Vor wenigen Tagen, Ende Januar, entschied sich die Schweizer Filiale der Großbank HSBC zu einem höchst ungewöhnlichen Schritt: Sie schickte Tausenden aktuellen und ehemaligen Kunden alarmierende Schreiben. Überschrieben sind die Briefe mit „streng privat und vertraulich“. Darunter heißt es, offenbar seien Journalisten an vertrauliche Bankdaten gelangt, die der Bank vor Jahren von einem damaligen Angestellten, einem IT-Experten, gestohlen worden seien. Man habe „führende Prozessanwälte“ eingeschaltet, aber es bestehe das Risiko, dass manche dieser Informationen „in der Öffentlichkeit auftauchen“.
Genau so ist es.
Geheime Dokumente enthüllen die dunklen Geschäfte der HSBC in der Schweiz
Jener frühere IT-Experte der HSBC heißt Hervé Falciani und ist heute einer der bekanntesten Whistleblower der Welt (Seite Drei). Falciani stahl um 2006/2007 herum die Daten von Tausenden HSBC-Kunden und ihren oftmals geheimen Schweizer Konten. An diesen Datensatz gelangten zwei Reporter von Le Monde, die den Bestand dem Internationalen Konsortium von Investigativen Journalisten (ICIJ) übergaben. Das ICIJ stellte ein Rechercheteam von mehr als 140 Reportern aus 45 Ländern zusammen, die in den vergangenen Monaten die Daten sichteten – unter ihnen auch Teams des Guardian, der BBC, des amerikanischen TV-Nachrichtenmagazins „60 Minutes“ und des Recherche-Teams von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR.
Insgesamt identifizierten die Rechercheteams 106458 Kunden aus 203 Ländern, auf deren Namen rund 60000 Haupt- und 81000 Unterkonten angemeldet waren. Nicht allen Konten des Leaks können Geldbeträge zugeordnet werden. Aber allein die enthaltenen Kontostände belaufen sich auf rund 75 Milliarden Euro.
So wird jetzt, etliche Jahre nach Hervé Falcianis Diebstahl, das wahre Ausmaß und die tatsächliche Bedeutung des wohl weltgrößten Bankdatenleaks deutlich. So versteht man auch, warum Hervé Falciani, der Whistleblower, inzwischen unter massivem Polizeischutz an wechselnden Orten in Frankreich lebt.
Denn in diesen Bankdaten trifft man nicht nur auf wohlhabende Pensionäre, die ihr Geld sicher verwahrt sehen wollten. Die Dokumente zeigen, dass die HSBC Geschäfte machte mit Personen, die verdächtigt werden, Osama bin Ladens Terrorgruppe finanziert zu haben. Mit Waffendealern, die vermutlich Granaten zu Kindersoldaten nach Afrika verbrachten. Mit Handlangern von Diktatoren, mit mutmaßlichen Händlern von Blutdiamanten oder Drogen und mit Betrügern aller Art. Man kann bestaunen, wie korrupte Regimes aus der ganzen Welt hier Millionen bunkern, man kann die Königshäuser im Nahen Osten abzählen und die Verwandten von Autokraten wie Syriens Baschar al-Assad oder dem ehemaligen tunesischen Machthaber Zine el-Abidine Ben Ali. Die HSBC war offenbar zu Diensten, wenn Vermögen außer Landes gebracht werden sollte.
Die Daten geben auch einen Einblick in die geheime Welt des Schweizer Bankensystems und belegen, wie HSBC-Mitarbeiter bereitwillig Kunden unterstützten, die ihre Vermögen vor den Steuerbehörden versteckten. Beispielsweise wurden Millionen Euro an Schwarzgeld in bar ausgezahlt, Briefkastenfirmen in der Karibik gegründet, die Zinsabschlagsteuer kreativ umgangen und anderes.
Unter den Kunden sind hochrangige Politiker und höchste Richter, Konzernlenker und Rockstars, Fußball- und Formel-1-Weltmeister, Hollywood-Schauspieler und etliche Mitglieder der reichsten Familien dieser Welt. Und Tausende weitere Kunden mit ausreichend Geld, um über ein Konto in der Schweiz nachzudenken.
Aber wie hoch mag die Quote der Steuersünder sein? Eine Untersuchung der französischen Nationalversammlung aus dem Herbst 2013 gibt einen Fingerzeig. Nach seiner Flucht aus der Schweiz nach Frankreich im Dezember 2008 hatte Falciani, der neben der italienischen auch die französische Staatsangehörigkeit besitzt, seine Daten den französischen Steuerbehörden übergeben. Deren Fahnder überprüften rund dreitausend Konten mit positivem Guthaben und kamen zu dem Ergebnis, dass nur sechs der Konten deklariert waren. Das entspricht etwa 0,2 Prozent.
Die französischen Behörden haben länderspezifische Teile des Materials im Laufe der Jahre an mindestens elf andere Länder weitergereicht. So übergab die damalige französische Finanzministerin Christine Lagarde im Jahr 2010 den griechischen Behörden eine Liste von etwa 2000 Namen, die als „Lagarde-Liste“ bekannt wurde. Zwei Jahre geschah damit nichts in Griechenland. Als die Liste wieder auftauchte, fehlten drei Namen: eine Cousine des damaligen griechischen Finanzministers und ihr Ehemann sowie der Ehemann einer anderen Cousine des Ministers. Dem droht jetzt eine Anklage wegen Amtsmissbrauch, Untreue und Urkundenfälschung.
Nach Recherchen der ICIJ-Partner liegen die Daten inzwischen Frankreich, Griechenland, den USA, Kanada, Spanien, Großbritannien, Irland, Indien, Belgien, Italien, Argentinien und Deutschland vor.
Nach Zählung von Datenexperten des ICIJ sind in den Swiss-Leaks-Dateien knapp 2000 Personen mit Verbindung zu Deutschland enthalten. Ein Team von SZ, NDR und WDR hat diese Namen gesichtet. Fest steht: Die deutschen Finanzämter konnten einiges an entgangenen Steuern zurückholen. Wie viel genau, wurde von den Finanzbehörden nicht zentral ermittelt. Weltweit liegt der Betrag der wiedergeholten Steuereinnahmen und damit verbundenen Strafzahlungen im Milliardenbereich. Etwa 264 Millionen Euro nahm der spanische Fiskus durch Falcianis Daten ein, 449 Millionen Euro der indische, 181 Millionen Euro der britische und 186 Millionen die französischen Steuerbehörden.
In der Schweizer Bank war die Steuerproblematik kein Geheimnis. Wenig verwunderlich also, dass die HSBC anfangs mit allen Mitteln eine Veröffentlichung der Swiss-Leaks-Recherchen zu verhindern suchte, als sie mit den Ergebnissen konfrontiert wurde. Die Rechtsanwälte der Bank forderten, die Daten sollten zerstört werden und drohten dem ICIJ und einzelnen Medien und Journalisten mit drastischen rechtlichen Schritten. Nach einigem Hin und Her folgte die Wende, und diese Stellungnahme: „Wir räumen ein, dass es in der Vergangenheit Kontroll- und Verhaltensdefizite gab und übernehmen dafür die Verantwortung.“
Über viele Jahre stand die Ausreizung des Schweizer Bankgeheimnisses offenbar im Mittelpunkt der Geschäfte der HSBC. Aus den fast 60000 detaillierten Kundendateien des Swiss-Leaks-Bestands geht hervor, wie sehr die Geheimhaltung zum täglichen Geschäft der HSBC gehörte. Der Chef einer australischen Großbank etwa bestand laut den HSBC-Notizen darauf, am Telefon nie mit seinem echten Namen angesprochen zu werden. Er wollte „Mr. Shaw“ genannt werden, Shaw wie „Shaw99“, so hieß sein Nummernkonto. Charles Barrington Goode, wie „Mr. Shaw“ in Wahrheit heißt, teilte auf Nachfrage mit, sein Bankberater habe ihn gedrängt, sich einen Alias-Namen zu geben. Die Erträge dieses Kontos habe er später versteuert.
Anonyme Nummernkonten, Kunden, die ihre Taschen in der HSBC mit Bargeld vollstopften und ihre Bankunterlagen noch in der Bank zerrissen: Das war, so ergibt es sich aus den Aufzeichnungen der Bankberater, allgegenwärtig.
Dabei hatte Chris Meares, Ex-Chef des Private-Banking-Zweigs der HSBC, 2008 vor dem britischen Parlament erklärt, die Bank „verbietet ihren Beratern, bei Steuerhinterziehung mitzuwirken oder sie auch nur zu fördern“. Gegenbeispiele dafür gehen in den Swiss-Leaks-Daten in die Hunderte. Kunden mit nicht erklärten Konten werden Kreditkarten gemacht, damit diese im Ausland sicher an ihr Geld kommen. Kunden mit nicht erklärten Konten werden Unterlagen vorbeigebracht, weil diese nicht selbst mit belastendem Material herumlaufen wollen. So geht es immer weiter.
Ähnlich wohlwollend ging die HSBC mit Kunden um, für die eigentlich besonders strenge Regeln gelten sollten: „politisch exponierten Personen“, sogenannten PEPs. Dazu zählen, je nach Definition, die Inhaber wichtiger öffentlicher Ämter und ihre engsten Verwandten und Berater. Regierungen und Bankenverbände weltweit sind sich einig, dass dieser Personenkreis nicht einfach an anonyme Auslandskonten kommen sollte. Die Reporter der Swiss-Leaks-Recherche fanden aktuelle oder ehemalige Politiker fast aller Staaten in den Daten, von Großbritannien, Russland, der Ukraine, Georgien, Rumänien, Indien, Liechtenstein und Mexiko über Tunesien bis zu Paraguay oder Djibouti. Die Liste ist lang. Auch deutsche Politiker tauchen auf, allerdings weder aktuelle noch exponierte.
Gleichzeitig stellte sich heraus, dass diese PEPs offenbar eben nicht mit jener Sorgfalt behandelt wurden, die angebracht gewesen wäre. So war Frantz Merceron unter den HSBC-Kunden, der Ex-Minister und Vertrauensmann des verrufenen ehemaligen haitianischen Präsidenten Jean Claude „Baby Doc“ Duvalier – der Hunderte Millionen Dollar außer Landes gebracht hatte, bevor er Haiti verließ. Ebenso Raschid Mohamed Raschid, ehemaliger ägyptischer Handelsminister der Regierung Hosni Mubarak. Raschid, der im Februar 2011nach Dubai geflohen war, soll öffentliche Gelder veruntreut und ins Ausland geschafft haben; er wurde 2011 in Abwesenheit verurteilt. Auf dem mit ihm verbundenen Konto lagen 2007 rund 31 Millionen Dollar. Rami Makhlouf, ein Cousin und enger Vertrauter des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, war an einer ganzen Reihe von Konten beteiligt, auf denen sich eine zweistellige Millionensumme befand. Auch Belhassen Trabelsi, der Schwager des mittlerweile gestürzten tunesischen Machthabers Zine el-Abidine Ben Ali hatte ein Konto in Genf mit mehr als 20 Millionen Dollar.
Nach den Aufständen des Arabischen Frühlings untersuchte die Eidgenössische Finanzmarktaufsicht 2011 bis 2013, ob Schweizer Banken die besonderen Auflagen bei Geschäften mit PEPs aus dem Nahen Osten eingehalten hatten. Die HSBC schnitt am schlechtesten ab. Die drastische Konsequenz: Die Bank darf drei Jahre lang keine PEPs als Neukunden annehmen, der Bann gilt noch immer.
Die Reihe der problematischen PEPs macht die Falciani-Liste zu politischem Sprengstoff. In den jeweiligen Heimatländern wird man genau registrieren, wer Geld in der Schweiz bunkerte. Etwa Li Xiaolin, die Tochter von Li Peng, chinesischer Premier zur Zeit des Massakers am Tian’anmen-Platz. Auf ihrem Konto lagen 2007 2,5 Millionen Dollar. Und natürlich die Königshäuser des Nahen Ostens. König Mohammed VI. von Marokko und der Kronprinz von Bahrain sind in den Daten, ebenso wie Dutzende Mitglieder der herrschenden Königsfamilie von Saudi-Arabien und der König von Jordanien, Abdallah II. Nun ist ein Konto in der Schweiz nichts Verbotenes, all diese Konten sind möglicherweise absolut legal. Ebenso wie die Konten der Oligarchen Alexander Lebedew, Vladimir Antonow oder Gennadi Timtschenko, der wegen seiner Nähe zu Putin nach der Krim-Annexion auf der US-Sanktionsliste steht.
Der Punkt ist: Die HSBC gab in den vergangenen Jahren offenbar auch solchen Leuten ein Konto, die sich in der Position befanden – und vielleicht auch in dem Ruf standen –, dies zu missbrauchen.
Das Problem ist auch nicht das Bankgeheimnis an sich. Das Problem ist, dass verborgen unter seinem schützenden Dach neben legitimen Geschäften auch internationale Verbrechen gesteuert wurden. Das belegen die Daten der Swiss-Leaks.
Da ist das Konto der Firma „Katex Mine Guinee“. Diese Katex war nach Meinung eines Expertengremiums des UN-Sicherheitsrats in Waffenlieferungen an liberianische Rebellen verstrickt – auch in die Hände von Kindersoldaten. Das wurde 2003 bekannt. Noch 2006 hatte die Katex laut den Unterlagen ein Guthaben von sieben Millionen Dollar bei der HSBC. Aus italienischen Ermittlungsakten geht hervor, dass ihr Direktor noch im selben Jahr mit der HSBC telefonierte. Ob auch er von der HSBC dieser Tage brieflich gewarnt wurde vor den Recherchen des ICIJ?
Als Bank kann man nie garantieren, dass alle Kunden sauber sind. Aber: „Wenn sich bei einer Bank die Fälle häufen, ist man geneigt zu sagen: Die Annahme solcher Kunden war wohl ein Geschäftsprinzip“ , sagt der ehemalige Zürcher Staatsanwalt David Zollinger.
Und wirklich: Selbst die Spuren des internationalen Terrorismus führen in die HSBC. In den Daten taucht etwa ein saudischer Prinz auf, der einst Osama bin Laden protegierte. Dazu der ehemalige Gründer und Schatzmeister einer mutmaßlichen Al-Qaida-Tarnorganisation – sowie ein Mann, dessen Fabrik im Sudan vom US-Militär bombardiert wurde, weil dort angeblich Chemiewaffen hergestellt wurden. Dazu mehrere Männer, die im Verdacht stehen, al-Qaida mit Geld versorgt zu haben.
Mutmaßliche Verstrickungen der HSBC in kriminelle Geschäfte sind nicht neu: 2012 zahlte die Bank in den USA 1,9 Milliarden Dollar Strafe, weil sie mexikanischen Drogenkartellen Geldwäsche ermöglicht hatte. Nur eines von vielen Problemen, mit denen die Bank in der Vergangenheit zu kämpfen hatte.
Schweizer Banken sind einzigartige Orte, man betritt dort eine Welt, die sehr international und dann doch wieder erstaunlich klein ist. Hier treffen sich – im Foyer oder nur in den Kundendaten – Israelis und Palästinenser, Amerikaner und Iraner, Russen und Ukrainer. Verfeindet in der Welt, vereint in ihren ureigenen Interessen.
Oder man nehme die beiden belgischen Diamantenhändler Mozes Konig and Kenneth Lee Akselrod, beide verrufen, beide wegen „illegaler Verbreitung von Edelsteinen“ auf der Most-Wanted-Liste von Interpol, und beide Kunden der HSBC. Wie das Leben so spielt, ist unter den HSBC-Kunden auch Elias Murr, der frühere Innenminister Libanons, der einem Interpol-Gremium namens „Foundation for aSafer World“ vorsteht. Grüßt man sich dann in der Bank, gilt sie als neutrales Gebiet?
Murr war zu seiner Ministerzeit mit einem HSBC-Konto verbunden, das über eine Firma namens Callorford Investments Limited eröffnet wurde. Ein Sprecher von Murr sagte dem ICIJ: „Die libanesische Regierung stellt keine Recherchen über libanesische Halter von Schweizer Konten an. Das Thema ist in Libanon weder von Interesse noch von Relevanz.“
Auf dem erwähnten Konto lagen 2006/2007 rund 42 Millionen Dollar.
Mitarbeit: Bastian Brinkmann, Mar Cabra, Rigoberto Carvajal, Will Fitzgibbon, Robert Gast, Christoph Giesen, Daniel Glaus, Martha M. Hamilton, Titus Plattner, Tanjev Schultz, Tom Stites, Marina Walker Guevara, Oliver Zihlmann
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Tresor der Mächtigen und Verschwiegenen
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