoy.



Das ist nicht Athen, sondern Madrid: Zehntausende Sympathisanten der linken Partei "Podemos" zogen am vergangenen Wochenende durch die Straßen Madrids.

Allerdings sind sich Mitstreiter des Madrider Politologen, dessen Pferdeschwanz sein Markenzeichen geworden ist, sicher, dass die offensiv demonstrierte Einigkeit mit Tsipras bei der überwältigenden Mehrheit ihrer Landsleute negativ ankommt. Dafür gibt es ein ganzes Bündel von Gründen, beginnend mit den nationalen Mentalitäten. Das US-Institut Pew Research sowie die BBC haben im Sommer 2014 große Studien über Selbst- und Fremdbilder in den EU-Ländern vorgestellt. Demnach sind in den Augen der Spanier die Griechen neben den Italienern die Schlusslichter in der Kategorie „Zuverlässigkeit“. Sie vertrauen am allermeisten den Deutschen, die sie aber auch für wenig solidarisch und am zweitarrogantesten nach den Franzosen halten. Aus den negativen Werten für die anderen „Südländer“ in Spanien leiteten Wirtschaftsexperten ab, dass den „Nordländern“, die auf Konsolidierung der Staatshaushalte bestehen, keine geschlossene „mediterrane Ablehnungsfront“ notorischer Schuldenmacher drohe.

Hinzu kommt, dass in Spanien die europäischen Institutionen nach wie vor hoch angesehen sind, wesentlich mehr als die eigene politische Klasse, die parteiübergreifend vom Virus der Korruption angesteckt ist. Sowohl PP als auch Sozialisten, aber auch die postkommunistischen Gewerkschaften kämpfen mit gigantischen Affären in den eigenen Reihen. Dies ist Umfragen zufolge auch der Hauptgrund für den Höhenflug von Podemos, weniger die Hoffnung, dass ein linksalternatives Wirtschaftsprogramm das Land schneller aus der Krise führen könnte.

Deren Ursachen werden denn auch im Gegensatz zu den Griechen nicht bei Angela Merkel oder der Troika, sondern im eigenen Land verortet: Korruption und Inkompetenz der großen Parteien haben zur Immobilienblase geführt, deren Platzen vor sieben Jahren das Land an den Rand des Abgrunds geführt hat. Eine Schreckenszahl ist die hohe Jugendarbeitslosigkeit von fast 50 Prozent. Allerdings bezieht sie sich nur auf diejenigen, die zwischen 16 und 24 Jahren aktiv Arbeit suchen und keinen Erfolg dabei haben, rund acht Prozent eines Jahrgangs. Das Hauptproblem für die junge Generation ist der Mangel an attraktiven Jobs. Die Universitäten des Landes entlassen zu viele Absolventen, die selbst nach glänzendem Examen kaum eine Chance haben, eine der Ausbildung entsprechende Tätigkeit zu finden. Stattdessen fehlt es an Facharbeitern.

Im Spätherbst stehen Parlamentswahlen an. Die Kommentatoren sind sich einig, dass die Zeit bis dahin gegen Podemos arbeitet: Die neue griechische Führung werde von den meisten Medien in Spanien entweder als Chaostruppe oder Kompromissler geschmäht. Die konservative Presse wird sich auf führende Köpfe von Podemos einschießen, die mit kleinen Steuertricks ihr Privatbudget ausbessern. Vor allem aber wird die Wirtschaft weiter wachsen.

Hauptproblem für Rajoy aber bleibt die hohe Arbeitslosigkeit, die seit Inkrafttreten des rigiden Sparprogramms Anfang 2013 nur um 3,5 Punkte auf 23,5 Prozent gesunken ist. Zwar hat er Strukturreformen angekündigt, die bis Jahresende eine Million neuer Arbeitsplätze entstehen lassen sollen, aber diese Ankündigung dürfte in erster Linie als Wahlkampfparole verbucht werden. Auch könnten weitere Korruptionsaffären in den eigenen Reihen, die üblicherweise für Wahlkampfzeiten aufgespart werden, die derzeit noch mit absoluter Mehrheit regierende PP zurückwerfen.

Das Wirtschaftswachstum gibt Rajoy gegenüber Iglesias allerdings das Argument in die Hand, dass das Land sich auf dem richtigen Wege befinde. Auch im Hinblick auf Griechenland: Sollte Tsipras mit seinen Vorstößen gegen Brüssel und Berlin Erfolg haben, so könnten die Spanier beklagen, dass ihre bisherigen Anstrengungen umsonst gewesen seien. Ganz abgesehen davon, dass die Griechen auch in Madrid mit 26 Milliarden Euro in der Kreide stehen. Wirtschaftsminister Luis de Guindos kommentierte die Zahl mit den Worten: „Genau so viel müssen wir jährlich für Arbeitslosenhilfe ausgeben.“

Auch findet die Lehre, dass eine Ausweitung der Staatsausgaben Steuergelder sprudeln lässt und somit der beste Weg zur Krisenbewältigung wäre, wenig Anhänger unter Kommentatoren. Denn genau dies hatte die 2011 abgewählte sozialistische Vorgängerregierung unter José Luis Zapatero nach dem Platzen der Immobilienblase versucht und war gescheitert. Die Schuldenpolitik Zapateros hat nur zu weiterer Umverteilung von unten nach oben geführt, da die Sparer, nicht aber die Banken verloren haben. So dürfte in Spanien viel davon abhängen, ob es der PP gelingt, das Thema Korruption aus den Schlagzeilen verschwinden zu lassen. Der einzige Weg dürfte eine konsequente strafrechtliche Ahndung sein. Diese birgt aber für die großen Parteien, vor allem die Konservativen Rajoys, das Risiko, dass sie genau deshalb noch mehr an Zustimmung verlieren.

Den Ausgang der Wahlen im Spätherbst werden jedenfalls innerspanische Faktoren bestimmen, nicht die Lage in Athen.



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