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Freiheit für die Flunder

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Daniel Stepputtis mag Flundern. So ausführlich kann der Fischerei-Forscher über die Flunder als Speisefisch schwärmen, dass man richtig Appetit darauf bekommt. In Mehl gewälzt, in der Pfanne gebraten – „ein Superessen“, sagt Stepputtis. Er hat trotzdem Verständnis dafür, dass die Fischer keine Flundern in ihren Netzen haben wollen. Flundern verkaufen sich schlecht. Die Flunder gehört zur Ordnung der Plattfische. Sie sieht tatsächlich so aus, als wäre sie unter eine Dampfwalze geraten, und sie gibt nicht viel Fleisch her. Die Industrie kann aus ihr keine Schlemmerfilets schneiden, nicht mal für Fischstäbchen ist die Flunder geeignet, und für die eigene Küche daheim ist sie den meisten Leuten erst recht zu umständlich. „Die Flunder ist nicht praktisch genug“, sagt Stepputtis. Sie hat nicht die richtigen Maße für die Konsumgesellschaft, also darf sie im Meer bleiben. Aber wie macht man den Flundern klar, dass sie nicht wie die anderen Fische in die Netze schwimmen sollen?



Der Flussbarsch gräbt sich nicht wie die Flunder tagsüber in den Sand ein, hätte aber bei dem neuen Fischernetz auch einen Notausgang.

Es gab Zeiten, in denen sich die Fischerei-Forschung vor allem mit der Frage beschäftigte, wie man mit möglichst wenig Aufwand möglichst viel Fisch aus dem Meer zieht. Ein Arsenal an verschiedensten Fanggeräten ist dabei entstanden, zum Teil in riesenhafter Größe . Es gibt Schleppnetze für die Hochsee, in denen man mehrere Flugzeuge unterbringen könnte. Die Umweltverbände kritisieren die Massenfischerei scharf, sie tun dies auch deshalb, weil diese Art der Fischerei auf Kosten von Meerestieren geht, mit denen die Fischer gar nichts anfangen können: Sie schadet Jungfischen, Vögeln, Haien, Schildkröten. Die FAO, die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen, schätzt den jährlichen unerwünschten Beifang auf 7,3 Millionen Tonnen.

Die Politik versucht, das Problem anzupacken. Seit Anfang des Jahres greift zum Beispiel die neue Fischerei-Reform der EU, nach der die Fischer ihren unerwünschten Beifang nicht mehr einfach größtenteils tot ins Meer zurückwerfen dürfen, sondern ihn an Land mitbringen sollen und auf ihre Fangquoten anrechnen müssen. Ende Januar haben sich Vertreter des Europäischen Parlaments, der Mitgliedsstaaten und der EU-Fischerei-Kommission auf einen Kompromiss geeinigt, der die Reform mit anderen EU-Verordnungen in Einklang bringt und ihre Umsetzung sichern soll. Zwei Jahre Zeit haben die Fischer demnach, bevor sie Konsequenzen fürchten müssen, wenn sie sich nicht an die neuen Beifang-Regeln halten.

Mehr denn je beeinflussen ethische Erwägungen die wirtschaftlichen Interessen der europäischen Fischer. Und mehr denn je sind deshalb neue Ideen aus der Fischerei-Forschung gefragt. Es geht nicht mehr nur darum, möglichst viel aus dem Meer zu holen. Es geht darum, das Richtige aus dem Meer zu holen.

Die Forschung hat sich des Themas längst angenommen: Für Langleinen gibt es runde Haken, an denen weniger Schildkröten hängen bleiben sollen als an den üblichen J-förmigen. Stellnetze könnten mit UV-Leuchtdioden ausgestattet werden, um Schildkröten von vornherein fernzuhalten. Mit Magneten oder mit Gestank sollen Haie verscheucht werden. In vielen EU-Fischereigebieten müssen größere Fischkutter ihre Stellnetze bereits mit lärmenden Geräten versehen, die Wale und Delfine auf Abstand halten. Solche Methoden sind allerdings unter Naturschützern umstritten, weil sie die Tiere zum Teil gleich ganz aus ihren Lebensräumen vergraulen könnten.

Besonders kompliziert bleibt es aber, nur bestimmte Fischarten aus dem Meer zu holen und andere zu schonen. Eine der neuesten Ideen dazu stammt aus Rostock, vom Thünen-Institut für Ostseefischerei. Genauer gesagt von der Arbeitsgruppe Fischerei- und Survey-Technik, die der Flunder-Liebhaber Stepputtis leitet. Stepputtis und seine Mitarbeiter haben für diese Idee zuletzt den zweiten Preis im internationalen Smart-Gear-Wettbewerb der Naturschutzorganisation WWF bekommen.

Die Idee ist vor allem eine Hilfe für die Grundschleppnetzfischer in der Ostsee. Aber sie könnte eines Tages auch die Hochseefischerei prägen. Sie basiert auf der Erkenntnis, dass ein Netz mit der Wahrnehmung der Fische umgehen muss, wenn es deren Wege beeinflussen soll. „Die Fische verhalten sich manchmal anders, als man denkt“, sagt Stepputtis. „Wenn man lernt, das Verhalten der Fische zu verstehen, kann man auch darauf reagieren.“

Die Grundschleppnetzfischer in der Ostsee wollen vor allem Dorsche fangen. Sie wollen keine Plattfische im Netz. Nicht nur, weil sie diese nicht verkaufen können, sondern auch weil die gefangenen Plattfische sich mit ihren breiten, flachen Körpern so über die Maschen legen, dass auch junge Dorsche nicht mehr fliehen können. Stepputtis und seine Leute suchten also nach einem Netz, dass die Plattfische von den Rundfischen trennt. Ein schwedischer Fischer hatte die Idee, in den vorderen Teil des Netzes ein Gitter einzuarbeiten, durch dessen Stäbe die Plattfische durchpassten. Die Forscher erprobten das Gitter, aber es funktionierte nicht. „Die Plattfische haben das Gitter nicht als Fluchtmöglichkeit wahrgenommen“, sagt Stepputtis. Sie schwammen mit den anderen geradeaus in den Schlund des Netzes.

Die Forscher schauten sich die Videos von dem misslungenen Versuch an, sie diskutierten und überlegten. Ihnen wurde klar, dass die Plattfische auf ihrem Weg durch den ersten Teil des Netzes noch gar keinen Grund hatten, auf das Gitter zu achten. Ein Netz ist eine Falle. Es ist darauf ausgerichtet, dass Fische die Gefahr erst erkennen, wenn sie ihr nicht mehr entkommen können. Das Netz muss also die Aufmerksamkeit der Plattfische auf den Fluchtweg lenken. Die Forscher bauten die Fluchtgitter schräg an das Netz, in einem 45-Grad-Winkel, wie Plakatwände, die auf einen Konferenzraum zulaufen und die jeder übersehen würde, wenn sie parallel zu den Seitenwänden stünden. Und dazu stellten sie den Plattfischen eine Säule in den Weg. „Wie eine Stewardess, die sagt: Gucken Sie mal, unsere Plakate“, sagt Stepputtis. Fertig war Freswind, das erste interaktive Fischernetz zur Plattfisch-Befreiung.

Stepputtis startet ein Video auf seinem Laptop. Es zeigt, wie Freswind wirkt. Auf den milchig-grünen Unterwasserbildern kann man sehen, wie die Flundern der Säule ausweichen, ihren Weg zum Gitter finden und durch die Stäbe ins Freie schwimmen. „Wir können mit dem neuen Netz den Plattfisch-Beifang um 70 Prozent reduzieren“, sagt Stepputtis. Der Fang von Dorschen in marktfähiger Größe ging dabei nur um sieben Prozent zurück. Und das soll erst ein Anfang sein. Wenn es nach Daniel Stepputtis und seinen Leuten geht, ist Freswind irgendwann Teil einer ganzen Auswahl von intelligenten Netzen, die nicht mehr wahllos nach dem Leben im Meer greifen.



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