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Streicht die Auflagen!

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Die Krisenländer in der Euro-Zone müssen bei der Rettung mehr Eigenverantwortung übernehmen


Man könnte meinen, zur Eurokrise gäbe es nichts, was noch nicht gesagt wurde und fast nichts, was noch nicht von jedem gesagt wurde. Doch es gibt einen wichtigen Punkt, der in all den Diskussionen bislang unterbelichtet geblieben ist: die wirtschaftspolitische Eigenverantwortung der Krisenländer.

Worum geht es: Viel Energie wird darauf verwendet, für die Länder, die auf die Rettungsschirme zugreifen wollen, angemessene Auflagen zu formulieren. Mindestens ebenso viel Energie wird in den Empfängerländern darauf verwendet, diese Auflagen möglichst erträglich zu halten, zeitlich zu strecken und an der einen oder anderen Stelle vielleicht auch zu umgehen. Im Ergebnis sind beide Seiten unzufrieden. Die Geberländer fürchten, ihre Hilfsmittel könnten in Fässern ohne Boden verschwinden, und die Nehmerländer fürchten, zu harte Auflagen erfüllen zu müssen, die sie letztlich politisch gar nicht durchsetzen können.

Doch nicht nur zwischen Geber- und Nehmerländern - auch innerhalb der jeweiligen Länder reißen die Diskussionen um die Rettungspakete Gräben auf. So streiten in Deutschland die Parteien darüber, ob die gewährten Bürgschaften und Garantien zu knauserig oder zu großzügig bemessen seien. Auch die Frage, welche Auflagen man den Empfängerländern vorschreiben soll, ist heiß umstritten, da manche meinen, strikte Sparauflagen würden die Konjunktur in den Krisenländern endgültig abwürgen, während andere den Standpunkt vertreten, der Reformwille in den Krisenländern lasse immer noch zu wünschen übrig und die Auflagen müssten eher verschärft als gelockert werden. Analoge Diskussionen gibt es in der Slowakei und in Finnland, ansatzweise auch in Österreich und den Niederlanden.

Mindestens so groß sind die neuen Gräben in den Nehmerländern. In Griechenland, Portugal, Spanien und Italien häufen sich die Demonstrationen gegen Regierungen, die Bereitschaft signalisieren, die Reformauflagen der Rettungsschirme zu erfüllen. Dabei richtet sich die Wut der Demonstranten, die gelegentlich recht gewalttätig vorgetragen wird, sowohl gegen die eigenen Regierungen als auch gegen die deutsche Bundeskanzlerin, die als Zuchtmeisterin Europas verunglimpft wird.



So ist in der Europäischen Union, die gerade mit dem Friedensnobelpreis geehrt worden ist, Unfrieden und Zwietracht ausgebrochen. Die Eurokrise hat aus ehemaligen Freunden und Nachbarn verbitterte Gläubiger und Schuldner gemacht. Diese unerfreuliche Entwicklung ist letztlich unvermeidlich, solange die Krisenländer den Eindruck haben müssen, die ihnen zugemuteten Konsolidierungen und Strukturreformen würden ihnen von außen aufgedrängt. Es ist deshalb nicht erstaunlich, dass sie gegen dieses 'Fremddiktat' aufbegehren.

Ob die geforderten Reformmaßnahmen sachgerecht sind oder nicht, steht auf einem anderen Blatt und soll hier nicht diskutiert werden. Eine nachhaltige Unterstützung aus den Krisenländern selbst ist allerdings nur dann zu erwarten, wenn diese die Reformen als ihr eigenes Anliegen begreifen. In diesem Sinne hat sich die OECD im Sommer 2011 in ihrem Public Governance Review über Griechenland dafür ausgesprochen, die 'Ownership' der Krisenländer an den Reformprozessen im Blick zu haben.

Es wäre den Regierungen in den Geberländern der Europäischen Kommission und dem Internationalen Währungsfonds dringend anzuraten, sich nicht allzu sehr den Kopf darüber zu zerbrechen, welche Maßnahmen in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien konkret erforderlich sind, um deren Volkswirtschaften stabilisieren zu können. Da Ratschläge von außen offenbar eher unerwünscht sind und als Angriff auf die nationale Souveränität gewertet werden, wäre es für alle Seiten das Beste, die Krisenländer selbst entscheiden zu lassen, wann und wie und wo sie interne Reformmaßnahmen durchführen wollen. Sie sollten weitestgehende Eigenverantwortung erhalten und das Gefühl bekommen, nur solche Reformen durchzuführen, die zu ihrem eigenen Nutzen sind.

Dieser Gedanke kommt in der aktuellen Eurodebatte entschieden zu kurz. Dabei ist es mittlerweile unübersehbar geworden, dass die Regierungen in den Krisenländern unter den heutigen Spielregeln der Rettungspakete starke Anreize haben, Reformen gegenüber den Geldgebern zu versprechen, gegenüber der eigenen Bevölkerung aber nicht wirklich durchzusetzen. Darüber hinaus haben sie einen Anreiz, ihre Statistiken zu schönen und das wahre Ausmaß der benötigten Hilfsgelder nur scheibchenweise zu offenbaren.

All diese Verzerrungen in den Anreizstrukturen fielen weg, wenn Regierung und Bevölkerung in den Krisenländern die Reformpakete als ihr eigenes Anliegen begreifen würden. Mit leeren Versprechungen würden sie sich dann nur selbst belügen, mit gefälschten Statistiken nur sich und die eigene Bevölkerung täuschen. Als weiterer Vorteil eines solchen Eigenverantwortungs-Ansatzes käme hinzu, das in den Krisenländern selbst vorhandene Wissen, welche Reformen tatsächlich nötig sind, wo sie ansetzen sollten und wie sie umgesetzt werden können, am besten zu nutzen. Die nationalen politischen Entscheidungsträger in Griechenland, Portugal, Spanien und Italien dürften sehr viel genauer erkennen können, wie eine erfolgreiche Reformpolitik gestaltet werden kann, als es eine für Kurzvisiten anreisende Troika-Delegation jemals zu leisten imstande wäre.

Die Eigenverantwortung der Krisenländer ernst zu nehmen bedeutet letztlich, die Hilfsgelder unkonditioniert zu gewähren. Dafür ist es unabdingbar, die bereitgestellten Mittel zu deckeln, um eine Selbstbedienung aus den Rettungsfonds zu vermeiden. Der Verzicht auf jegliche Auflagen für Athen und andere mediterrane Hauptstädte mag gerade aus deutscher Sicht befremdlich erscheinen, aber anders ist Eigenverantwortung nicht zu haben.

Fazit: Die Regierungen der Geberländer sollten sich möglichst rasch darauf verständigen, auf konkrete Reformauflagen für die Krisenländer zu verzichten und im Gegenzug dafür verbindliche Entscheidungen treffen, bis zu welchem Umfang die betroffenen Länder mit Hilfsgeldern rechnen können. Die Krisenländer hätten dann selbst ein ureigenes Interesse daran, nötige Reformprozesse in ihren eigenen Ländern anzustoßen und zugleich überflüssige Reformen und überzogene Konsolidierungsmaßnahmen zu vermeiden. Sollte dies gelingen, dann hätte sich die Europäische Union in ihrem Umgang mit der Euro-Krise den Friedensnobelpreis redlich verdient.

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