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Raus aus den Schubladen

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Wie Lehrer mit eigenem Material am Schulbuchmarkt mitmischen




Manchmal sind es die kleinen Zufälle im Leben, die eine Idee befördern. Da erkundigt sich der Lehrer Raphael Stoll, Experte für Computereinsatz an der Grundschule, bei einer Firma nach Weißwandtafeln. Dort trifft er Thomas Tillmann, den Geschäftsführer des Lehrerselbstverlags. Tillmann bietet Pädagogen die Möglichkeit, Materialien, die diese für den eigenen Unterricht erstellt haben, anderen zugänglich zu machen. Dahinter steckt die Idee, 'dass es ein riesiges Potenzial an Kreativität gibt, das in Schubladen und auf Festplatten der Lehrer schlummert', wie Tillmann sagt. Warum also nicht Bücher daraus machen, die anderen helfen könnten?

Eines davon ist nun Raphael Stolls 'Computerführerschein für die Grundschule'. Ein Bestseller des kleinen Lehrerselbstverlages, mit dem Lehrer Kindern die grundlegende Bedienung des Computers beibringen können. Etwa 200 Produkte von 80 Autoren bietet der Verlag mittlerweile an. Das klassische Schulbuch vertreibt er in der Regel zwar nicht, denn das müsste zuerst nach Vorgaben der Ministerien zertifiziert werden - aber man macht den Etablierten dennoch bei gewissen Themen Konkurrenz. 'Wir können viel schneller reagieren', so Tillmann. Man sehe sich nur den Islamunterricht in Nordrhein-Westfalen an, der jüngst zum Schuljahresbeginn eingeführt wurde. 'Da waren wir so ziemlich der erste Verlag, der ein Buch dafür hat. Mancher große Verlag würde vielleicht jetzt die Entwicklung in Auftrag geben. Das Buch gäbe es dann 2016.'

Beim Vertrieb setzt der Lehrerselbstverlag auf Download und 'Print on demand'. Das kleine Unternehmen muss also nicht in Vorleistung gehen und große Auflagen mit unveränderlichem Inhalt drucken, die hinterher vielleicht doch nicht verkauft werden. Denn ein Buch wird nur dann gedruckt, wenn es vorher bestellt worden ist. Das minimiert nicht nur das Risiko für den Verlag, es bringt auch inhaltliche Vorteile. 'Man bleibt unabhängig und kann sein Skript immer wieder ändern', sagt Stoll, 'was besonders in einem Bereich wie meinem wichtig ist, der sich so schnell ändert.' So hat er auch seinen Computerführerschein bereits mehrmals aktualisiert.

In Deutschland teilen sich etwa 90 Prozent des Schulbuchmarkts die Groß-Verlage Klett und Cornelsen sowie die Gruppe Westermann auf. Dazu gibt es noch Dutzende unabhängige Kleinverlage. Das Problem, vor dem Schulbuchverlage stehen, hat der Geschäftsführer des Cornelsen-Verlags, Wolf-Rüdiger Feldmann, mal im Interview mit der Süddeutschen Zeitung so beschrieben: Das Schulbuch solle eine 'eierlegende Wollmilchsau' sein, also zahlreichen Anforderungen genügen. Das 'perfekte Schulbuch' aber könne es deshalb gar nicht geben; denn alle diese Ansprüche seien einfach viel zu verschiedenartig.

Der Lehrerselbstverlag tut sich da leichter, weil er flexibler ist. Er requiriert Autoren und Kunden in erster Linie über eine Lehrer-Online-Community, die nach eigenen Angaben 800000 Mitglieder hat. Den Autoren bleibt viel Eigenverantwortung. Der Verlag lasse das Skript zwar durchsehen, sagt Tillmann, prüfe es aber in erster Linie auf mögliche Urheberrechtsverletzungen. Warum das der Qualität keinen Abbruch tun muss, erklärt ein Autor, Jan Schönfeld, so: 'Das Material kommt ja aus der Praxis.' Mit anderen Worten: Es ist bereits im Schulalltag erprobt. Schönfeld hatte sich bereits im Referendariat viel mit Didaktik beschäftigt, wollte seine Erkenntnisse aber verständlicher zusammenfassen, als er es aus Schulbüchern kannte. 'Mein Anliegen ist es, nicht nur ein Arbeitsheft für Lehrer zu machen, sondern einen ,Überlebenstrainer" für Schüler, der Fragen beantwortet wie: Wie lernt man richtig, wie analysiert man einen Text?'

Doch wo veröffentlichen? Große Verlage reagierten auf Anfragen häufig gar nicht, sagt Schönfeld. Als er auf einer Messe den Chef des Selbstverlags ansprach, war der sofort interessiert. Und heute ist die 'Methodenkiste für alle Schulformen und Fächer' ein Renner im Verlagsprogramm. Gut gehen nicht nur solche Kopiervorlagen-Sammlungen, sondern auch Selbsthilfebücher, so Tillmann: 'Referendare schätzen es eben, von einem Referendar ganz ungefiltert erzählt zu bekommen, wie der Hase läuft.'

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