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Ein Mann mit Durst

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Sein Blut riecht nach Parfum. Die Polizei verhört ihn oft, weil sie seine Geschichten so interessant findet. Er spricht fließend alle Sprachen, die es gibt – und dazu noch drei, die nur er kennt. Seine Unterschrift hat den Pulitzerpreis gewonnen. Der Heilige Gral sucht nach ihm. Er hat Chuck Norris in Kampfkunst unterrichtet. Wenn im Wald ein Baum umfällt und niemand da ist, dann hört er dennoch das Geräusch. Auf seiner Visitenkarte steht nur: „Ich rufe dich an.“ So ist er, der interessanteste Mann der Welt.



Schauspieler Jonathan Goldsmith hat sich auf Bierwerbung verlegt- für Heineken ist er zum Internetphänomen geworden.

Jonathan Goldsmith verkörpert seit acht Jahren diese Figur mit dem prächtigen Vollbart, diesen Gentleman aus einer längst vergangenen Zeit, diese Mischung aus James Bond und Ernest Hemingway. Stets bestens gekleidet und gesegnet mit einem Gesicht, bei dem jede einzelne Falte andeutet, dass die blauen Augen in der Mitte schon einiges gesehen haben. Die Figur ist in den Werbefilmen für die Biersorte Dos Equis der mexikanischen Brauerei Cervecería Cuauhtémoc-Moctezuma zu sehen, an deren Ende dieser Mann zwischen zwei zauberhaften Frauen sitzt und sagt: „Bleibt durstig, meine Freunde.“

Freilich sind bekannte Werbegesichter nicht neu, hierzulande gab es Frau Antje, Herrn Kaiser, den Melitta-Mann, den Ich-habe-gar-kein-Auto-Typen – und seit letztem Jahr kennt man Friedrich Liechtenstein, den „Supergeil“-Mann der Lebensmittelkette Edeka, der Goldsmith übrigens recht ähnlich sieht. Doch der immense Erfolg der „Most-Interesting-Man“-Kampagne stellt alles andere in den Schatten. Die Selbstverständlichkeit der Übertreibung, die Coolness der Hybris, das Augenzwinkern in der Arroganz machen diesen Kerl derart beliebt, dass sich neue Spots im Internet verbreiten wie sonst nur Skandale. Würde Dos Equis auf Edeka reagieren, dann wohl mit diesem Spruch: „Er hat Friedrich Liechtenstein beigebracht, wie man supergeil ist.“

Die Kampagne wird auch als Beweis für die Wirksamkeit von Werbung gesehen. Das Bier gibt es seit 1897 und wurde exakt 110 Jahre lang kaum beachtet. Mittlerweile gilt Dos Equis als die am schnellsten wachsende Biermarke der USA, obwohl das Bier noch immer so schmeckt wie vor zehn oder 50 Jahren. Die Verkäufe sind seit der Einführung dieser Figur im landesweiten Fernsehen vor fünf Jahren um mehr als das Doppelte auf 192 Millionen Liter Bier pro Jahr gestiegen. Im kommenden Jahr wird der Mutterkonzern Heineken deshalb auf dem Cannes Lions International Festival of Creativity als bester Vermarkter weltweit ausgezeichnet.

Es zeigt aber auch, dass sich Auftritte für Schauspieler in Werbefilmen durchaus lohnen können: Stephanie Courtney, die Versicherungs-Frau von Progressive, erhält etwa 500000 Dollar im Jahr, Carly Foulkes soll als T-Mobile-Girl etwa eine Million Dollar bekommen haben. Goldsmith wurde durch die virale Verbreitung der witzigen Werbefilme zum Star – Michael Jordan bat ihn um ein gemeinsames Foto – und zu einem reichen Mann: Er hat durch die Verkörperung dieses wunderbaren Mannes bislang mehr als zehn Millionen Dollar verdient.

„Ich wollte nie in Werbefilmen auftreten, ich habe das immer abschätzig betrachtet“, sagt Goldsmith, 76. Klar, ein Schauspieler will auf dem Broadway auftreten, in Hollywood-Filmen oder zumindest in bedeutenden Fernsehserien. Das hat er alles geschafft, doch meist war er der Typ, der irgendwann vom Helden abgeknallt wurde; im Film „The Shootist“ etwa von John Wayne. 1976 war das, und weil ihn Wayne immer wieder mit Platzpatronen an der Stirn verletzte, habe ihn Regisseur Don Siegel zu trösten versucht: „Er hat gesagt: ‚Jeder, der von John Wayne das Gesicht weggepustet bekommt, wird danach reich und berühmt.‘ 30 Jahre später kommt Dos Equis daher.“

Die Biersorte wurde bis zum Jahr 2006 nur in Kalifornien und Texas verkauft, Goldsmith war ein Schauspieler, der keine Lust mehr hatte auf Nebenrollen in Serien wie „Dallas“, „Knight Rider“, „Magnum“. Er lebte auf einem Segelschiff im Hafen von Marina Del Rey und kümmerte sich um seine Marketingfirma. Seine Agentin und heutige Ehefrau Barbara erfuhr von der Kampagne und schickte ihn zum Vorsprechen. „Da saßen 500 Männer rum, alle jünger als ich und mit südländischem Einschlag“, sagt Goldsmith: „Ich wusste, dass ich keine Chance hatte.“

Er sollte beim Casting spontan eine Geschichte erzählen, die mit dem Satz endete: „Und so kam ich zum Armdrücken mit Fidel Castro.“ Goldsmith zog seine Schuhe aus und legte seine Füße auf den Tisch. Dann berichtete er den Produzenten mit mexikanischem Akzent davon, wie er in Südamerika wilde Tiere gejagt und wie er in Malibu ein kleines Mädchen vor dem Ertrinken gerettet habe. „Die erste Geschichte war erfunden, die zweite nicht“, sagt er. Goldsmith bekam die Rolle, zunächst wurden die Filme nur im regionalen Fernsehen gezeigt. Keine große Sache also.

Die Sprüche, eine Weiterführung und Überhöhung der Chuck-Norris-Tatsachen, waren jedoch derart einprägsam, dass sie sich rasant auf sozialen Netzwerken verbreiteten und im kollektiven Gedächtnis verankerten. Plötzlich kannten alle diesen Mann, der so war, wie Männer heutzutage nicht mehr sein dürfen. Seit 2009 laufen die Spots im landesweiten TV. Seine Werbebotschaft („Ich trinke nicht immer Bier. Aber wenn ich es mache, dann bevorzuge ich Dos Equis.“) wurde zu einem Internet-Phänomen – es gibt eine eigene Homepage, auf der Nutzer ihre eigenen Ideen einstellen können. Mehr als 40000 sind dort mittlerweile gesammelt, die beliebteste derzeit: „Ich bin nicht immer bei Facebook. Aber wenn ich dort bin, verliere ich ein paar IQ-Punkte.“

Goldsmith ist mittlerweile von seinem Segelboot umgezogen auf eine Ranch in Vermont, er hackt Holz und sitzt am liebsten vor dem Kamin im Wohnzimmer. „Ich bin nicht der interessanteste Mensch der Welt“, sagt er. Das seien vielleicht Nelson Mandela, oder Richard Branson. Er geht durchaus selbstironisch damit um, dass es 40 Jahre lang gedauert hat, bis er endlich berühmt wurde – und das als Werbeschauspieler: „Es ist das Beste, was mir jemals passiert ist.“ Warum auch nicht?

Er bekommt sehr viel Geld dafür, damit er über sich erzählt, dass Superman einen Schlafanzug mit seinem Logo besitzt und dass er die Tour-de-France auf einem Einrad gewonnen hat. Sein Lieblingsspruch ist übrigens: „Er besuchte einmal eine Wahrsagerin – um sie zu warnen.“

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