Am 8. April 2014, so konnte man damals glauben, war der Schlusspunkt einer jahrelangen Debatte erreicht. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) er-klärte die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung für nichtig, das Urteil ließ allenfalls einen geringen Spielraum für eine Neuauflage der anlasslosen Speicherpflicht von Verbindungsdaten – vielleicht auch gar keinen. Dann geschahen die Anschläge von Paris, seither klettert das Thema auf der Agenda steil nach oben. Die Kanzlerin hat ihre Wiedereinführung gefordert, ebenso der Vizekanzler (wenngleich rechtsstaatlich eingehegt). Selbstverständlich befürworte er die Speicherpflicht, sagt auch Innenminister Thomas de Maizière, das „erscheint mir im Kampf gegen den Terrorismus notwendig“. Oder Rainer Wendt von der Deutschen Polizeigewerkschaft: „Es geht um schwerste Kriminalität, es geht um Terrorismus, den wir aufklären wollen.“
Ermittler verfügen bereits über viele Instrumente zur Überwachung, Kritiker warnen vor allwissenden Behörden.
Die Botschaft ist eindeutig: Wir brauchen den Zugriff auf den Datenvorrat, und zwar zur Terrorbekämpfung.
Stimmt das?
Lange vor den Anschlägen von Paris hat Generalbundesanwalt Harald Range, der ja zuständig ist für den „Kampf“ gegen den Terrorismus, jene Islamisten ins Visier genommen, die beim „Islamischen Staat“ in Syrien das Handwerk des Tötens gelernt haben und dann nach Deutschland zurückkehren. Hier werden sie reihenweise festgenommen, die Bundesanwälte beantragen Haftbefehle und schreiben Anklagen, inzwischen laufen Verfahren gegen mehr als 100 Beschuldigte – Tendenz steigend. Ermittler in Bund und Ländern arbeiten Hand in Hand. Wäre Erfolg im Antiterrorkampf nicht eine stets vorläufige Kategorie, müsste man von einer Erfolgsgeschichte sprechen.
Und man fragt sich: Wie machen die das, so ganz ohne Vorratsdaten?
Die Debatte um die Speicherpflicht für Telekommunikations- und Internetverbindungsdaten krankt daran, dass der Begriff „Vorratsdatenspeicherung“ zu einer Chiffre degeneriert ist, die suggeriert: Entweder wir haben sie, oder wir haben nichts. Dass dieses Alles-oder-nichts-Prinzip eine Schimäre ist, kann erkennen, wer Gesetze lesen kann – wie das BKA-Gesetz.
Das Bundeskriminalamt, so steht es in Paragraf 20m, kann „Verkehrsdaten“ von Personen erheben, bei denen „bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dass sie eine jener Straftaten aus dem langen Katalog der Terrordelikte vorbereiten. Dass „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dafür braucht es noch nicht einmal einen Anfangsverdacht, wie ihn die Staatsanwälte etwa für ein Ermittlungsverfahren wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat“ benötigen. Und schon dort ist die Hürde nicht sonderlich hoch: Wer konspirativ mit den falschen Leuten kommuniziert, kann sich schnell ein solches Verfahren einfangen. In Sachen Terror ist die Lizenz zum Datensammeln für die Ermittler vom BKA also leicht erhältlich. Und das ist nur ein Werkzeug in ihren Händen: Telefonüberwachung, Observation, Lauschangriff – der Instrumentenkasten ist reich bestückt.
Richtig ist aber, dass die Ermittler damit nur sehr begrenzt in die Vergangenheit blicken können. Die Datensammlung beginnt, sobald „Tatsachen“ eine entsprechende Gefahr begründen. Zwar umfasst dies auch die bei den Telekommunikationsdienstleistern gespeicherten Daten, die dort oft nur ein paar Tage oder Wochen lang vorhanden sind. Lange Speicherfristen könnten womöglich helfen, die Aufhellung terroristischer Strukturen zu erhellen – falls überhaupt Strukturen existieren: Die radikalisierten Syrienrückkehrer entsprechen eher dem Typus des Einzelkämpfers, mit einem Einblick ins Kommunikationsmuster ist dort nicht viel zu holen.
Außerdem gibt es in Deutschland eine große Zahl weiterer Behörden, die die Strukturen des Terrors durchleuchten, allen voran das Bundesamt für Verfassungsschutz. Auch das BfV verfügt über die Befugnis, Telefon- und Internetdaten aufzuzeichnen – wenn „tatsächliche Anhaltspunkte“ vorliegen, dass bestimmte Personen „schwerwiegende Gefahren nachdrücklich fördern“. Eine Hürde, die höher aussieht, als sie wirklich ist, meint Matthias Bäcker, Professor für Staatsrecht in München. „Wenn der Verfassungsschutz will, kann er relativ viel machen.“ Zwar ist der Auftrag der Verfassungsschützer eher allgemein auf die Aufklärung staatsgefährdender Umtriebe und nicht auf die konkrete Verbrechensbekämpfung gerichtet. „Aber wenn er auf den Verdacht einer terroristischen Straftat stößt, kann er die Erkenntnisse weiterreichen.“ Man ahnt es bereits: Zum Beispiel dann, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte“ für bestimmte staatsgefährdende Delikte bestehen. Also wenn es um Terrorismus geht.
Die Protagonisten der Terrorbekämpfung sammeln, speichern und tauschen also längst eine Vielzahl jener Daten, die ihnen die Politik mit einer neuen Speicherpflicht bereitstellen möchte. Der Rückgriff in einen vorsorglich angelegten Megapool aus Verbindungsdaten könnte dabei helfen, die letzten Fugen im Beweisgebäude zu kitten – integraler Bestandteil der Ermittlungen ist er nicht. „Beim Terrorismus leuchtet eine Vorratsdatenspeicherung nur sehr begrenzt ein“, resümiert Bäcker.
Wofür braucht man dann überhaupt die Vorratsdatenspeicherung?
Als nützlich zur Aufklärung vieler Verbrechen werden vornehmlich die Standortdaten angesehen, die beim Einloggen von Handys in Funkzellen entstehen – aber solche Bewegungsprofile will die SPD explizit ausschließen, sagte kürzlich Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Spricht man mit Ermittlern, dann stößt man vor allem auf einen Bereich, in dem sich der Wegfall der Speicherpflicht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2010 schmerzhaft bemerkbar macht: die Kriminalität in der digitalen Welt. Computersabotage, Ausspähen von Passwörtern, Kinderpornografie, solche Dinge. Dort ist die IP-Adresse der entscheidende und häufig einzige Ansatzpunkt, um den Tätern auf die Spur zu kommen – und wenn die nicht gespeichert ist, tappt die Polizei im Dunkeln. Gern genannt wird zudem der „Enkeltrick“, mit dem sich Kriminelle bei alten, einsamen Menschen als vorgebliche Verwandte in Geldnot einschleichen, um sie um ein paar tausend Euro zu prellen. Solche Taten sind schwer aufzuklären, wenn man nicht die Telefonnummer des ersten Lockanrufs hat.
Nur: Wer dafür eine Speicherpflicht möchte, der muss dies auch sagen. Und muss einräumen, dass er nicht über Schwerkriminalität spricht. Gewiss, auch hinter solchen Delikten stecken mitunter kriminelle Organisationen und skrupellose Täter. Doch in einer aufrichtigen Debatte muss die Frage lauten, ob eine Gesellschaft bereit ist, für die Bekämpfung von Enkeltricks und Internetkriminalität einen Preis zu zahlen: den der Einführung einer anlasslosen Massenüberwachung unverdächtiger Bürger.
Ermittler verfügen bereits über viele Instrumente zur Überwachung, Kritiker warnen vor allwissenden Behörden.
Die Botschaft ist eindeutig: Wir brauchen den Zugriff auf den Datenvorrat, und zwar zur Terrorbekämpfung.
Stimmt das?
Lange vor den Anschlägen von Paris hat Generalbundesanwalt Harald Range, der ja zuständig ist für den „Kampf“ gegen den Terrorismus, jene Islamisten ins Visier genommen, die beim „Islamischen Staat“ in Syrien das Handwerk des Tötens gelernt haben und dann nach Deutschland zurückkehren. Hier werden sie reihenweise festgenommen, die Bundesanwälte beantragen Haftbefehle und schreiben Anklagen, inzwischen laufen Verfahren gegen mehr als 100 Beschuldigte – Tendenz steigend. Ermittler in Bund und Ländern arbeiten Hand in Hand. Wäre Erfolg im Antiterrorkampf nicht eine stets vorläufige Kategorie, müsste man von einer Erfolgsgeschichte sprechen.
Und man fragt sich: Wie machen die das, so ganz ohne Vorratsdaten?
Die Debatte um die Speicherpflicht für Telekommunikations- und Internetverbindungsdaten krankt daran, dass der Begriff „Vorratsdatenspeicherung“ zu einer Chiffre degeneriert ist, die suggeriert: Entweder wir haben sie, oder wir haben nichts. Dass dieses Alles-oder-nichts-Prinzip eine Schimäre ist, kann erkennen, wer Gesetze lesen kann – wie das BKA-Gesetz.
Das Bundeskriminalamt, so steht es in Paragraf 20m, kann „Verkehrsdaten“ von Personen erheben, bei denen „bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dass sie eine jener Straftaten aus dem langen Katalog der Terrordelikte vorbereiten. Dass „Tatsachen die Annahme rechtfertigen“, dafür braucht es noch nicht einmal einen Anfangsverdacht, wie ihn die Staatsanwälte etwa für ein Ermittlungsverfahren wegen „Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Straftat“ benötigen. Und schon dort ist die Hürde nicht sonderlich hoch: Wer konspirativ mit den falschen Leuten kommuniziert, kann sich schnell ein solches Verfahren einfangen. In Sachen Terror ist die Lizenz zum Datensammeln für die Ermittler vom BKA also leicht erhältlich. Und das ist nur ein Werkzeug in ihren Händen: Telefonüberwachung, Observation, Lauschangriff – der Instrumentenkasten ist reich bestückt.
Richtig ist aber, dass die Ermittler damit nur sehr begrenzt in die Vergangenheit blicken können. Die Datensammlung beginnt, sobald „Tatsachen“ eine entsprechende Gefahr begründen. Zwar umfasst dies auch die bei den Telekommunikationsdienstleistern gespeicherten Daten, die dort oft nur ein paar Tage oder Wochen lang vorhanden sind. Lange Speicherfristen könnten womöglich helfen, die Aufhellung terroristischer Strukturen zu erhellen – falls überhaupt Strukturen existieren: Die radikalisierten Syrienrückkehrer entsprechen eher dem Typus des Einzelkämpfers, mit einem Einblick ins Kommunikationsmuster ist dort nicht viel zu holen.
Außerdem gibt es in Deutschland eine große Zahl weiterer Behörden, die die Strukturen des Terrors durchleuchten, allen voran das Bundesamt für Verfassungsschutz. Auch das BfV verfügt über die Befugnis, Telefon- und Internetdaten aufzuzeichnen – wenn „tatsächliche Anhaltspunkte“ vorliegen, dass bestimmte Personen „schwerwiegende Gefahren nachdrücklich fördern“. Eine Hürde, die höher aussieht, als sie wirklich ist, meint Matthias Bäcker, Professor für Staatsrecht in München. „Wenn der Verfassungsschutz will, kann er relativ viel machen.“ Zwar ist der Auftrag der Verfassungsschützer eher allgemein auf die Aufklärung staatsgefährdender Umtriebe und nicht auf die konkrete Verbrechensbekämpfung gerichtet. „Aber wenn er auf den Verdacht einer terroristischen Straftat stößt, kann er die Erkenntnisse weiterreichen.“ Man ahnt es bereits: Zum Beispiel dann, wenn „tatsächliche Anhaltspunkte“ für bestimmte staatsgefährdende Delikte bestehen. Also wenn es um Terrorismus geht.
Die Protagonisten der Terrorbekämpfung sammeln, speichern und tauschen also längst eine Vielzahl jener Daten, die ihnen die Politik mit einer neuen Speicherpflicht bereitstellen möchte. Der Rückgriff in einen vorsorglich angelegten Megapool aus Verbindungsdaten könnte dabei helfen, die letzten Fugen im Beweisgebäude zu kitten – integraler Bestandteil der Ermittlungen ist er nicht. „Beim Terrorismus leuchtet eine Vorratsdatenspeicherung nur sehr begrenzt ein“, resümiert Bäcker.
Wofür braucht man dann überhaupt die Vorratsdatenspeicherung?
Als nützlich zur Aufklärung vieler Verbrechen werden vornehmlich die Standortdaten angesehen, die beim Einloggen von Handys in Funkzellen entstehen – aber solche Bewegungsprofile will die SPD explizit ausschließen, sagte kürzlich Generalsekretärin Yasmin Fahimi. Spricht man mit Ermittlern, dann stößt man vor allem auf einen Bereich, in dem sich der Wegfall der Speicherpflicht nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2010 schmerzhaft bemerkbar macht: die Kriminalität in der digitalen Welt. Computersabotage, Ausspähen von Passwörtern, Kinderpornografie, solche Dinge. Dort ist die IP-Adresse der entscheidende und häufig einzige Ansatzpunkt, um den Tätern auf die Spur zu kommen – und wenn die nicht gespeichert ist, tappt die Polizei im Dunkeln. Gern genannt wird zudem der „Enkeltrick“, mit dem sich Kriminelle bei alten, einsamen Menschen als vorgebliche Verwandte in Geldnot einschleichen, um sie um ein paar tausend Euro zu prellen. Solche Taten sind schwer aufzuklären, wenn man nicht die Telefonnummer des ersten Lockanrufs hat.
Nur: Wer dafür eine Speicherpflicht möchte, der muss dies auch sagen. Und muss einräumen, dass er nicht über Schwerkriminalität spricht. Gewiss, auch hinter solchen Delikten stecken mitunter kriminelle Organisationen und skrupellose Täter. Doch in einer aufrichtigen Debatte muss die Frage lauten, ob eine Gesellschaft bereit ist, für die Bekämpfung von Enkeltricks und Internetkriminalität einen Preis zu zahlen: den der Einführung einer anlasslosen Massenüberwachung unverdächtiger Bürger.