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Die verlorene Tochter

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17Jahre lang haben sie sich an die Hoffnung geklammert, haben jeden Geburtstag ihrer Tochter gefeiert, auch wenn jegliche Spur von ihr fehlte. Bis plötzlich dieses seltsam vertraut aussehende Mädchen an der Schule auftauchte.

Doch der Reihe nach. Im April 1997 gebar die Südafrikanerin Celeste Nurse im Grote Schuur Hospital in Kapstadt eine Tochter. Ihr Mann und sie gaben dem Mädchen den Namen Zephany, sie freuten sich darauf, ihr Baby mit nach Hause zu nehmen, das Kinderzimmer war längst eingerichtet, in Blau, Gelb und Weiß; Fläschchen, Puder, Cremes, alles stand bereit. Doch zunächst sollte sich die Mutter von den Strapazen des Kaiserschnitts erholen. Sie schlief viel in den Tagen nach der Geburt. Am dritten Tag weckte die Stimme einer Krankenschwester sie auf: „Wo ist Ihr Baby?“, fragte die. Unter den Bildern, die Celeste Nurse in den folgenden Tagen durch den Kopf rasten, tauchte eines immer wieder auf: Eine andere werdende Mutter auf der Geburtenstation, sie hielt Zephany im Arm, und auf die Frage, was sie da mache, antwortete sie, das Baby habe geweint, und sie wollte es bloß beruhigen. Im Nachhinein war sich Celeste Nurse sicher: Das war die Frau, die ihre Tochter entführt hatte. „Sie hatte die Absicht, ein Kind zu stehlen“, sagte sie Jahre später einer südafrikanischen Zeitung, „egal, welches Kind.“

Was ihr und ihrem Mann blieb, war ein leeres Kinderzimmer in Blau, Gelb und Weiß und jede Menge unbeantworteter Fragen. Wie konnte die Entführerin die Klinik mit einem Baby verlassen, das nicht ihr eigenes war? Nächtelang lag Celeste Nurse schlaflos im Bett, hörte draußen Katzen schreien, manchmal klang es wie ein weinendes Baby. War das Ganze nicht doch nur ein böser Scherz, würde vielleicht plötzlich ganz unvermittelt jemand vor ihrer Tür stehen und ihr ihre Tochter in den Arm legen? 17Jahre zehrte sie von der Hoffnung, sie gebar drei weitere Kinder, und ihr viertes, ihr Erstgeborenes, war in ihren Gedanken nie fern. Im Februar 2010 sagte sie der Zeitung Cape Argus: „Ich spüre es in meinem Bauch: Meine Tochter ist da draußen, und irgendwann wird sie nach Hause kommen.“

Im Januar dieses Jahres wechselte ihre Tochter Cassidy, vier Jahre jünger als Zephany, an eine weiterführende Schule. Eine Klassenkameradin sagte zu Cassidy: In einer der höheren Klassen sei „ein Mädchen, das genau so aussieht wie du“. Tatsächlich, sie sieht aus wie ich, dachte Cassidy, als sie dem Mädchen begegnete. Sie plauderten, sie verstanden sich gut, fanden heraus, dass sie gar nicht weit voneinander entfernt wohnen. Sie gingen gemeinsam Burger essen. Als Cassidys Vater, Morné Nurse, die beiden zusammen sah, musste er sich, wie er später sagte, „schwer zurückhalten“. Er informierte die Polizei, die kurz darauf bei der Familie des Mädchens klingelte, die Eltern zu befragen begann und einen DNA-Test bei dem Mädchen veranlasste. Das Testergebnis räumte alle Zweifel aus. Celeste und Morné Nurse hatten ihre verlorene Tochter wiedergefunden. Das glückliche Ende eines Familiendramas?
Am vergangenen Freitag stand die vermeintliche Mutter von Zephany, die sie unter einem anderen Namen großgezogen hatte, erstmalig vor einem Gericht in Kapstadt, wo sie sich nun wegen Entführung, Betrugs und diverser Verstöße gegen das Kinderschutzgesetz verantworten muss. Die Frau hat keine weiteren Kinder; vor der mutmaßlichen Entführung von Zephany hatte sie mehrere Fehlgeburten erlitten. Ihre Schwester sagte der Zeitung Cape Argus, für die Familie sei eine Welt zusammengebrochen: Das Mädchen sei schließlich „Teil unseres Lebens gewesen. Und nun ist sie weg. Wir haben keinen Kontakt zu ihr, keine Ahnung, wo sie ist.“


 

Im April 1997 wurde Zephany Nurse im Grote Schuur Hospital in Kapstadt entführt- Nun ist sie wieder aufgetaucht

Zephany Nurse, die im April volljährig wird, ist jetzt in der Obhut des Jugendamtes. Eine leibliche Tante von ihr jubelte in einem Interview, die Familie sei „aufgeregt, glücklich, voller Freude. Es fühlt sich an wie in einem Traum. Kann das wirklich wahr sein?“ Doch für das Mädchen selbst ist eine äußerst schwere Zeit angebrochen. Wo wird sie künftig leben, in welcher Familie wird sie sich zu Hause fühlen? Bei ihrer vermeintlichen Mutter, die in Wahrheit ihre Kidnapperin ist? Oder bei ihrer leiblichen Mutter, an die sei keine bewussten Erinnerungen hat? Auch Celeste Nurse räumte ein, es sei ihr nicht ganz so leicht gefallen, ihre wiedergefundene Tochter so in der Arm zu nehmen wie ihre drei anderen Kinder.
Nun ist Berichten zufolge die prominente Kinderrechts-Aktivistin und frühere Leiterin der Kinderschutz-Abteilung der Vereinten Nationen, Ann Skelton, in Kapstadt eingetroffen, um Zephany Nurse in ihrem schwierigen Prozess zu begleiten. Unterdessen hat der Minister für soziale Entwicklung der Provinz Westkap, Albert Fritz, an Verwandte und Bekannte der beiden Familien appelliert, sich mit öffentlichen Aussagen zu dem Fall zurückzuhalten, mit Rücksicht auf das „Trauma“, das Zephany Nurse derzeit durchmache – notfalls werde er per Gerichtsbeschluss für Diskretion sorgen: „Das Kind ist sehr verwirrt, wir sind sehr besorgt.“

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