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Bedrängt und alleingelassen

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Bedenkliche Entwicklung in Aachen: Bei der Alemannia löst sich eine antirassistische Gruppe von Fußballfans auf.

München - Mit Ultras verhält es sich wie mit Maurern oder Rechtsanwälten: Es gibt große und kleine, dicke und dünne. Solche, die es mit Union oder SPD halten. Und es gibt einige wenige, die arg weit nach rechts tendieren. In einem aber sind sich alle Ultras gleich: Sie ordnen alles dem Fußball unter, sie arbeiten unter der Woche, um am Wochenende das Geld in die Auswärtsfahrt zu stecken. Ein Ultra, der bei einem Spiel seiner Mannschaft vor dem Fernseher sitzt - das ist eine ähnlich groteske Vorstellung wie die von einem Bademeister, der nicht schwimmen kann.



In Aachen verkündete eine antifaschistische Gruppe von Fußballfans, dass sie nicht mehr zu Drittligisten-Spielen gehen wird.

Man kann sich also vorstellen, wie es den Mitgliedern der Aachener Ultragruppe 'ACU' geht, die am Wochenende verkündet hat, dass sie künftig nicht mehr zu den Spielen des Drittligisten gehen wird. Jahrelang waren sie zum Opfer von Anfeindungen, Drohungen und offener Gewalt geworden. 2012 wurden ACU-Mitglieder mehrmals überfallen. In Saarbrücken wurde ein ACU-Mitglied minutenlang von einer Horde zusammengetreten. Die Täter hatten immer den gleichen Hintergrund: Sie sollen Mitglieder oder Sympathisanten der Ultragruppe 'Karlsbande' gewesen sein.

Deren Mitgliedern, die ebenfalls zur Alemannia halten, ist das antifaschistische Engagement von ACU ein Dorn im Auge. 'Die Karlsbande ist von der rechten Szene unterwandert', sagt die Polizei. Beim Verein sah man das - reichlich spät - ähnlich und ließ einen Warnschuss los: Die 'Karlsbande' durfte ihr Transparent nicht mehr im Stadion aufhängen. Zwei Monate später taten sie es trotzdem wieder. Es blieb hängen.

Das Pokalspiel beim Regionalligisten Viktoria Köln wurde nun zum Fanal. Die ACU-Mitglieder, die offenbar geplant hatten, bei ihrer Kapitulation ein Zeichen zu setzen, zeigten Transparente wie 'Nazis am Tivoli? Nie gesehen', woraufhin aus dem Block der Karlsbande Böller in den ACU-Block geworfen wurden. In ihrer Zeitschrift Mullejan kritisiert ACU nun auch den Verein, dem sie ebenso Untätigkeit vorwerfen wie dem Fanprojekt, deren Leiterin allerdings von exponierten Alemannia-Nazis immer wieder eingeschüchtert und bedroht wurde, was deren Zurückhaltung zumindest teilweise erklären dürfte.

Der Verein steht derzeit im Insolvenzverfahren und kämpft an allen Fronten ums Überleben. Gut möglich, dass die Eskalation in der Fanszene auch aus Ressourcenmangel unterschätzt wurde. Ohne die 'Störenfriede' (Selbsteinschätzung) von ACU dürfte sich die 'Karlsbande' jetzt allerdings noch ungenierter aufführen. 'Dass sich antirassistische Ultragruppen auflösen, weil sie sich bedrängt und alleingelassen fühlen, ist ein fatales Signal', sagt Michael Gabriel, Leiter der Koordinierungsstelle der Fanprojekte. Zumal auch in Bundesligastandorten nichtrechte Fans unter Druck geraten.

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