Es gibt eine feste Adresse in Deutschland für die Rechte des Bundestags, und das hat nicht nur mit Zuständigkeiten zu tun. Immer wieder hat das Bundesverfassungsgericht, Schlossbezirk 3, Karlsruhe, dem Parlament starke Beteiligungs- und Informationsrechte gegenüber der strukturell überlegenen Bundesregierung zuerkannt, vom Auslandseinsatz bis zur Euro-Krise. Am Dienstag hat der Zweite Senat über eine Klage der Bundestagsfraktion der Linken gegen eine aus ihrer Sicht unzureichende Antwort auf eine kleine Anfrage zur Rolle der Bundespolizei bei Großeinsätzen verhandelt.
Bundespolizisten werden häufig bei Demonstrationen oder Fußballspielen eingesetzt. Bei Großlagen stellen sie bis zu 20 Prozent der Polizeikräfte.
Es geht also um das Paradeinstrument der Opposition, weil sie die Regierung damit zur öffentlichen Antwort auf heikle Fragen zwingen kann – in Zeiten der großen Koalition ist das wichtiger denn je. Und der Gegenstand der Anfrage könnte, kurz nach den Polizeieinsätzen anlässlich der Dresdner Pegida-Demonstrationen, kaum aktueller sein. Die Linke wollte sich über Einzelheiten der Beteiligung der Bundespolizei an Großeinsätzen kundig machen. Anlass waren eine Demonstration am 1. Mai 2011 in Berlin sowie eine Kundgebung am 19. Februar 2011 in Dresden zum Jahrestag der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg – mit 20 000 Gegendemonstranten. Doch die Bundesregierung ließ viele Fragen unbeantwortet: Zuständig seien die Länder, die Bundespolizei sei dort nur unterstützend tätig geworden. Das Recht zur parlamentarischen Kontrolle müsse deshalb von den Landtagen wahrgenommen werden, sagte Innenstaatssekretär Ole Schröder in Karlsruhe. Rechtsanwalt Wolfgang Ewer, der die Linksfraktion vertritt, wollte dagegen den Part der Parlamentarier nicht auf die bloße Kontrolle reduziert sehen. Als Gesetzgeber hätten sie einen „Mitgestaltungsauftrag“, für dessen Erfüllung sie auf die Ressourcen der Bundesregierung zurückgreifen müssen.
Mehrere hochrangige Polizeipraktiker versicherten dem Gericht, dass die Bundespolizei in die Rolle des reinen Befehlsempfängers schlüpft, sobald sie im Landesauftrag tätig wird. Ob die Demonstration aufgelöst werde, ob Pfefferspray oder Wasserwerfer eingesetzt würden – all dies entscheide der Einsatzleiter der Landespolizei, sagte Carl-Ulrich Stoltz, Leitender Polizeidirektor bei der Bundespolizei.
Dass sich dennoch die Frage nach einer „parlamentarischen Kontrolllücke“ stellt, machte Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle freilich vor dem Hintergrund einer grundsätzlichen Entwicklung deutlich. Die Aufgabe der Bundespolizei bestehe ja inzwischen zu einem großen Teil in Einsätzen bei Demonstrationen oder Bundesligaspielen. Müsse das nicht doch irgendwie vom Bundestag kontrollierbar sein? Michael Zorn, Chef der niedersächsischen Bereitschaftspolizei, berichtete, es gebe in einigen Ländern „Überlegungen“ zur Reduzierung der kostspieligen Bereitschaftspolizei. Bei „Großlagen“ stelle die Bundespolizei schätzungsweise 15 bis 20 Prozent der Kräfte. Zu den Nöten kleiner Länder konnte Verfassungsrichter Peter Müller eine Episode aus seinem „früheren Leben“ als saarländischer Ministerpräsident beisteuern. Das Saarland habe einst ein Abkommen mit Luxemburg zur Bereitstellung von Polizeihubschraubern geschlossen – um hinterher festzustellen, dass das Saarland gar keine Hubschrauber habe.
Wie häufig Beamte des Bundes in den Ländern als Lückenbüßer einspringen, zeigt auch die stattliche Zahl von 75 Unterstützungseinsätzen im Jahr 2014. Zweifellos ein politisch interessantes Feld für künftige Anfragen. Ein Urteil wird in einigen Monaten verkündet. In Karlsruhe, Schlossbezirk 3.
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Lückenbüßer-Polizei
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