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„Dein Handy weiß alles über dich“

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Damit Bruce Schneier für einen kurzen Augenblick seine ruhige Art vergisst, reicht es aus, wie der Chef des US-Inlandsgeheimdienstes FBI zu argumentieren. Etwa so: Haben Strafverfolgungsbehörden recht, wenn sie davor warnen, bald im Dunkeln zu tappen, weil sich Verbrecher immer stärker in den digitalen Raum verziehen? „Bullshit“, platzt Schneier in die Frage. „Das stimmt einfach nicht. Wenn man das FBI nach Beispielen fragt, werden sie plötzlich seltsam still. Wo sind denn all diese unaufgeklärten Verbrechen?“ Noch nie sei es so einfach gewesen, Menschen auszuspionieren, sagt Schneier am Telefon: „Wir leben im Goldenen Zeitalter der Überwachung“.

Schneier ist 52 Jahre alt und zählt zu den bekanntesten Kryptografie-Experten. Als Edward Snowden NSA-Dokumente an Journalisten weitergab, wandten sich diese unter anderem an Schneier, um die Powerpoint-Präsentationen zu verstehen. Anfang März hat er sein neues Buch veröffentlicht, der Titel lautet: „Data and Goliath“, Daten und Goliath also. Kaum auf dem Markt, landet es schon auf der Bestseller-Liste der New York Times. Schneier schreibt seit Jahrzehnten über Verschlüsselung, Daten und Privatsphäre. Doch seit knapp zwei Jahren, in denen intensiv über Geheimdienste und deren Abhörwut diskutiert wird, hat sich seine Rolle verändert. Mittlerweile wollen viele Journalisten mit ihm reden, Mitglieder des US-Kongresses haben ihn zu Erklärstunden eingeladen.

In kurzer Zeit hat sich die Welt grundlegend verändert. Es legt sich eine neue Schicht über die Realität – die der Daten: War es noch vor zehn Jahren undenkbar, aus Massen Datensätzen auf einzelne Individuen zu schließen, gilt heute das Gegenteil. Die Analystengruppe IDC schätzt, dass ein US-Bürger pro Jahr fast zwei Terabyte Daten produziert, knapp fünf Gigabyte jeden Tag. Das Buch von Schneier kommt zu einer Zeit, in der das Internet dabei ist, die Welt auf eine neue Art zu umspannen. In Zukunft werden auch jene Gegenstände an das Netz angeschlossen sein, mit denen Menschen nur oberflächlich in Berührung kommen, wie etwa Heizungen.

Schneiers Buch könnte die neue Blaupause für Überwachungsgegner werden. Detailliert schildert er, wie Geheimdienste und Unternehmen an die Daten kommen und was sie damit anstellen. Die Akribie, die Schneier dabei an den Tag legt, vermittelt den Eindruck, dass es ihm gelungen ist, Material, das für eine Enzyklopädie ausreichen würde, auf 320 Seiten zu schrumpfen. Wer dieses Buch liest, dem muss mulmig werden – alleine durch die Auswahl von konkreten Fällen, die er schlicht nacherzählt. Zum Beispiel, wie die Firma einer Taschenlampen-App heimlich Standortdaten gesammelt und diese angeblich an Marketing-Unternehmen weiterverkauft hat. Die Summe der Beispiele macht aus vermeintlichen Einzelfällen ein Prinzip, macht aus Geheimdiensten wiederholte Rechtsbrecher.
Beim Lesen stellt sich automatisch die Frage, ob und wie man sich als Einzelperson gegen die Überwachung wehren kann. Die Antwort lautet: nur teilweise. Schneier beschreibt in einem eigenen Unterpunkt zwar das Instrumentarium für ein digitales Schutzschild. Man kann sich Techniken aneignen, um sicher zu kommunizieren, zum Beispiel mit dem anonymen Web-Browser Tor durch das Internet surfen oder seine E-Mails mit PGP verschlüsseln. Durchgesetzt haben sich diese Techniken jedoch nicht – und sie sind teilweise sehr benutzerunfreundlich.

„Meine Vorschläge betreffen nicht das Kernproblem“, sagt Schneier. „Dein Handy weiß alles über dich. Aber zu sagen: ‚Na dann lass es zu Hause‘, ist realitätsfremd. Wir brauchen diese Geräte, um am sozialen Leben teilhaben zu können.“ Schneier beschreibt sich selbst als Kurzfrist-Pessimist und Langfrist-Optimist und sagt, der effektivere Weg sei es, dass sich Menschen der Überwachung bewusst werden. „Das Beste, was wir tun können, ist darüber zu reden und uns zu empören.“



Die Überwachung durch mobile Geräte kann nur teilweise verhindert werden. 

Seit Snowden nehme er persönlich wahr, dass sehr viel anders über diese Themen diskutiert werde. Am Ende würden Menschen nicht durch „magische“ Technik geschützt, sondern durch Gesetze, die die Privatsphäre der Individuen absichern. „Das ist ein politischer Prozess, und das Gesetz bewegt sich nur langsam. Ich glaube, das wird eine Generation dauern, bis wir das Problem in den Griff bekommen“.
In der Überwachungsdebatte gibt es Schneier zufolge einen falschen Gegensatz: die Vorstellung, dass man sich zwischen Sicherheit oder Privatsphäre entscheiden müsse. Wer vor Terroranschlägen geschützt werden will, so das Argument, müsse auf Privatsphäre verzichten. Schneier widerspricht dem. „Wir alle haben Wohnungstüren, die wir mit Schlössern absichern. Warum machen wir das? Damit wir mehr Privatsphäre haben. Wir geben weder das eine auf noch das andere. Sicherheit und Privatsphäre sind keine Gegensätze, sie bedingen einander“. Der massenhaften Überwachung durch die NSA setzt er gezieltes Ausspähen entgegen.

Die Rolle der NSA sieht Schneier ganz grundsätzlich kritisch. So habe der Geheimdienst effektiv dazu beigetragen, die Sicherheit im Internet zu unterminieren. Nachdem Bilder aufgetaucht sind, auf denen zu sehen war, wie Mitglieder einer NSA-Sondereinheit Pakete abgefangen haben, um an Produkten der Firma Cisco herumzudoktern, sei das Vertrauen in die Technologie fürs Erste zerrüttet. Hinzu kommt, dass die NSA Software-Sicherheitslücken sammelt – um sie gegebenenfalls zu nutzen, nicht etwa, um betroffene Hersteller zu informieren. Dieses Verhalten der NSA findet Schneier grob fahrlässig. Wenn es nach ihm ginge, sollte der Geheimdienst zerschlagen werden. Während er das Abhören von Regierungsmitarbeitern ausdrücklich bejaht, da dies eine stabilisierende Wirkung haben könne, sollten Terrorismus-Ermittlungen nicht über NSA-Datenbanken abgewickelt werden.

Schneier schreibt, dass seine Empfehlungen eher „langfristig“ seien. Realistisch sind sie an diesem Punkt längst nicht mehr, wenn man bedenkt, dass die NSA pro Jahr mehrere Milliarden Dollar aus einem Geheimbudget verwendet, um exakt diese Form der Überwachung noch zu intensivieren. „Für die nahe liegende Zukunft wird das Abhören sehr einfach bleiben“, schreibt Schneier. Das hingegen ist schon sehr viel realistischer. Das Goldene Zeitalter hat gerade erst begonnen.

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