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Studium mit goldenem Boden

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Akademiker sind seltener und kürzer arbeitslos als Handwerker. Das ist ein nicht von der Hand zu weisender Anreiz für ein Studium. Trotzdem beklagen die Hanwerkskammern den Lehrlingsmangel - und buhlen um enttäuschte Studenten.

Es ist eine seltsame Combo, die sich da abzeichnet: Handwerker und Professoren beklagen den Ansturm auf die Hochschulen. Professoren sehen das Niveau seit langem schwinden, wenn die Massen in die Hörsäle dürfen. Im vertraulichen Gespräch bezweifeln sie die Studierfähigkeit so einiger, die sich zum Ingenieur oder Volkswirt berufen fühlen. Und Handwerks-Präsident Otto Kentzler hat die Debatte nun neu angefacht mit den Worten, der Trend zur Akademisierung sei 'fatal'. Die Handwerkskammern werben gezielt um enttäuschte Studenten - Gesellenbrief statt Bachelor also.



Der Ansturm auf deutsche Unis - für Professoren und Handwerkskammern gleichermaßen ein Ärgernis

Tatsächlich fängt gut die Hälfte eines Jahrgangs inzwischen ein Studium an; das ist deutlich mehr, als es sich die Bildungspolitiker noch vor wenigen Jahren erträumten. Das überfordert viele Studenten und manche Hochschule. Dennoch sollte der frustrierte Jungakademiker innehalten, bevor er aus dem Seminar in die nächste Klempnerwerkstatt stürmt: Ein Studium ist nach wie vor die beste Gewähr, später eine gute Stelle zu finden - Akademiker sind kürzer und seltener arbeitslos als andere Berufsgruppen. Selbst ein entlassener Kulturwissenschaftler findet eher eine Stelle als ein gefeuerter Metzger. Viele Handwerker finden aber keine Azubis mehr oder nur solche, die sie weniger gerne aufnehmen, wie Schulabbrecher oder Lernschwache. Viele junge Leute gelten den Betrieben als unfähig, eine Ausbildung zu schaffen; da reden die Meister kaum anders als die Professoren. Da bietet es sich an, enttäuschte Studenten abzufischen. Kentzlers Warnung vor immer mehr Akademikern lässt sich getrost als Geschwätz im Ringen um Fachkräfte einordnen.

Die Kritik an einer Vermassung der Universitäten und einer Akademiker-Schwemme ist eine Art Zombie der Bildungsdebatte; schon in den 1930er Jahren ließ sich solches Lamento finden, in einer Zeit, als nur wenige Prozent eines Jahrgangs den Luxus eines Studiums genießen konnten. Es wird immer wieder angestimmt, aber ist dadurch nicht richtiger geworden. Den Trend der Akademisierung von Wirtschaft und Gesellschaft gibt es seit Jahrzehnten. Und in einer Republik, die mehr denn je davon lebt, Wissen und Informationen schnell und professionell zu verarbeiten, ist kein Ende dieser Entwicklung absehbar. Denn der Schlüssel zur Arbeit mit Wissen ist eine akademische Ausbildung. Mehr Studenten sind willkommen, nicht 'fatal'.

Daraus muss man keinen Gegensatz zum Handwerk oder anderen Ausbildungsberufen basteln. Die Grenzen zwischen Hochschulen, Berufsbildung und auch Weiterbildung werden immer fließender. Schon jetzt drängen mehr und mehr Studienanfänger ohne Abitur, aber mit Meisterbrief oder Berufserfahrung an die Universitäten oder studieren neben ihrem Job. Hochschulen bieten ihrerseits Nicht-Akademikern an, sich fortzubilden oder ein Teilzeitstudium zu wagen. Die Mitarbeiter werden professioneller, ohne ihren Betrieben verlorenzugehen. Diese Combo aus Akademikern und Handwerkern klingt nach Zukunft; die andere nicht.

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