Es war ein Auftritt ganz nach seinem Geschmack. Der Plenarsaal war voll, die Kameras liefen. 95 Prozent der Abgeordneten hatten ihn gerade als Bundestagspräsidenten wiedergewählt, ein starkes Ergebnis. Norbert Lammert stieg zur Präsidentenkanzel hinauf, schob das Pult hoch – und begann seine Rede. Lammert redet gern, er weiß um seine Wirkung. Im Bundestag sitzt zwar ein Abgeordneter namens Cajus Julius Caesar. Es gibt aber kaum einen Parlamentarier, bei dem sich der Eindruck aufzwingt, er könne in direkter Linie von Cicero oder Cato abstammen. Umso stärker glänzt der Rhetor Lammert.
Der frustrierte Rhetor: Norbert Lammerts Reformpläne stoßen auf Widerstand in den eigenen Reihen.
Auch an diesem Tag verfehlte der Bundestagspräsident nicht seine Wirkung. Es war der 22. Oktober 2013, das neue Parlament hatte sich gerade konstituiert. Lammert nutzte die Chance für einen Appell an den Stolz des Bundestages – auch gegenüber einer übermächtigen großen Koalition. Ein Parlament, das Forum der Nation sein solle und wolle, müsse die ganze Breite der Meinungen zur Geltung bringen, die es unter den Abgeordneten und in der Gesellschaft gebe, sagte Lammert. Zum Leidwesen seiner Parteifreunde von der CDU forderte er deshalb eine Klarstellung der Minderheitenrechte sowie eine Reform der bisher zahmen Regierungsbefragung im Parlament. Außerdem mahnte Lammert eine Reform des Wahlrechts an, weil dieses für viele Bürger „ziemlich undurchsichtig“ sei.
Grüne und Linke klatschten erfreut ob dieser Forderungen, in der Unionsfraktion blieb der Beifall vergleichsweise mau. Lammert stocherte auch noch ein bisschen in der Wunde. Bei der Unionsfraktion wolle er sich besonders bedanken, sagte der Bundestagspräsident. Die habe ihn erneut vorgeschlagen, obwohl sie wisse, dass sein Amtsverständnis „in den eigenen Reihen nicht immer stürmische Begeisterung erzeugt“. Da konnte Angela Merkel nur heftig nicken. Unionsfraktionschef Volker Kauder rief gar laut „Stimmt!“ durch den Plenarsaal.
Für Lammert war es ein triumphaler Start in die neue Legislaturperiode. Inzwischen ist das erste Drittel vergangen. Es ist also Zeit für eine erste Bilanz, was der Bundestagspräsident von seiner Agenda hat durchsetzen können. Es ist, so viel sei vorweg gesagt, trotz vieler ehrenwerter Bemühungen eine eher dürftige Bilanz. Seine eigene Fraktion hat ihn zu oft ausgebremst.
Die Reform der Regierungsbefragung ist in der vergangenen Woche endgültig gescheitert. Lammert hatte sich monatelang um eine Verständigung zwischen Koalition und Opposition bemüht und am Ende sogar einen eigenen Kompromissvorschlag präsentiert. Union und SPD lehnten diesen jedoch ab. „Damit ist das Manöver beendet“, musste Lammert deshalb in der jüngsten Sitzung des Ältestenrats eingestehen. Jetzt bleibt alles beim Alten. Auch künftig darf die Regierung das Hauptthema ihrer Befragung selbst festlegen. Auch künftig muss lediglich ein einziger Minister bei der Befragung anwesend sein. Auch deren Dauer wird nicht verlängert, es bleibt bei knappen 30 Minuten je Sitzungswoche. Von einem Schlagabtausch wie bei den „Prime Minister’s Questions“ im britischen Unterhaus können Bürger also weiterhin nur träumen. Die Kanzlerin wird sich auch in Zukunft nie einer Befragung durch den Bundestag stellen müssen. Lammert selbst wird das am meisten schmerzen. Er hatte vor einem Jahr erklärt, die Regierungsbefragungen und Fragestunden in ihrer jetzigen Form seien der „schwächste Teil des deutschen Parlamentarismus“.
Bei den Minderheitenrechten waren Lammerts Vermittlungsversuche erfolgreicher. Grüne und Linke stellen nur 20 Prozent der Abgeordneten. Sie bekommen inzwischen aber je nach Debattenformat 25 bis 32 Prozent der Redezeit. Außerdem werden den beiden Oppositionsfraktionen einige Minderheitenrechte zugestanden, für deren Wahrnehmung eigentlich 25 Prozent der Abgeordneten notwendig sind. Dazu gehören etwa die Einberufung des Bundestags oder die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen. Ein wichtiges Recht hat die große Koalition dabei aber ausgespart: die Möglichkeit einer Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht.
Bleibt der dritte Punkt der Lammert’schen Agenda, die Reform des Wahlrechts. Das Wahlrecht ist das Betriebssystem der Demokratie. Es übersetzt ein Abstimmungsergebnis in Mandate – und entscheidet damit über die Macht im Land. Wenn Bürger das Wahlrecht nicht verstehen oder es gar für ungerecht halten, schadet das der Akzeptanz der Demokratie. Lammert stört sich vor allem am neu eingeführten komplizierten System der Ausgleichs- und Überhangmandate. Gleich nach seiner Wiederwahl zum Bundestagspräsidenten hatte er deshalb erklärt, man müsse das erst Anfang 2013 geänderte Wahlrecht „noch einmal angucken“. Dies sollte bis spätestens 2015 geschehen. Ansonsten käme man der nächsten Bundestagswahl zu nahe.
Inzwischen ist März 2015, in Sachen Wahlrecht ist aber nichts geschehen. Lammert hat deshalb jetzt erneut eine Reform angemahnt. Er sei fest davon überzeugt, dass „wir an dieses Thema noch einmal heranmüssen“, sagte er dem Magazin Cicero. Das aktuelle Wahlrecht sei „derart kompliziert, dass nur ein Bruchteil der Wähler eine zutreffende Vorstellung über die Wirkungsweise seines Stimmverhaltens für die Mandatsverteilung“ habe. Damit seien „die Mindestanforderungen an die Transparenz eines Wahlsystems nicht erfüllt“. Bei der Bundestagswahl 2013 hätte es nach dem alten Wahlrecht nur vier Überhangmandate gegeben. Wegen des neuen Systems wurden daraus aber 33 zusätzliche Sitze im Bundestag. Hätte die Union nicht so deutlich gewonnen, hätten es auch doppelt so viele Extra-Mandate werden können.
Für Lammert ist das nicht akzeptabel. Die große Koalition macht bisher aber keine Anstalten, das Wahlrecht zu ändern. Der Bundestagspräsident mag ein großer Redner sein, aber auch er hat nur eine Stimme. In diesem Fall ist das leider zu wenig.
Der frustrierte Rhetor: Norbert Lammerts Reformpläne stoßen auf Widerstand in den eigenen Reihen.
Auch an diesem Tag verfehlte der Bundestagspräsident nicht seine Wirkung. Es war der 22. Oktober 2013, das neue Parlament hatte sich gerade konstituiert. Lammert nutzte die Chance für einen Appell an den Stolz des Bundestages – auch gegenüber einer übermächtigen großen Koalition. Ein Parlament, das Forum der Nation sein solle und wolle, müsse die ganze Breite der Meinungen zur Geltung bringen, die es unter den Abgeordneten und in der Gesellschaft gebe, sagte Lammert. Zum Leidwesen seiner Parteifreunde von der CDU forderte er deshalb eine Klarstellung der Minderheitenrechte sowie eine Reform der bisher zahmen Regierungsbefragung im Parlament. Außerdem mahnte Lammert eine Reform des Wahlrechts an, weil dieses für viele Bürger „ziemlich undurchsichtig“ sei.
Grüne und Linke klatschten erfreut ob dieser Forderungen, in der Unionsfraktion blieb der Beifall vergleichsweise mau. Lammert stocherte auch noch ein bisschen in der Wunde. Bei der Unionsfraktion wolle er sich besonders bedanken, sagte der Bundestagspräsident. Die habe ihn erneut vorgeschlagen, obwohl sie wisse, dass sein Amtsverständnis „in den eigenen Reihen nicht immer stürmische Begeisterung erzeugt“. Da konnte Angela Merkel nur heftig nicken. Unionsfraktionschef Volker Kauder rief gar laut „Stimmt!“ durch den Plenarsaal.
Für Lammert war es ein triumphaler Start in die neue Legislaturperiode. Inzwischen ist das erste Drittel vergangen. Es ist also Zeit für eine erste Bilanz, was der Bundestagspräsident von seiner Agenda hat durchsetzen können. Es ist, so viel sei vorweg gesagt, trotz vieler ehrenwerter Bemühungen eine eher dürftige Bilanz. Seine eigene Fraktion hat ihn zu oft ausgebremst.
Die Reform der Regierungsbefragung ist in der vergangenen Woche endgültig gescheitert. Lammert hatte sich monatelang um eine Verständigung zwischen Koalition und Opposition bemüht und am Ende sogar einen eigenen Kompromissvorschlag präsentiert. Union und SPD lehnten diesen jedoch ab. „Damit ist das Manöver beendet“, musste Lammert deshalb in der jüngsten Sitzung des Ältestenrats eingestehen. Jetzt bleibt alles beim Alten. Auch künftig darf die Regierung das Hauptthema ihrer Befragung selbst festlegen. Auch künftig muss lediglich ein einziger Minister bei der Befragung anwesend sein. Auch deren Dauer wird nicht verlängert, es bleibt bei knappen 30 Minuten je Sitzungswoche. Von einem Schlagabtausch wie bei den „Prime Minister’s Questions“ im britischen Unterhaus können Bürger also weiterhin nur träumen. Die Kanzlerin wird sich auch in Zukunft nie einer Befragung durch den Bundestag stellen müssen. Lammert selbst wird das am meisten schmerzen. Er hatte vor einem Jahr erklärt, die Regierungsbefragungen und Fragestunden in ihrer jetzigen Form seien der „schwächste Teil des deutschen Parlamentarismus“.
Bei den Minderheitenrechten waren Lammerts Vermittlungsversuche erfolgreicher. Grüne und Linke stellen nur 20 Prozent der Abgeordneten. Sie bekommen inzwischen aber je nach Debattenformat 25 bis 32 Prozent der Redezeit. Außerdem werden den beiden Oppositionsfraktionen einige Minderheitenrechte zugestanden, für deren Wahrnehmung eigentlich 25 Prozent der Abgeordneten notwendig sind. Dazu gehören etwa die Einberufung des Bundestags oder die Einsetzung von Untersuchungsausschüssen. Ein wichtiges Recht hat die große Koalition dabei aber ausgespart: die Möglichkeit einer Normenkontrollklage beim Bundesverfassungsgericht.
Bleibt der dritte Punkt der Lammert’schen Agenda, die Reform des Wahlrechts. Das Wahlrecht ist das Betriebssystem der Demokratie. Es übersetzt ein Abstimmungsergebnis in Mandate – und entscheidet damit über die Macht im Land. Wenn Bürger das Wahlrecht nicht verstehen oder es gar für ungerecht halten, schadet das der Akzeptanz der Demokratie. Lammert stört sich vor allem am neu eingeführten komplizierten System der Ausgleichs- und Überhangmandate. Gleich nach seiner Wiederwahl zum Bundestagspräsidenten hatte er deshalb erklärt, man müsse das erst Anfang 2013 geänderte Wahlrecht „noch einmal angucken“. Dies sollte bis spätestens 2015 geschehen. Ansonsten käme man der nächsten Bundestagswahl zu nahe.
Inzwischen ist März 2015, in Sachen Wahlrecht ist aber nichts geschehen. Lammert hat deshalb jetzt erneut eine Reform angemahnt. Er sei fest davon überzeugt, dass „wir an dieses Thema noch einmal heranmüssen“, sagte er dem Magazin Cicero. Das aktuelle Wahlrecht sei „derart kompliziert, dass nur ein Bruchteil der Wähler eine zutreffende Vorstellung über die Wirkungsweise seines Stimmverhaltens für die Mandatsverteilung“ habe. Damit seien „die Mindestanforderungen an die Transparenz eines Wahlsystems nicht erfüllt“. Bei der Bundestagswahl 2013 hätte es nach dem alten Wahlrecht nur vier Überhangmandate gegeben. Wegen des neuen Systems wurden daraus aber 33 zusätzliche Sitze im Bundestag. Hätte die Union nicht so deutlich gewonnen, hätten es auch doppelt so viele Extra-Mandate werden können.
Für Lammert ist das nicht akzeptabel. Die große Koalition macht bisher aber keine Anstalten, das Wahlrecht zu ändern. Der Bundestagspräsident mag ein großer Redner sein, aber auch er hat nur eine Stimme. In diesem Fall ist das leider zu wenig.