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Wo ist der Aus-Knopf?

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Natürlich die Kalifornier! Wer sonst. Zuerst ballern sie uns zu mit iPhones und iPads, machen die Welt abhängig von Facebook, Twitter und Whatsapp, und dann, wenn selbst im Urlaub alle nur noch die Köpfe gesenkt halten und aus ihren Gesichtern jede Farbe gewichen ist bis auf den bläulichen Widerschein der Displays, dann kommen sie an und sagen: Hey guys, it’s time for digital detox!



Sehnsucht nach Offline-Urlaub: Wer es nicht selbst schafft, sich im Urlaub vom Internet zu trennen, kann Digital-Detox Ferien machen.

Detox, also Entgiftung, das ist ja schon seit Jahren ein Thema in der Urlaubswelt: Brennnesseltee trinken und Yoga machen in Südindien oder für viel Geld eine Woche Fasten mit wässrigen Suppen und Brot ohne Butter in einem „Medical Retreat“ in den Alpen. Nun aber geht es ans Eingemachte, nämlich an unsere Abhängigkeit von den digitalen Endgeräten. Viele Menschen nehmen die Arbeit mit in den Urlaub, rufen Mails noch auf der Toilette oder im Restaurant ab, und Freizeit bedeutet, schnell mal ein paar Tweets zu folgen oder zu schauen, was einer der 250 besten Freunde auf Facebook gepostet hat.

In diese Welt der immer stärker elektronisch verbundenen, aber immer gestresster und einsamer werdenden Individuen stößt nun ein Angebot einer in Oakland beheimateten Firma namens Digital Detox: Im staatlichen Wald bei Mendocino, etwa 200 Kilometer nordöstlich von San Francisco, veranstaltet sie dreitägige Sommercamps, die eine Mischung aus Teenie-Zeltlager und Entziehungskur sind. Die wichtigste Regel des „Camp Grounded“ genannten Spektakels ist das Abgeben und Wegsperren aller elektronischen Geräte. Sie werden von Mitarbeitern in Seuchen-Schutzanzügen entgegengenommen, in beschriftete Beutel verpackt und in der „Decontamination-Area“ aufbewahrt, bis die Teilnehmer abreisen. Die zweitwichtigste Regel ist das Verbot, über die Arbeit zu sprechen und Networking zu betreiben. Damit den ständig unter Strom stehenden Großstädtern nicht langweilig wird, gibt es mehr als 50 Animationsangebote. Sie reichen vom Fähnchenstehlen über Yoga, Malkurse und Gemüseeinwecken bis zur „Naked connectedness“: Dabei zieht man sich in einer Jurte zusammen mit 20 anderen nackt aus, und jeder darf über seine größten körperlichen Unsicherheiten sprechen.

Der Zulauf von Camp Grounded ist enorm. Jeweils 300 Teilnehmer, fast zwei Drittel von ihnen Frauen, lassen sich die drei Tage in Hütten oder Zelten im Wald die stolze Summe von rund 600 Dollar kosten. Levi Felix, der Gründer von Digital Detox und Camp Grounded, hat wohl einen Nerv der Zeit getroffen: „Wir werden alle dadurch definiert, was wir arbeiten und bei welchen sozialen Netzwerken wir sind“, sagte er dem Wirtschaftsmagazin Forbes. „Hier im Camp bekommen die Teilnehmer die Möglichkeit, sie selbst zu sein, das ist das Besondere.“ Felix war selbst einst Vizechef eines erfolgreichen Start-ups in Los Angeles, arbeitete 70 Stunden pro Woche und schlief im Büro, bis er vor lauter Stress krank wurde und sich eine längere Auszeit nahm. An deren Ende beschloss er, dass sich „in unserem Umgang mit digitalen Geräten etwas ändern muss“. Ein durchschnittlicher Amerikaner verbringe die Hälfte seiner Wachzeit vor Bildschirmen, viele exzessive Internetnutzer litten unter Depressionen, heißt es auf der Internetseite von Digital Detox. Dass es dabei nicht nur um reine Weltverbesserung geht, sondern auch um ein gutes Geschäft, das hoch professionell auf allen bösen digitalen Kanälen vermarktet wird, dazu will Felix auf SZ-Anfrage nichts sagen. Er spricht lieber von einer „Bewegung“, die immer mehr Zulauf erfahre.

„Die Idee hinter den Angeboten von Camp Grounded ist es, den Leuten die Möglichkeit zu geben, etwas Reales mit ihren Händen zu machen, etwas, das sie nicht mit einem Knopf rückgängig machen können – die Fehler gehören dazu.“ So gibt es im Camp durchaus ironisch gemeinte Einrichtungen wie die „menschliche Suchmaschine“, bei der man in hölzernen Boxen Fragen deponieren kann, die dann vielleicht ein anderer Teilnehmer mit einer alten Schreibmaschine beantwortet. Der Aufwand solle den Leuten bewusst machen, wie oft sie im Alltag ihre digitale Post-Eingangsbox checken. Der humorvolle Zugang, das Spielerische, ist wohl ein wichtiger Teil des Erfolgsrezepts: „Die Leute dürfen wieder Kind sein, rumalbern und einfach endlos Spaß haben!“, so Levi Felix.

Einen etwas ernsteren Ansatz verfolgt in Deutschland die Betriebswirtin Ulrike Stöckle, die eine Agentur für Unternehmenskommunikation betreibt und seit vergangenem Jahr auch Digital-Detox-Camps anbietet. „Ich wurde von Camp Grounded inspiriert, aber wir machen das etwas deutscher, nachhaltiger.“ So gehe es darum, in Workshops Strategien zu erarbeiten, wie man auch nach dem Camp im Alltagsleben seinen digitalen Konsum wieder auf ein verträgliches Maß zurückschrauben kann. Die Smartphones werden hier nicht einkassiert, man bittet nur, sie auszuschalten. „Für manche Teilnehmer ist das bewusste Ausschalten schon ein großer Schritt“, sagt Stöckle. Durch die mobilen Geräte mit Internetanschluss werde die Arbeit überall mitgenommen. „Die Leute können abends nicht mehr abschalten.“ Keine Geräte im Schlafzimmer, handyfreie Samstage oder kein Whatsapp bei der Arbeit. Solche Dinge werden auf den Camps diskutiert.

Hilfreich sei eine naturnahe Umgebung, ein Urlaubsumfeld, sagt Stöckle. In diesem Jahr geht es zum Wandern nach Mallorca und in die Provence. Ein Großteil der Teilnehmer sind Frauen, die in Medienberufen arbeiten. Neben der besseren Strukturierung des Tagesablaufs, der ein Arbeiten ohne Ablenkung durch Facebook und Co. ermöglichen soll, liege in den Camps ein Schwerpunkt auch auf gesunder Ernährung und Yoga. Der Andrang bei Stöckles Offline-Urlauben ist nicht ganz so groß wie der in Kalifornien, freie Plätze für den kommenden Sommer gibt es noch genug. „Aber das Thema Digital Detox wird bei uns sicher wichtiger in den nächsten Jahren“, ist die PR-Fachfrau überzeugt.

Während man vor Kurzem noch darüber diskutierte, welche Frechheit es doch sei, dass Hotels für den drahtlosen Internetzugang extra Geld kassieren, ist es in manchen Betrieben nun umgekehrt. Im Fünf-Sterne-Haus Brenners Park-Hotel in Baden-Baden etwa bietet man in einer Dependance nun explizit Suiten an, in denen der Gast sich per Tastendruck vom Wlan und wenn er will auch komplett vom Stromnetz und somit der vermuteten elektromagnetischen Belastung abtrennen kann. „Wir erfahren immer öfter von Gästen, dass sie technisch abschalten möchten“, sagt eine Hotelsprecherin. „Aber wir wollen sie da nicht bevormunden und ihnen die Entscheidung überlassen.“

In der Steiermark hat man es anders versucht, mit der Aktion „Offline-Urlaub“. Teilnehmende Hotels boten Pauschalpakete an, die das bewusste Ausschalten von Handys sowie wlanfreie Zimmer und Restaurants beinhalten. „So richtig gebucht hat diese Pakete aber keiner“, sagt Ute Hödl, Sprecherin von Steiermark Tourismus. Das Interesse und der Wunsch seien bei vielen Gästen zwar da. „Aber die wenigsten schaffen es, tatsächlich zu verzichten, das Smartphone ist für viele fast wie ein Körperfortsatz.“ Ganze Familien im Hotelrestaurant, die auf die Displays ihrer Geräte schauen, statt sich zu unterhalten, seien ein alltäglicher Anblick. In diesem Sommer hätten deshalb drei auf Familien spezialisierte Hotels eigene Pakete aufgelegt, um vor allem den Kindern mit Abenteuer-Programmen in der Natur die Lust auf Smartphone und Spielekonsole zu nehmen. Wie gut das angenommen wird, muss sich erst noch zeigen.

Lehmwände, Massivholzmöbel, kein Strom (Petroleumlampen!) und natürlich auch kein Handy- oder Internetempfang – so sieht das Detox-Apartement in Rogners Bad Blumau aus, einem großen Thermenhotel im Burgenland. „Das wird irrsinnig gut gebucht“, sagt Hotelchefin Melanie Franke. „Viele Leute suchen einen Rückzugsort, eine Auszeit von den alltäglichen Strukturen.“ Dabei falle es vielen noch schwer, komplett auszuschalten. Ein Angebot, etwa vor dem Eintritt in die Therme das Handy an der Rezeption abzugeben, werde noch kaum angenommen. Aus Kundenbefragungen wisse man aber, dass der Wunsch nach digitaler Abkoppelung im Urlaub immer stärker werde. Es seien deshalb weitere fünf völlig strahlenfreie Apartements in Planung, so Hotelchefin Franke. „Das ist definitiv die Zukunft.“

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