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Gelehrte Schuldenmacher

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Britische Universitäten erschließen neue Geldquellen - deutsche Hochschulen schauen neugierig zu

Die Universität Cambridge gilt als eine der besten Hochschulen der Welt. Und sie ist reich, jedenfalls gemessen an europäischen Standards. Fast fünf Milliarden Euro Stiftungsvermögen besitzt die Elite-Universität. Trotzdem hat sie im Herbst etwa 436 Millionen Euro Schulden gemacht. Anleihen in dieser Höhe ließ sie von den Großbanken HSBC, Morgan Stanley und der Royal Bank of Scotland am Kapitalmarkt platzieren. Zinssatz: 3,75 Prozent. Die Anleihen versetzten die Universität in die Lage, "auf höchstem internationalen Niveau in Lehre und Forschung zu investieren", verkündete der Vize-Kanzler Leszek Borysiewicz. Sie zwingen Cambridge aber auch, bis 2052 jedes Jahr mehr als 16 Millionen Euro Zinsen an die Gläubiger zu zahlen. Und dann werden die Schulden fällig.



Blick auf den Campus der Universität Cambridge. Die Elite-Universität ist im Vergleich zu deutschen Hochschulen reich. Trotzdem leiht sie sich Hunderte Millionen Euro am Kapitalmarkt.

Cambridge ist nicht die erste britische Hochschule, die sich auf dem Kapitalmarkt Geld besorgt - eine Finanzierungsform, die in den USA, wo es viele private Hochschulen gibt, gang und gäbe ist. Vor der Jahrtausendwende ging eine ganze Reihe von Hochschulen auf der Insel diesen Weg, darunter das King's College in London, die University of Greenwich oder die Universitäten von Manchester und Liverpool. Im Sommer 2012 gab die De Montfort University aus Leicester 30-jährige Anleihen im Wert von etwa 135 Millionen Euro aus. Ein Modell auch für Deutschland, wo doch die Klage über die schlechte Grundfinanzierung hier allgegenwärtig ist?

Britische Hochschulen spüren die Folgen der jüngsten Hochschulreform. Zwar dürfen sie mittlerweile höhere Studiengebühren verlangen, dafür sank aber die staatliche Grundfinanzierung innerhalb von zwei Jahren von etwa neun Milliarden Euro auf 6,5 Milliarden für das aktuelle Jahr. Weil außerdem Banken momentan kaum bereit sind, große Summen auf viele Jahre zu verleihen, würden Anleihen immer interessanter, heißt es aus dem Higher Education Funding Council for England, der für die Verteilung der staatlichen Mittel an die Hochschulen zuständig ist. "Wenn Anleihen sinnvoll sein sollen, muss eine Hochschule wie ein Wirtschaftsunternehmen arbeiten", sagt Joachim Söder-Mahlmann vom staatlich finanzierten Hochschulinformationssystem in Hannover. Wenn eine Hochschule Anleihen ausgibt, erhöht das zunächst ihren Handlungsspielraum: Sie bekommt Kapital, kann investieren und wird womöglich für Studenten interessanter. Die Gläubiger hätten nur im Fall einer Insolvenz Einfluss auf universitäre Entscheidungen. Mit diesen Vorteilen geht allerdings der Zwang einher, Gewinne einzufahren, um die Zinsen bedienen und irgendwann die Schulden begleichen zu können. Cambridge etwa hat, wie die Ratingagentur Moody's hervorhob, nicht nur große Vermögen, sondern auch Einkünfte zum Beispiel durch eine Testagentur und den hauseigenen Verlag. "Cambridge kann das vielleicht noch stemmen, aber bei der De Montfort University bin ich skeptisch. In Deutschland sehe ich keine Hochschule, die das könnte", sagt Söder-Mahlmann. Er fürchtet, dass durch den Schuldendienst langfristig viele Mittel gebunden würden, selbst wenn Anleihen oder Kredite kurzfristig helfen könnten. Darunter könnte letztlich die Qualität von Forschung und Lehre leiden.

Allerdings, räumt Söder-Mahlmann ein, seien Hochschulanleihen im großen Stil in Deutschland derzeit nicht möglich. In den meisten Ländern dürfen staatliche Hochschulen nicht selbst Kredite aufnehmen. Einzige Ausnahme ist Nordrhein-Westfalen, aber auch dort hat dem Wissenschaftsministerium zufolge noch keine Hochschule von diesem Recht Gebrauch gemacht. Dazu gibt es wenige weitere Ausnahmeregelungen, etwa für die von Stiftungen getragenen Hochschulen in Niedersachsen oder die als Stiftung organisierte Universität in Frankfurt am Main. In Niedersachsen seien Anleihen aber noch nie diskutiert worden, teilt das Ministerium mit. Ähnliches ist aus dem Verband der Privaten Hochschulen zu hören, dessen Mitglieder schon jetzt die Möglichkeit hätten, Anleihen auszugeben.

Wie es mit der Autonomie deutscher Hochschulen weitergeht, ist ohnehin strittig: Vor etwa zehn Jahren hatte fast eine Art Wettbewerb zwischen den Länderministern begonnen, wer den Hochschulen die größte Eigenständigkeit einräumt. Zuletzt waren aber Trends erkennbar, dass viele Minister die Führungsetagen der Unis wieder an der kürzeren Leine halten möchten. Geht es nach der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) könnte sich das aber bald ändern. So heißt es in einer Entschließung der HRK über die Autonomie vom März 2011: "Den Hochschulen muss die Möglichkeit gegeben werden, Kredite für die Finanzierung erforderlicher Investitionen aufzunehmen." Diese Entschließung sei mit großer Mehrheit angenommen worden, erinnert sich Hans Jürgen Prömel, der damals Vize-Präsident der HRK war.

Der 59-Jährige ist Chef der TU Darmstadt, einer autonomen Modellhochschule mit eigenständiger Bau- und Personalpolitik. Anleihen oder Kredite könnten helfen, beispielsweise schnell Gebäude zu bauen oder zu kaufen. Angesichts hoher Mietpreise könne das sogar ökonomisch sein. Und wenn es etwa um ein konkretes Bauvorhaben gehe, werde man sich wohl zu besseren Bedingungen als der Staat verschulden können - nicht wie die Uni Cambridge, die trotz eines besseren Ratings durch Moody's höhere Zinsen zahlen muss als der Staat Großbritannien. Für den Fall von Gesetzesänderungen pro Autonomie plädiert Prömel für eine Bindung der Höhe der Schulden an das Hochschulbudget oder an konkrete Projekte - nicht für schrankenlose Verschuldung. Wer mit Hochschulen wie Cambridge konkurrieren wolle, müsse aber zumindest diese Möglichkeit haben.

Selbst seine autonome TU Darmstadt darf bislang nicht selbst Kredite aufnehmen. Und trotzdem zögert Prömel damit, dem britischen Beispiel nachzueifern, das Recht allzu vehement einzufordern. "Momentan hätte ich zu viel Angst, dass es politisch genutzt würde", gesteht Prömel. Er fürchtet, der Staat könnte die Hochschulen sich selbst überlassen und die Grundfinanzierung zurückfahren. Ganz so wie in Großbritannien.


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