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Der Goldjunge der israelischen Politik

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Die hochgekrempelten Hemdsärmel sind sein Markenzeichen, fast so wichtig wie die Kippa auf dem Kopf. Naftali Bennett, das soll man auf den ersten Blick erkennen, ist ein Macher vor dem Herrn. „Ich bin so stolz, jüdisch zu sein“, sagt er und wandert dabei über die Bühne wie ein amerikanischer Fernsehprediger. „Diese Nation ist ein Wunder.“ Und weil dieses Land so wunderbar und das Volk so großartig ist, hat er sich aufgemacht, das biblische „Erez Israel“ in eine blühende Zukunft zu führen. Locker, lässig, lächelnd – und natürlich mit eiserner Faust.



Die Videos von Bennett sind Klick-Hits, besonders bei jungen Menschen ist der Politiker beliebt.

Naftali Bennett, der seit zwei Jahren in Jerusalem als Wirtschaftsminister ans Werk geht, ist der Goldjunge der israelischen Politik. Ein messianischer Entertainer, der eine einst sektiererische Siedlerpartei zur Massenbewegung ummodelt und dabei in diesem Wahlkampf seinen Konkurrenten mit Genuss die Show stiehlt. Premierminister Benjamin Netanjahu macht den Leuten Angst mit seinem ständigen Alarmgebrüll, sein grundsolider Herausforderer Isaac Herzog macht sie müde – Bennett aber macht ihnen Mut. „Seid nicht pessimistisch, seid optimistisch“, ruft er ins Publikum. „Die Zeit ist auf unserer Seite.“

Mit ziemlicher Sicherheit ist sie zumindest auf seiner Seite: Bennett ist erst 42 Jahre alt, und er selbst lässt keinen Zweifel daran, dass er ganz nach oben will. Pardon, fast ganz: „Gott ist mein Boss“, sagt er, aber darunter ist gewiss noch reichlich Platz für sein Ego und die Ambition aufs Premiersamt. Bei der Parlamentswahl am 17. März dürfte es dazu zwar noch nicht reichen. In allen Umfragen liegt seine Partei Jüdisches Heim mit 12 bis 14 der insgesamt 120 Mandate auf dem dritten Platz – hinter Herzogs Arbeitspartei, die nun als Zionistische Union firmiert, und Netanjahus Likud. Er wird sich also damit begnügen müssen, als Königsmacher für Netanjahu den Sieg des rechten Blocks zu sichern. Königsmörder kann er dann später immer noch werden.

Dazu jedoch muss er der Partei neue Wählerschichten erschließen, und deshalb lässt er sich nun hier in dieser Halle im schicken Hafen von Tel Aviv von mehr als

500 Anhängern und Neugierigen feiern. Das urbane Publikum, das zumeist aus jungen Neu-Einwanderern besteht, hat kaum einen Berührungspunkt mit den national-religiösen Siedlern, die sich im Jüdischen Heim sammelten, bevor Bennett vor gut zwei Jahren die Führung übernahm. Tel Aviv ist die Heimstatt des anderen Israel – links, liberal, libertinär. Doch selbst auf diesem fremden Terrain sammelt Bennett Punkt um Punkt.

Hier ist er der Mann für alle Fälle: der Vorzeigesoldat aus der Eliteeinheit Sajeret Matkal; der Start-up-Unternehmer, der mit dem Verkauf seiner Software-Firma für 145 Millionen Dollar schon in jungen Jahren ausgesorgt hat; der Politiker, der fern jeder rechtslastigen Ideologie pragmatische Lösungen für all die komplexen Probleme des Landes anbietet, der Kartelle aufbricht und Monopole auflöst, um von der Sojamilch bis zum Eigenheim die drückend hohen Preise zu senken.

Nicht immer folgt ihm die verknöcherte Partei auf diesem Kurs. Fast eine Revolte hat er ausgelöst, als er ohne Vorwarnung einen prominenten Ex-Fußballer auf einen sicheren Listenplatz hieven wollte. In den parteiinternen Vorwahlen scheiterte auch sein Vorhaben, als Feigenblatt fürs Jüdische Heim eine Araberin ins Parlament zu schicken. Das waren Rückschläge im Masterplan für die Volkspartei, ohne die er in den Umfragen wohl noch besser dastünde. Doch je größer der Erfolg wird, desto mehr wird das Jüdische Heim ohnehin zur reinen Bennett-Partei.

Bei aller Offenheit nach vielen Seiten sollte man Bennett jedoch keinesfalls Beliebigkeit unterstellen. Es gibt Grenzen – und die gelten vor allem für sein Projekt von Groß-Israel. Das soll vom Mittelmeer bis zum Jordan reichen, für einen Palästinenserstaat bleibt da kein Platz. Stattdessen propagiert Bennett die Annektion großer Teile des seit 1967 besetzten Westjordanlands – und bekommt dafür auch in Tel Aviv Applaus, wo die jüdischen Siedler ansonsten oft auf einem fernen Planeten, jedenfalls nicht in der eigenen Lebenswelt verortet werden. „Wir sind nicht bereit, auch nur einen Zentimeter Land an die Araber abzugeben“, poltert Bennett. Diese Kriegserklärung an alle Friedensbemühungen nennt er dann „Stabilitätsplan“.

Für Israels Nachbarn und für Israels Verbündete von Washington bis Berlin sind solche Pläne schlicht ein Albtraum. Doch Bennett ficht das nicht an, im Gegenteil: „Ansehen in der Welt gewinnen wir nur, wenn wir genug von unserem Land abgeben“, erklärt er. „Dann bekommen wir drei Tage Sympathie – und am vierten Tag bekommen wir Raketen.“

Als Paradebeispiel dafür dient ihm Israels Rückzug aus dem Gazastreifen anno 2005. Dort herrscht nun die Hamas, von dort droht immer wieder Gefahr. Mit ihm an der Spitze wäre auch diese Bedrohung schnell gebannt, das hat er schon während des Gaza-Kriegs im Sommer lautstark versprochen. Er propagiert ein „selbstbewusstes Israel“, das sich weder seinen Feinden noch seinen Freunden beugt. Dazu passt der Wahlkampf-Slogan, der auch in der Tel Aviver Halle überall die Wände ziert: „Keine Entschuldigungen mehr. Wir lieben Israel.“

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