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Die Lebensoptimierer

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Einst kamen die Menschen ins Silicon Valley, um die Welt zu verändern. Heute kommen sie, um Geld zu verdienen. Eine ganze Industrie sorgt sich ums Privatleben der Internetmillionäre - auch bei pikanten Fragen während eines Dates


  Ken Deleon ist ein Optimierer. Um jede Minute effizient zu nutzen, redet er so schnell wie möglich und gern in Abkürzungen. Aus Palo Alto wird Palto. Das sind zwei Silben weniger, die zwischen dem 40 Jahre alten Immobilienmakler und einem neuen Deal stehen. Denn in Palto und im Rest des Silicon Valley herrscht Goldgräberstimmung. Und Deleon ist mittendrin: 2011 hat er Häuser für 275 Millionen Dollar verkauft, was ihn laut Wall Street Journal zum erfolgreichsten Immobilienhändler der USA macht.

'Willkommen im Zentrum des neuen Amerika', ruft der Jurist mit der randlosen Brille, der nicht mit dem Reden aufhört, als er Cola-Light-Dosen aus dem Kühlschrank holt. 26 Leute arbeiten für Deleon, dessen Fernsehinterviews in der Lobby seines Büros auf Flachbildschirmen in Dauerschleife laufen. Der Rest Amerikas mag über Arbeitslosigkeit und den drohenden Abstieg der Supermacht debattieren. In Nordkalifornien ist dafür keine Zeit. 'Das Silicon Valley ist der stärkste Markt für Immobilien. Manhattan geht es nicht so gut, weil die Finanzbranche schwächelt', sagt Deleon. Er ist nicht der Einzige, der bestens daran verdient, den Nerds beim Geldausgeben zu helfen. Finanzanlage, Ernährung oder Liebesleben - im Silicon Valley gibt es kaum einen Lebensbereich, in dem nicht Optimierer wie Deleon mit Tipps zur Seite stehen.

Natürlich hat der Facebook-Börsengang im vergangenen Jahr die Immobilienpreise in die Höhe getrieben. Auch Büros sind nirgends teurer als in der einst so verschlafenen Unistadt Palo Alto. Das Wettrennen wurde aber nicht nur durch Neumillionäre angeheizt, sagt Deleon. Andere Entwickler, Programmierer und Stanford-Professoren hätten nicht weiter gefeilscht und schnell ihre Kaufverträge unterzeichnet, um der Facebook-Konkurrenz vorauszusein. Angst vor einer Blase hat Deleon nicht. Spätestens für 2014 peilt er 300 Millionen Dollar Jahresumsatz an. Sein Kalkül: Die Leute, die gerade ein Haus für zwei Millionen gekauft hätten, würden dann eine Villa in den umliegenden Hügeln für sieben Millionen erwerben.



Deleon steht meist mit seinem Austin Martin Rapide neben Porsches und Jaguars in jenem Dauerstau, der auf Palo Altos palmengesäumten Straßen herrscht. Facebook bietet seinen Mitarbeitern deswegen Shuttle-Busse mit WLAN von und nach San Francisco an. Schneller sind die unterwegs, die Tausende Dollar in ultraleichte Rennräder investiert haben. Jene Elite-Kunden, die auch ihre eigenen Finanzberater beschäftigen, sind die Zielgruppe von Deleon. 90 Prozent seiner Klienten seien Investoren oder arbeiteten bei Google, LinkedIn oder Groupon und mehr als die Hälfte seien Absolventen aus Stanford, Harvard und vom MIT: 'Diese Menschen sind brillant. Sie wissen in 30 Sekunden, ob ihnen gefällt, was ich präsentiere.'

Im Stakkato schwärmt er vom amerikanischen Traum, jenem Aufstieg dank Fleiß und exzellenter Ideen, der sich am besten im Silicon Valley verwirklichen lasse: 'Die Leute hier sind nicht eifersüchtig auf den Erfolg anderer Leute, sondern sehen ihn als Inspiration. Einer meiner Facebook-Kunden ist von einer 75-Quadratmeter-Wohnung in ein zwölfmal größeres Haus gezogen. Als die Helfer vor dem neuen Haus anhielten, fragten sie, ob er im Lotto gewonnen habe. Das stimmt ja auch, denn das Risiko, bei einer damals kleinen Firma anzuheuern, hat sich ausgezahlt.'

Es gibt wohl nur wenige andere Makler, die ein ähnliches Lebensmotto haben wie Deleon: 'Ich habe keine Angst vor dem Tod, sondern vor einem unbedeutenden Leben.' Weil er andere Menschen inspirieren will, schreibt er gerade an seiner Autobiographie 'Warum passieren sexy Menschen schreckliche Dinge?'. Darin schildert er, wie er seine Krebserkrankung überwunden, einen schweren Autounfall überlebt hat und zum Top-Makler wurde. Dass er für Auftritte als Redner kein Honorar verlange, erklärt er mit dem Google-Mantra: 'Wissen soll für alle zugänglich sein.' Auf eine Möglichkeit, berühmter zu werden, hat er verzichtet: Deleon war einer von zehn Personen, die der TV-Sender Bravo für seine Reality-TV-Serie 'Start-Ups: Silicon Valley' ausgewählt hatte. 'Ich habe in der Pilotsendung mitgemacht und schließlich abgesagt, weil es mit den Immobilien so gut läuft. Letztlich weiß man nicht, wie man dargestellt wird', sagt Deleon.

Hermione Way ist das Risiko eingegangen. Die 27-Jährige steht auf der Terrasse ihrer Stadtvilla, blickt auf San Francisco hinunter und sagt: 'Das Silicon Valley ist der spannendste und sexieste Ort des Planeten. Junge Leute kommen hierher, um die Welt zu verändern und Millionen zu verdienen.' Die blonde Engländerin kam 2010 als Videoreporterin aus London nach San Francisco und träumt selbst von Ruhm und Reichtum. Die 'Entrepreneur Mansion', die sie mit Bruder Ben und anderen Gründern teilt, ist ein Schauplatz der Show, die seit November im Kabelfernsehen läuft.

Allein die Tatsache, dass Randi Zuckerberg, die Schwester des Facebook-Gründers, als Produzentin agiert, sorgte für Aufsehen. Doch kaum waren der Trailer und die erste Episode zu sehen, wurde in Technik-Blogs gelästert. Das vernichtende Urteil: 'Zu viel Party, zu wenig Programmieren'. Tatsächlich sind Hermione, Ben und die anderen Darsteller öfter am Pool, beim Fitnesstraining mit dem persönlichen Coach oder bei Dates zu sehen als beim nächtelangen Programmieren. Auch wenn die Quoten mit jeder Folge weiter sinken, verteidigt Way die Show: 'Natürlich geht es um Partys, aber der Zuschauer kriegt einen guten Einblick. Mein Bruder und ich haben den kompletten Prozess eines Start-ups durchlaufen - von der ersten Idee bis zum Produkt. Wir haben vor den großen Investoren für uns geworben, alles vor der Kamera.'

Trip Adler, Chef von ScribD, einer Art digitalen Bibliothek, hält das für ein Zerrbild. Und seine Kritik, die er auf wired.com formuliert, ist grundsätzlich: 'Netzwerken ist nicht unwichtig, aber wenn du ein gutes Produkt hast, kommen die Kontakte von allein.' Andere sind wohlwollender: David Sacks, der einst PayPal mitgründete und mit Yammer ein 'Facebook für den Arbeitsplatz' aufbaut, sagt, er begrüße alles, was junge Leute dazu bringe, über ein Studium der Computerwissenschaft nachzudenken. Der Mangel an Talenten sei das größte Wachstumshemmnis im Silicon Valley. Wie viele hat Sacks bemerkt, dass der Film 'The Social Network' über die Facebook-Gründung dazu führte, dass Studenten plötzlich davon träumen, Unternehmen zu gründen. Der 40-jährige Sacks erinnert an die Achtzigerjahre: 'Als ,Wall Street" in die Kinos kam, wollten anschließend alle Investmentbanker werden.'

Hermione Way wählt einen anderen Vergleich. Doch die Botschaft ist eine ähnliche: 'Seit Mark Zuckerberg auf dem Titel des People-Magazins war, sind Nerds die neuen Rockstars', schwärmt sie. Und auch sie will davon profitieren: Sie organisiert Events, die das glamouröse Hollywood und das lockere Silicon Valley zusammenbringen sollen. Leonardo DiCaprio oder Lady Gaga würden in Start-ups investieren und via Twitter und Facebook mit Fans kommunizieren. Der nächste Blockbuster komme bald, prophezeit Way: In Palo Alto wird nun das Leben von Apple-Gründer Steve Jobs verfilmt - die Hauptrolle spielt Ashton Kutcher.

Am Ende des Gesprächs wird die Engländerin nachdenklicher. Obwohl das Silicon Valley sehr männlich geprägt sei, traue sie sich zu, den nächsten Mega-Erfolg à la Instagram zu entwickeln - die Foto-App wurde zwei Jahre nach der Gründung für eine Milliarde Dollar an Facebook verkauft. 'Zugleich ist ein Baby das tollste Start-up der Welt. Ich weiß nicht, wann ich die Karriere unterbrechen soll. Kümmere ich mich darum, die Firma erfolgreich zu machen? Das kann fünf bis zehn Jahre dauern', sinniert Way. Und natürlich müsse sie erst den richtigen Partner finden.

Um die einsamen Herzen der Investoren und Technikfreaks kümmert sich Amy Andersen. Die Blondine hat 2003 die Agentur Linxdating gegründet, deren Büro sich in einem grünen Villenviertel in Menlo Park befindet. 'Meine Kunden haben sich sehr auf ihre berufliche oder akademische Karriere konzentriert. Es ist fast so, als hätten sie sich unter einem Stein versteckt. Die Frauen sind im Schnitt 33, die Männer 38, wenn sie uns kontaktieren', sagt Andersen, die Klienten meist auf der Terrasse berät, wo im Hintergrund ein Springbrunnen plätschert.

Wie Ken Deleon verspricht die 36-Jährige optimale Ergebnisse: Sie liefert den Partner fürs Leben. Neue Kunden, die durch Empfehlungen zu ihr kommen, müssen einen ausführlichen Fragebogen ausfüllen und Fotos ihrer Ex-Partner vorlegen. In langen Gesprächen ermittle sie, welche Eigenschaften der künftige Ehepartner haben solle. Natürlich seien ihre Klienten sehr begehrt, doch viele wüssten nicht, wie sie sich bei den Dates verhalten sollen, die Andersen arrangiert: 'Ich arbeite mit diesem jungen Manager von Facebook, dem schon der Gedanke an eine Verabredung Angst machte. Er war überzeugt, dass er nur über Arbeit reden kann. Um ihm zu helfen, habe ich ihn nach Filmen und seinem Lieblingswein gefragt. Er hat sehr viel geredet und ist selbstsicherer geworden.'

Für ihren Service lässt sich Andersen gut bezahlen. Acht garantierte Dates in zwei Jahren kosten 20 000 Dollar. Da sind Stylingtipps inklusive. 'Manche haben spezielle Wünsche: eine bestimmte Haarfarbe oder ein bestimmter Abschluss von einer bestimmten Uni. Da muss ich wie eine Jägerin nach dieser Person suchen. So etwas kostet 50000 Dollar aufwärts.' Solche Summen schockieren ihre Kunden nicht. Das Geld macht den IT-Managern aus anderen Gründen Sorgen: Sie sind verunsichert, ob das Gegenüber an ihnen oder ihrem Kontostand interessiert ist. Hier hilft Amy mit Rollenspielen: 'Ich löchere sie: Oh mein, Gott, du arbeitest bei Facebook? Wie geht es deinem Aktiendepot und hast du schon Mark Zuckerberg getroffen? Viele stellen diese Fragen, darauf müssen sie vorbereitet sein. Nur so können sie herausfinden, ob ein Mädchen aus Interesse fragt oder weil sie eine Goldgräberin ist.'

Andersen gibt sich sehr zuversichtlich, dass ihr Auswahlverfahren verhindert, dass sich Frauen oder Männer einschleichen, die hinter einem Millionär her sind. Allein die Aufnahme in ihre Kartei kostet 1000 Dollar. Dass es Europäer verwundert, dass sich die Millionäre im Silicon Valley auch bei einer so privaten Sache wie der Liebe auf eine Profi-Kupplerin verlassen, amüsiert die Chefin von Linxdating: 'Wir reden hier über high profiles. Es wird nicht passieren, dass diese Leute mit Kollegen ausgehen oder in einer Bar nach Mister oder Miss Right suchen. Sie sind zu vorsichtig für Online-Dating. Es gibt hier viele, die alle Lebensbereiche outsourcen: Sie haben persönliche Fitnesstrainer, Ernährungsberater und eigene Köche. Die Liebe ist da keine Ausnahme. Sie sind bereit, ihr persönliches Glück in die Hände von Profis wie mir zu legen.'

Die höchsten Immobilienpreise Amerikas, eine TV-Serie, die Programmierer als Rock-Stars präsentiert und Coaching-Experten für alle Lebensbereiche - diese Oberflächlichkeit macht Piero Scaruffi fast wehmütig. Der Italiener, der 1982 nach Nordkalifornien zog und für den italienischen Elektronik-Hersteller Olivetti als Forscher arbeitete, hat die erste Kulturgeschichte über das Silicon Valley geschrieben. Er sorgt sich um den Pioniergeist: 'Heute kommen die Durchschnittsingenieure hierher, weil es Arbeit gibt und Google seine Angestellten toll behandelt. Sie programmieren alles, was man ihnen sagt. Aus dieser Motivation hat vor dreißig Jahren nur der Gärtner gearbeitet, die Ingenieure wollten die Welt verändern. Das ist heute anders: Die Leute ziehen hierher, um reich zu werden.'

Allerdings rechnet auch der 52-Jährige nicht mit einem Wachstumsknick im Silicon Valley: Künstliche Projekte wie das Milliarden Euro teure Innovationszentrum Skolkowo, das in der Nähe von Moskau aus dem Boden gestampft wird, seien keine ernsthafte Alternative. 'Seit Jahren hören wir jeden Tag, dass Asien und China boomen und es mit Amerika bergab geht. Und trotzdem kommen jedes Jahr Tausende aus Fernost zum Studieren in die USA oder um eine Firma zu gründen', sagt Scaruffi. Er sehe keine Konkurrenz für das Silicon Valley. Von der Goldgräberstimmung werden also noch viele jahrelang profitieren.

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