Quantcast
Channel: jetzt.de - SZ
Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345

Er hat gesprochen

$
0
0

Es war wie immer bei Preisverleihungen: Einige ältere Männer umstehen wenig weltläufig ein Mikrofon, bestreichen einander mit plattitüdenen Botschaften, und dann werden übergroße Urkunden und noch scheußlichere Pokale oder Medaillen überreicht. Der Jubelgreis räuspert sich und setzt, um das duldungsstarre Publikum endgültig einzuschläfern, zu großen, womöglich sogar zu epochemachenden Worten an.

Am Freitag war es anders. Bob Dylan erhielt in Los Angeles bei einer Grammy-Superduper-Charity-Gala irgendeinen zu Recht unbekannten Preis, doch sein Laudator war der Friedensnobelpreisträger Jimmy Carter, neunzig inzwischen und etwas wacklig, aber Ladies and Gentlemen – Carter war der 39. Präsident der Vereinigten Staaten und sagte in dieser Eigenschaft völlig zu Recht, dass Dylans Worte über Frieden und Menschenrechte „weit prägender, machtvoller und bleibender“ seien als alles, was von allen amerikanischen Präsidenten je zu diesen Themen kam.



Bei der Grammy-Verleihung am vergangenen Freitag spricht Bob Dylan über Vorbilder und Songs, Shakespeare und Joan Baez.


Bei dieser Arie hätte es bleiben können, auch beim musikalischen Rahmenprogramm, bei dem Bruce Springsteen, Neil Young und Sheryl Crowe Werke des Jubilars aufführten. Aber dann kam der Meister und bat ums Wort.

Bob Dylan, diese kleine Info sei den Nicht-Initiierten gegönnt, redet sonst nie. Wenn er sich nach seinen Konzerten von den Zuhörern verabschiedet, wird die allfällige Andeutung eines Lächelns bereits als halbes Epos ausgedeutet. Der Mann, unterbricht hier die Gerechtigkeit, der Mann hat doch für sein Lebtag genug geschrieben, Lieder, die die Welt bewegt haben („Blowin’ in the wind“), Lieder, die zum Ergreifendsten gehören, was neben Mörike und Wordsworth oder vielleicht noch Baudelaire im obersten Gemach der Weltliteratur Platz hat („Visions of Johanna“ zum Beispiel oder „Tangled up in blue“), der Mann muss bei Gott nichts mehr sagen beziehungsweise sagt es Goethes Mignon für ihn: „Heiß mich nicht reden, heiß mich schweigen.“

Um Missverständnisse auszuschließen, erläuterte der preisgekrönte Sänger gleich zu Beginn, dass seine Lieder aus dem gleichen Urgrund stammten wie die Mysterienspiele, mit denen Shakespeare aufwuchs. Shakespeare? Die dreitausend musikindustriellen Honoratioren drunten müssen erregt an ihren Hörhilfen gezupft haben. What’s that? Ja, Shakespeare!

Brav dankte Dylan dem Folk-Trio Peter, Paul & Mary, den Byrds, aber auch Sonny & Cher dafür, dass sie seine Songs popularisiert hätten. Es war dann nicht mehr seins, sie wirkten wie Werbeclips, was ihn aber – und hier wird der Reklamesänger für „Victoria’s Secret“ und Chrysler sogar selbstironisch – heute nicht mehr störe. Er dankte dem Produzenten John Hammond, der ihm seinen ersten Vertrag gab, er pries seine Förderin Joan Baez für ihr lebenslanges Engagement und sogar für ihre Stimme. Das ist ein heikler Punkt, denn er selber verfügt über nichts Vergleichbares. Dylan liest genau, was über ihn geschrieben wird, und ärgert sich anscheinend bis heute, wenn an seinem stimmlichen Vortrag herumgemäkelt wird: „Warum sagen die Kritiker, die nörgeln, ich klinge wie ein Frosch, dasselbe nicht bei Tom Waits?“

Plagiatsvorwürfe haben ihn von Anfang an begleitet, und so nimmt er die Gelegenheit wahr zu erklären, wie er zu seinen Liedern kommt, nämlich durch die anderer. „Wer ‚John Henry‘ so oft gesungen hat wie ich, kommt irgendwann auf ‚How many roads‘.“ So lobte er einerseits die autonome Kunst und reihte sich andererseits ein in eine musikalische Tradition, die beim Alten Testament und in den schottischen Highlands beginnt und den Schwachsinn aber ganz bestimmt ausschließt, der tagtäglich aus Nashville in alle Ohren gepresst wird. Ah, die Zuhörer unten!

Es war, als gäbe der fast gleichaltrige Peter Handke ohne Vorwarnung Auskunft über seine Lehrmeister und vor allem darüber, was ihn weiterschreiben lässt auf seiner eigenen Never Ending Tour. Und falls sich das noch nicht herumgesprochen haben sollte: Bob Dylan ist, wenn nicht der amerikanische Handke, so doch der amerikanische Shakespeare.


 


Viewing all articles
Browse latest Browse all 3345