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Der Ausbeutung ausgeliefert

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Es musste schnell gehen, damals im Elendshaus von Kirchtrudering. Und so ließ das Sozialreferat eigenmächtig Stromleitungen verlegen und schickte die Rechnung an den Vermieter. „Rechtlich nicht ganz koscher“ sei das gewesen, räumt Behördenchefin Brigitte Meier (SPD) ein. Nur: Es ging darum, dass Eltern für ihre Kinder Essen zubereiten können. Erst später, als tatsächlich Gefahr für Leib und Leben bestand, fühlten sich die Behörden sicher und ließen das heruntergekommene Zweifamilienhaus teilweise räumen.



Elendshäuser sind kein Einzelfall: In ganz Bayern werden immer wieder Fälle bekannt.

Das Elendshaus am Mitterfeld, für das noch vor wenigen Monaten 60 bis 70Menschen trotz katastrophaler Verhältnisse horrende Mieten zahlten, hat eine Diskussion darüber entfacht, welche Handhabe der Staat gegen menschenunwürdige Wohnverhältnisse hat. Meier und mit ihr die große Mehrheit des Stadtrats wünschen sich, dass die Behörden in solchen Fällen frühzeitig eingreifen können. Nicht erst, wenn die Bewohner schon in Gefahr sind.

Das Münchner Rathaus appelliert daher an den Freistaat, verbindliche Mindeststandards für Wohnungen festzulegen: bestimmte Quadratmeterzahlen je Bewohner etwa oder die Pflicht, Strom, Heizung und Warmwasser bereitzustellen. Wohnungsaufsichtsgesetz lautet das Zauberwort, in der SPD kursiert dazu bereits ein Entwurf. Nur: Allzu große Chancen, ihn durchzubringen, bestehen nicht, das zeichnet sich bereits ab. Der zuständige Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hält das vorhandene Instrumentarium für ausreichend. Bei einem Fachgespräch im Sozialausschuss des Landtags argumentierten Herrmanns Experten denn auch gegen die Einführung neuer bürokratischer Hürden. Den Kommunen, sagte Stefan Kraus von der Obersten Baubehörde, stünden durch das Baurecht ausreichend Hebel zur Verfügung. Dort sei schließlich festgelegt, welche Räume als Wohnräume genutzt werden dürfen. Schlafplätze im Keller seien nicht genehmigt, die Behörden könnten deren Vermietung untersagen.

Tatsächlich gibt es diverse Möglichkeiten, ausbeuterische Vermieter dranzukriegen. Einzeln vermietete Matratzen etwa machen ein Wohnhaus zur gewerblichen Herberge – das verstößt gegen die städtische Zweckentfremdungssatzung. Gesundheitsgefährdende Zustände lassen sich mit Verweis auf das Infektionsschutzgesetz ahnden. Und dann gibt es noch das Landesstraf- und Verordnungsgesetz, auf das sich die Behörden bei konkreten Gefahren für Leben und Gesundheit berufen können.

Theoretisch können natürlich auch die Bewohner von Elendshäusern juristisch gegen Wucher vorgehen oder vom Vermieter die Reparatur defekter Installationen verlangen. Meier ist aber davon überzeugt, dass dies kaum vorkommt. Die zumeist aus Osteuropa stammenden Bewohner von Elendshäusern trauten sich gar nicht, gegen ihren Vermieter vorzugehen – aus Angst, ihre Wohnung zu verlieren. Diese Menschen hätten zumeist „keine Chance, auf dem regulären Wohnungsmarkt unterzukommen“, berichtet Meier. Allein über die Vorgaben des Baurechts lasse sich das Problem nicht lösen. Man wolle Familien vor ungeheizten, feuchten oder stromlosen Wohnungen bewahren. Meier erinnert sich gut daran, wie ihre Behörde in Kirchtrudering die Stromleitungen legen ließ: „Wir wussten damals nicht, wie die Familie über das Wochenende kommt.“

Das dortige Elendshaus ist kein Einzelfall – im Sozialreferat sind mehrere vergleichbare Fälle bekannt. Laut Petra Kramer von der Obersten Baubehörde handelt es sich auch um „kein spezielles München-Problem“. In Vaterstetten, Nürnberg, Erlangen, Regensburg und im Landkreis Erding mussten die Behörden bereits mehrmals tätig werden. Die kommunalen Spitzenverbände wehren sich dennoch gegen ein neues Gesetz – mit Verweis auf kleine Kommunen, denen es an Personal für die Zusatzaufgabe fehle. Der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Lotte hofft nun zumindest auf einen Kompromiss. An diesem Mittwoch will seine Fraktion über den Gesetzesentwurf diskutieren. „Es wird schwer werden“, weiß Lotte. Aber das Thema sei zu wichtig, vermutlich gebe es eine „extrem hohe Dunkelziffer“.



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