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Schrotschüsse auf Mursi-Gegner

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Maskierte überfallen ein Zeltlager mit Demonstranten auf dem Tahrir-Platz in Kairo und verletzen mindestens 16 Menschen - Nur wenige Tage vor dem Referendum über die ägyptische Verfassung.

Kairo - Wenige Tage vor dem Referendum über die ägyptische Verfassung schüchtern sich Anhänger und Gegner von Präsident Mohammed Mursi mit Großdemonstrationen gegenseitig ein. Die Opposition befürchtet eine Islamisierung des Landes, sollte der umstrittene Entwurf des Grundgesetzes in Kraft treten. Einzelne Gruppen schrecken inzwischen vor offener Gewalt nicht mehr zurück. Maskierte überfielen am Dienstagmorgen am Kairoer Tahrir-Platz ein Zeltlager der Regierungsgegner und verletzten mit Schüssen und Brandbomben 16 Menschen. Zugleich droht bei der vom Präsidenten vorangetriebenen Volksabstimmung am Samstag organisatorisches Chaos: Bürgerrechtlern zufolge ist unklar, ob und wie viele Richter die Abstimmung überwachen werden und wie Nicht-Regierungsorganisationen den Wahlprozess beobachten können. Beides ist bei Wahlen vorgeschrieben.



Schüsse auf das Zeltlager: Die Unruhen auf dem Tahir-Platz in Kairo fordern 16 Todesopfer

Präsident Mursi hat die Armee angewiesen, beim Referendum für Ordnung zu sorgen und ihr das Recht gegeben, Zivilisten festzunehmen. Polizei und Innenministerium sind offenbar nicht in der Lage, die Sicherheit der Abstimmung zu garantieren. 'Das Regime versagt dabei, die Lage in den Griff zu bekommen oder der Opposition einen Kompromiss anzubieten', zitierte Bloomberg Ziad Akl vom Ahram-Zentrum für politische Studien. 'Wenn die Regierung ihren Plan für das Referendum durchzieht, wird es neue Gewalt geben.' Dafür spricht auch der Überfall auf die Regierungsgegner. Die Täter sind zwar bisher unbekannt, doch die Menschenrechtlerin Ghada Shahbandar sagte unter Berufung auf Augenzeugen, es dürfte sich um radikale Islamisten gehandelt haben. Den Islamisten war in den vergangenen Tagen vorgeworfen worden, Milizen einzusetzen, die mit Schrotpistolen, Macheten und Schlagstöcken gegen die Regimegegner vorgehen und gefangene Demonstranten foltern. Die Muslimbrüder behaupten ebenfalls, ihre Gegner seien bewaffnet und hätten mehrere Mursi-Anhänger getötet.

Beide Seiten setzten ungeachtet dessen auf die Macht der Straße. Für Dienstagabend hatten die dem liberalen und säkularen Lager zugerechneten Gegner Mursis in Kairo zu 'Millionen'-Protestmärschen zum Amtssitz des Präsidenten aufgerufen; die Mursi unterstützenden Islamisten wollten ebenfalls marschieren. So bestand die Gefahr, dass die Lager sich Straßenschlachten wie vergangene Woche liefern. Damals starben mindestens acht Menschen bei Krawallen am Ittihadija-Palast.

Politisch bewegte sich wenig. Die Opposition, vertreten durch die Nationale Heilsfront, hatte am Dienstag noch nicht endgültig entschieden, ob sie ihre Anhänger zu einem Nein zur Verfassung oder zum Boykott des Referendums aufrufen wird. Da es bei der Abstimmung kein Quorum geben soll, erscheint eine 'Nein-Kampagne' als einziger Weg. Am Sieg der Verfassungsgegner bestehen aber große Zweifel.

Unklar blieb aber auch der technische Ablauf des Referendums selbst: In Ägypten muss die Richterschaft Wahlen überwachen. Verschiedene Juristen-Organisationen und hohe Richter hatten dies im Falle des Referendums ursprünglich verweigert, sie streiken und stellen nun Bedingungen. Bisher ist somit unklar, ob sich unter den Richtern genügend Aufsichtspersonen finden. 'Wäre dies nicht der Fall, müsste das Referendum möglichenfalls an mehreren Tagen und aufgespalten auf einzelne Landesteile abgehalten werden', sagte die Menschenrechtlerin Shahbandar. 'Zudem ist bei all dem Durcheinander offen, welche Wählerlisten zugrunde gelegt werden und wie sich Nicht-Regierungsorganisationen als Beobachter registrieren können.'

Mursi, ein Islamist, gerät auch in anderen Fragen in die Defensive. Der Ex-Muslimbruder legte ein Dekret über eine Reihe von Verbrauchssteuererhöhungen auf Eis, nachdem er diese erst einen Tag zuvor bekannt gegeben hatte. Die Zeitung Al-Tahrir schrieb, der Staatschef habe sie auf Druck der Muslimbrüder gestoppt. Die Islamistenorganisation, die viele als wahren Machthaber hinter Mursi sehen, wolle die Zustimmung der Verfassung nicht durch unpopuläre Steuer- und Preiserhöhungen gefährden. Das Blatt unterstellte, dass Mursi allein auf Anordnung der Brüder entscheidet.


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