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Akrobat des Freihandels

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Spitzenreiter ist nach wie vor „mcr 42“, seit drei Wochen schon. „Wie wird sichergestellt, dass nationale Gesetze nicht durch Klagen privater Institutionen verhindert, abgeschwächt oder sogar aufgehoben werden?“, fragt mcr42 anonym. Oder dass Staaten wegen ihrer Gesetze „zu Strafzahlungen verurteilt werden können“. Von 750 eingereichten Fragen ist das unter Sozialdemokraten eine derjenigen, die auf jeden Fall am Montag geklärt werden sollen, bei einer gut dreistündigen Parteikonferenz über „Transatlantischen Handel – Chancen und Risiken“. Genau wie die Frage nach dem Schutz europäischer Standards, oder jene nach den Schiedsgerichten. Die SPD lässt über die Fragen gerade im Internet abstimmen.



Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel muss auch parteiintern viel Kritik aushalten.

Es ist der Versuch, das Unbehagen zu kanalisieren – und keiner hat daran größeres Interesse als Sigmar Gabriel. Denn der SPD-Chef findet sich rund um die umstrittenen Handelsabkommen Ceta und TTIP – das eine mit Kanada, das andere mit den USA – in einer denkbar unangenehmen Lage. Als oberster Sozialdemokrat kann er die vielen Vorbehalte in der eigenen Partei kaum übergehen, als Wirtschafts- und mithin Handelsminister aber muss er größtes Interesse an beiden Abkommen haben: Sie sollen schließlich den transatlantischen Handel beleben und so der heimischen Exportwirtschaft nutzen. Obendrein ist das EU-Kanada-Abkommen Ceta schon fertig ausverhandelt – Raum für große Änderungen sieht die EU-Kommission nicht mehr. Ganz im Unterschied etwa zur Parlamentarischen Linken in der SPD.

An diesem Freitag will sie ihr Positionspapier zu Ceta veröffentlichen, es liegt der Süddeutschen Zeitung vor. Darin fordert die Gruppe, mit fast 90 Abgeordneten die größte Untergruppe der SPD-Fraktion, massive Nachbesserungen an dem Abkommen mit Kanada. Und zwar in all jenen Punkten, die auch bei der Abstimmung im Netz derzeit eine große Rolle spielen.

Beispiel Schiedsverfahren: Der Ceta-Text sieht sogenannte Investor-Staat-Schiedsverfahren vor, kurz ISDS. Sie würden es ausländischen Investoren erlauben, internationale Schiedsgerichte anzurufen, wenn sie sich unfair behandelt fühlen. „Solche ISDS-Verfahren lehnen wir ab“, schreibt die Parlamentarische Linke in ihrem zehnseitigen Positionspapier. Nationale Gerichte täten es auch.

Beispiel Sozialstandards: Das Abkommen, so fordert die Parteilinke, müsse „die Einhaltung und Umsetzung von Sozial- und Nachhaltigkeitsstandards verbindlich festschreiben“. Das solle verhindern, dass kanadische Firmen durch laxere Vorgaben billiger anbieten können. Doch schon bei den sogenannten Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation ILO klafft eine Lücke: Kanada hat bisher nur sechs von acht Normen unterzeichnet. Nötig seien Vorgaben, die den Handelspartner zur Durchsetzung aller Normen zwingen, fordern die Abgeordneten.

Beispiel Regulierung: Ceta soll EU und Kanada auch bei künftigen Standards enger aneinander binden. Dazu haben beide Seiten eine „Regulatorische Zusammenarbeit“ verabredet. Doch die SPD-Linke befürchtet, das könnte zu Lasten nationaler Befugnisse gehen. Auf keinen Fall dürften die Rechte von Parlamenten oder Regierungen beschnitten werden – etwa wenn es darum geht, Gesetze zum Schutz ihrer Bürger zu erlassen. Die Vertrags-Formulierungen dazu aber seien „eher vage“, kritisiert das Papier. „Gute Handelsabkommen können die Globalisierung in die richtige Bahn lenken“, sagt Carsten Sieling, der Sprecher der Parlamentarischen Linken. „Der CETA-Entwurf muss aber noch an vielen Stellen verändert werden.“

Ob das noch geht? Gabriel hatte erst Ende November im Bundestag ein flammendes Plädoyer für das Abkommen gehalten – und die Hoffnungen auf große Veränderungen gedämpft. Zwar werde man versuchen, Teile von Ceta nachzubessern. „Aber den Glauben, wir hätten es im Kreuz, gegen den Rest Europas den Investitionsschutz komplett wieder aus den Verhandlungen herauszunehmen, den habe ich nicht“, sagte Gabriel. Deutschland dürfe „keine nationale Bauchnabelschau betreiben“. Auch EU-Handelskommissarin Margot Wallström sieht bestenfalls noch Chancen zum Feinschliff am fertigen Abkommen. Viele EU-Länder teilen ihre Sicht.

In der SPD hatten Gabriels Äußerungen seinerzeit viel Ärger verursacht, bis hin zu einer hitzigen Aussprache in der Fraktion. Wenn nun diesen Montag Gabriel, Malmström, DGB-Chef Reiner Hoffmann und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz in der Parteizentrale auflaufen, dann auch, um diesen Streit zu entschärfen – und dem SPD-Chef seinen Spagat zu erleichtern.

Gabriel selbst schmiedet seit Monaten schon Allianzen, um das Problem aus der Welt zu schaffen. Schon im September verabschiedete die SPD-Spitze zusammen mit dem DGB ein Papier, das Anforderungen an das EU-USA-Abkommen TTIP festlegte. Es liest sich in Teilen ganz ähnlich wie die Positionen der Parlamentarischen Linken zu Ceta. Nur ist Ceta eben schon ausgehandelt, TTIP dagegen noch lange nicht. Jüngst trafen Verhandler zur achten Verhandlungsrunde zusammen; wie viele noch folgen werden, ob es jemals einen Abschluss gibt – keiner weiß es. Auch einen eigenen „TTIP-Beirat“ hat Gabriel eingerichtet, mit Befürwortern und Gegnern des Abkommens mit den USA – just am Donnerstag trat er wieder zusammen. Und per Mail erklärte er unlängst den Genossen den Stand der Dinge. Der SPD-Chef lässt nichts unversucht – zumal am Ende ein Parteikonvent die Abkommen absegnen soll.

Deshalb auch wird Gabriel diesen Samstag in Madrid eintrudeln, beim Treffen der sozialdemokratischen Parteichefs Europas. Ließe sich hier so etwas wie eine gemeinsame Haltung auf Linie der deutschen Sozialdemokraten vereinbaren, so das Kalkül, dann wären auch Änderungen am Vertrag mit Kanada leichter. Wenn aber nicht – dann hat Gabriel ein Problem.

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