Wenn man morgens mit der U-Bahn durch Berlin fährt, dann steht man sehr oft auf dem Bahnsteig und wartet, und an der Wand gegenüber hängen Plakate aus der Kuschelkampagne der Berliner Verkehrsbetriebe, auf denen steht, dass sie ihren Fahrgast lieben, wahrscheinlich auch, während er gerade gar nicht fährt. Man hat dann oft sehr viel Zeit, darüber nachzudenken, was für eine Art von Liebe das eigentlich sein soll. Dieses Gefühl muss irgendwie mit jenem verwandt sein, das der „Fifty Shades“-Held Christian Grey für seine Angebete Anastasia hegt, ohne die er nicht sein kann, und wenn er sie dann hat, übermannt ihn das dringende Bedürfnis, ihr wehzutun.
Was sich liebt, das peitscht sich: Dakota Johnson und Jamie Dornan in "Fifty Shades of Grey".
Die Berlinale hat nun also ihr Großereignis – die Deutschland-Premiere der Verfilmung von „Fifty Shades of Grey“. Die gute Nachricht vorweg: Alle, die befürchten, dass der Siegeszug von „Fifty Shades of Grey“ eine Kultur der häuslichen Gewalt wieder salonfähig macht, die einigermaßen aufgeklärte Gesellschaften eigentlich seit Jahrzehnten bekämpfen, können sich erst einmal wieder beruhigen. Zu den bekanntesten Arbeiten der Regisseurin Sam Taylor-Johnson, die dann letztlich den Zuschlag bekam, den Bestseller zu verfilmen, gehört ein zweiminütiger Clip, den sie 2011 gedreht hat . Er zeigt den aktuellen 007, Daniel Craig, in Frauenkleidern. Dazu erzählt die Stimme von Judi Dench, wie viele Frauen in Großbritannien körperlich misshandelt werden. Von Sam Taylor-Johnson hat Anastasia nicht viel zu befürchten.
Es ist aber trotzdem so: Bondage-Spiele oder Sadomaso-Praktiken zu mögen ist eine Sache – aber es geht in der Konstellation, die „Fifty Shades“ beschreibt, um mehr, um Unterwerfung und gebrochenen Willen. Das geht schon mal damit los, dass die etwas naive und komplett unerfahrene Studentin Anastasia Steele (Dakota Johnson), ihrem Gegenüber nicht gewachsen ist. Sie kommt für ein Interview in das Büro des jungen Konzernchefs Christian Grey (Jamie Dornan), den sie zwar einschüchternd findet, aber doch irgendwie verführerisch, und schon sehr bald bittet er sie, bei ihm einzuziehen. Er will sie, im Prinzip, kaufen: Sie kann alles haben, was sie will, Kleider, ein neues Auto – solange er mit ihr machen darf, was er will. Er möchte das, ganz der smarte Geschäftsmann, gern vertraglich absichern – es wird genau festgelegt, was das heißt, und darüber hinaus noch, was sie essen darf und was ihr blüht, wenn sie ihm nicht den gebührenden Respekt entgegenbringt. Für so was wurden, das sollte man bei aller Offenheit für sexuelle Spielarten nicht vergessen, Frauenhäuser gebaut. Anastasia braucht aber keins, ihr eigener Wille bleibt ihr erhalten.
So richtig masochistisch ist Anastasia nämlich nicht; das Etikett „Sadomaso-Buch“ hat schon zu E.L. James’ Vorlage nur bedingt gepasst. Es ist nicht gerade dazu geeignet, den Marquis de Sade erröten zu lassen, und es beschreibt alles Mögliche (in einem sehr wiederholungsfreudigen, begrenzten Vokabular) – in Beschreibungen von Schmerz schwelgt es nicht. Im Film sieht das dann so aus: Anastasia kriegt verschiedentlich ein paar auf den Po, und als der Geliebte dabei dann das erste Mal, auf ihren eigenen Wunsch, richtig zuhaut, packt Anastasia ihre Siebensachen; aber das ist ja auch erst Teil 1 der Trilogie.
Und sonst? Die Liebesgeschichte, die Anastasia und Christian verbindet, ist lahm. Christian Grey spielt nächtens in seiner Schlaflosigkeit Klavier, Anastasia schwebt in ein Betttuch gehüllt herbei –langweiliger kann man die Geschichte fast nicht bebildern. Psychologisch ist die Story ganz billig: Christian ist „nun mal so“, weil er selbst ein misshandeltes Kind ist, und Anastasia hat ein Daddy-Problem. Und einen Sex-Film hat Sam Taylor-Johnson nun auch nicht gerade gedreht, im Bett landen die beiden erst – zur Blümchensex-Defloration, damit die jungfräuliche Anastasia Vergleichsmöglichkeiten offenbart bekommt –, wenn der Film schon halb rum ist. Aber das macht vielleicht alles gar nichts: weil es um all das vielleicht schon beim Buch nicht gegangen ist.
Der Trailer zum Film hat schon Rekorde gebrochen, in den USA sind die Tickets zum Filmstart schon im Vorverkauf der Renner gewesen – was aber der Erfolg dieser Geschichte über Frauen aussagt, darüber kann man immer noch streiten. Vielleicht sagt er am Ende sehr wenig darüber aus, was Frauen wollen; und viel mehr darüber, was sie sich gern zusammenfantasieren. Die Schriftstellerin Petra Morsbach erzählt gern, dass in der UDSSR, als sie dort studierte, die Tschechow-Verfilmung „Die Dame mit dem Hündchen“ Kultstatus hatte – Frauen liebten diesen Film, weil er, Tschechows wegen, Dinge zu bieten hatte, die im Sowjetkino, und vor allem im Alltag, sonst nicht vorkamen. Tolle Kleider beispielsweise und das Konzept Gattin mit Dienerschaft. Die Frau im Film ist todunglücklich – es ist also eher unwahrscheinlich, dass die Zuschauerinnen mit der Filmheldin tauschen wollten.
Was nun Christian Grey betrifft: Er ist weniger ein Sadist, eher ein Patriarch der Träume. Ein liebevoller Rundumversorger. Er hält Anastasias Kopf, wenn sie kotzt, stellt Kopfschmerztabletten bereit und ist immer da, wenn er gebraucht wird – von seinen sexuellen Vorlieben mal abgesehen also ein echtes Fabelwesen. Die meisten Frauen werden wissen, dass das Patriarchat recht bequem sein könnte, wäre Verlass auf den makellosen Charakter aller Patriarchen. Insofern ist die Theorie, dass Christian Greys fürsorgliche Bevormundung die Sehnsüchte überforderter berufstätiger Frauen füttert, gar nicht so abwegig. Was nicht heißt, dass sie es in echt länger als eine halbe Stunde mit ihm aushalten würden. Es gibt mindestens noch einen guten Grund, warum „Fifty Shades“ als Geschichte reizvoll ist: Es gibt einstweilen keine Gesellschaft, nicht mal im freizügigen Europa und schon gar nicht in den USA, in denen Mädchen nicht doch das Label Schlampe fürchten müssen, wenn sie gern Sex haben – Unterwerfungsfantasien unterlaufen das, weil sie die Verantwortung fürs eigene Handeln ausblenden.
Das Patriarchat und der Kapitalismus arbeiten ja sehr gut Hand in Hand. Was dann an Sam Taylor-Johnsons Verfilmung des Buchs wirklich verstörend ist, das ist die Deutlichkeit, mit der die Bilder eine Geschichte von Arm und Reich erzählen. Anastasias schmuddelige Studenten-WG steht im Kontrast zum Glaspalast des Milliardärs Christian Grey, der eine Firma hat und einen Helikopter, und als sie ihn in der Tiefgarage fragt, welche von den Luxuskarossen ihm gehört, sagt er: „Alle!“ Wie selbstverständlich versucht er, sich mit teuren Geschenken die Macht über sie zu erkaufen – und sie liebt ihn dafür. Was für ein Albtraum.
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Klaps und Kapitalismus
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