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Toiletten bleiben kamerafrei

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Ein neues Datenschutzgesetz verbietet Arbeitgebern, ihre Beschäftigten heimlich per Video zu kontrollieren. Doch die offene Überwachung wird leichter. Gewerkschaften und Opposition kritisieren dies scharf

Berlin - Der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) ist empört. Michael Sommer spricht von einem "Anschlag auf die Arbeitnehmerrechte". Er warnt davor, einen gläsernen Arbeitnehmer zu schaffen. Und fürchtet sogar, dass Mitarbeiter in Callcentern künftig zu "Freiwild" werden.

Was den DGB-Chef an diesem Wochenende so erregt hat, ist der neue Entwurf der schwarz-gelben Koalition zum Datenschutz in Unternehmen. Immer wieder wurden in den vergangenen Jahren Mitarbeiter abgehört, ausgefragt, gefilmt und oft ohne Grund verdächtigt. Nun, nach einer Serie von Skandalen bei Discountern wie Lidl oder Aldi und den Bespitzelungsaffären bei der Deutschen Bahn und der Telekom, will die Bundesregierung noch vor den nächsten Wahlen neue Regeln für die Kontrolle von Beschäftigten am Arbeitsplatz in ein Gesetz gießen.

Der zuständige Innenausschuss des Bundestags soll die Paragrafen am Mittwoch beraten. Ende Januar ist geplant, das Gesetz, über das seit fast zwei Jahren debattiert wird, zu verabschieden. Doch die Einzelheiten des Entwurfs werden heftig diskutiert. Während die Arbeitgeber um ihre Entscheidungshoheit im Betrieb fürchten, glaubt nicht nur DGB-Chef Sommer, dass die Koalition die Rechte der Arbeitnehmer eher verschlechtert.



Überwachungskamera. Das neue Datenschutzgesetz schützt Arbeitnehmer vor heimlicher Videoüberwachung. Die offene Überwachung wird jedoch erleichtert.

Von den neuen Vorschriften ist im Prinzip jeder Arbeitnehmer berührt. Kernpunkt ist das Verbot von heimlichen Videoaufnahmen. Umkleiden, Schlafräume, Toiletten oder Duschen bleiben immer kamerafrei. Im Gegenzug wird die offene Überwachung erleichtert. Sie soll künftig möglich sein, etwa wenn dies für die Arbeitssicherheit zum Beispiel im Kassenbereich eines Geschäfts notwendig ist - nicht aber zur generellen Kontrolle der Leistungen und des Verhaltens von Arbeitnehmern. Für die FDP-Innenpolitikerin Gisela Piltz ist klar: Arbeitgeber seien damit "an strikte Vorgaben" gebunden.

Christine Lambrecht, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion, sieht dies ganz anders. Sie sagt: Wenn die Arbeitnehmer wüssten, dass sie überwacht werden, nütze ihnen das nicht viel, weil "ein verstecktes Anbringen der Kameras weiter möglich ist". Die Regierung, so argumentiert die SPD, erlaube damit die "Rund-um-die-Uhr-Bewachung der Beschäftigten" und gehe damit über die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hinaus. Das hatte nur vorübergehende und anlassbezogene Aufnahmen für zulässig erklärt.

Umstritten sind auch die Sonderregeln für Mitarbeiter in Callcentern. Arbeitgeber müssen ankündigen, dass sie Anrufe mit Zustimmung des Kunden abhören. Wann genau dies der Fall ist, müssen die Chefs den Arbeitnehmern jedoch nicht mitteilen. Marc-Oliver Schulze, Fachanwalt für Arbeitsrecht in Nürnberg, hält dies für höchst bedenklich. Dadurch werde eine für die Beschäftigten nicht wahrnehmbare Dauer-Kontrolle ihrer Gespräche möglich. Dies rufe bei ihnen "einen immensen Überwachungsdruck" hervor, sagt der Jurist. In dem neuen Gesetz wollen Union und FDP ebenfalls den Datenschutz bei der Einstellung besser regeln. In dem Entwurf wird klargestellt, dass Arbeitgeber auf öffentlich zugängliche Daten, etwa durch eine Google-Suche, zugreifen dürfen - ohne den Bewerber ausdrücklich darauf hinweisen zu müssen. Daten in sozialen Netzwerken wie Facebook, sofern nicht allgemein und nur einem begrenzten Freundeskreis zugänglich, sind für ihn jedoch tabu, es sei denn, der Betroffene ist damit einverstanden. Zunächst vorgesehene strengere Vorschriften wurden damit wieder gestrichen - für den Arbeitsrechtler Schulze ein Problem, weil der Wahrheitsgehalt der Informationen im Internet ja nicht überprüft werden muss. "Damit ist häufig ein erheblicher Eingriff in die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verbunden, da der Einzelne nur einen begrenzten Einfluss darauf hat, welche Informationen über ihn im Netz zu finden sind", kritisiert er.

Für Aufregung sorgt außerdem das Thema ärztliche Untersuchungen. Vor einer möglichen Einstellung sollen sie auf jeden Fall möglich sein, wenn es für den Job entscheidend ist, dass zum Beispiel bestimmte Erkrankungen nicht vorliegen. Dies gilt künftig auch bei einem Wechsel des Arbeitsplatzes. Wenn für den neuen Job beim alten Arbeitgeber bestimmte gesundheitliche Voraussetzungen notwendig sind, kann der Personalchef auf den Arztbesuch pochen. Gewerkschafter Sommer sieht Arbeitnehmer dadurch deutlich schlechter als bisher gestellt: "Das würde insbesondere viele ältere Arbeitnehmer treffen, das könnte bis zur krankheitsbedingten Kündigung gehen." Hinzu kommt: Das Unternehmen soll den Mitarbeiter auch dann zum Arzt schicken können, wenn durch eine mögliche Erkrankung des Arbeitnehmers wichtige betriebliche Interessen gefährdet sind.

Generell macht das neue Gesetz jede Erhebung, Verarbeitung und Nutzung von Daten eines Beschäftigten davon abhängig, ob dies wirklich erforderlich ist und dies nicht dem Interesse des Mitarbeiters widerspricht. Der Arbeitsrechtler Schulze warnt aber davor, dies überzubewerten. So dürften Firmen bei der Bewerberauslese von Dritten Informationen sammeln, wenn der Kandidat eingewilligt hat. Dies sei kein wirksames Kriterium, "da es im Bewerbungsverfahren regelmäßig an der Freiwilligkeit fehlen wird". Für bedenklich hält der Jurist auch, dass die Weitergabe von Daten innerhalb eines Konzerns vereinfacht wird. Dies sei für den Arbeitgeber praktisch, für die Betriebsräte erschwere dies die Kontrolle des Datenschutzes.

Jan Korte, Innenpolitiker der Linken, spricht daher von einem "völlig verkorksten Entwurf". Genauso wie SPD und Gewerkschaften warnt er davor, das Gesetz "im Eiltempo" durchzupeitschen. FDP-Frau Piltz ist sich dagegen sicher, dass die Koalition damit Rechtssicherheit schaffen wird. Sie verweist darauf, dass Unternehmen Computerdaten wie Kontonummern künftig nur abgleichen dürfen, wenn dies dazu dient, Straftaten oder andere schwerwiegende Pflichtverletzungen aufzudecken. Die Abgeordnete ist überzeugt: "Arbeitnehmer können künftig sicher sein, dass sie am Arbeitsplatz nicht willkürlich ausgespitzelt werden."


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