Worüber wir uns wirklich Sorgen machen sollten und welche bösen Gedanken auch noch warten können.
Finanzkrise, Eurokrise, Nahost-Konflikt, Terrorismus, Bürgerkriege, Despotien, Überbevölkerung, Klimawandel - an Ereignissen, um die sich die Menschheit derzeit tagtäglich Sorgen macht, fehlt es nicht. Im Nachhinein lässt sich allerdings auch oft feststellen, dass manche der Sorgen, die die Schlagzeilen beherrschten, zwar berechtigt, aber gar nicht die für die Zukunft dringendsten waren.
Klimakatastrophe, Terrorismus, Vulkanausbrüche - wovor sollen wir denn nun Angst haben?
Wer etwa sorgte sich 2007 schon ernsthaft wegen des Handels mit verbrieften amerikanischen Hypothekenkrediten, der die Welt 2008 in eine Finanz- und Wirtschaftskrise stürzen sollte, die ganze Staaten ruinierte - und noch immer nicht überwunden ist? Zu wenige, wie man heute weiß. Der amerikanische Wissenschaftshistoriker George Dyson kam deshalb zu dem Schluss, dass 'die Menschen dazu tendieren, sich zu viele Sorgen um die falschen Dinge zu machen, und zu wenige um die Dinge, um die wir uns mit Blick auf die Zukunft tatsächlich sorgen sollten'.
Weil George Dyson aber nicht irgendein Wissenschaftler ist, blieb es nicht bei der alarmierenden Analyse. Die These wurde zur 17. 'Edge-Frage': 'What should we worried about?' - Worüber sollten wir wirklich besorgt sein? Die 'Edge Question' wiederum ist nicht irgendeine Frage, sondern die Frage, die seit 1998 der umtriebige New Yorker Literaturagent John Brockman einmal im Jahr an einen Kreis der renommiertesten (mehrheitlich englischsprachigen Ländern stammenden) Forscher und Intellektuellen der Welt stellt. Im vergangenen Jahr lautete die Frage: 'Welche tiefgründige, elegante oder schöne Erklärung schätzen Sie am meisten?'
Brockman ist Gründer der Edge Foundation und Betreiber des Online-Magazins Edge.org, dass ein Forum sein will für die hellsten Köpfe der Gegenwart, die dort die Chance und die Pflicht haben sollen, ihre Ideen nicht nur mit den Kollegen, sondern auch fachfremden Intellektuellen und dem ganzen interessierten Rest der Welt zu teilen. Zum Netzwerk gehören dabei Physik-Nobelpreisträger genau so wie Philosophen und Hirnforscher genauso wie Science-Fiction-Autoren oder die Medienunternehmer wie Arianna Huffington. Geantwortet haben auf diesjährige Frage 155 'finest Minds'. Auf der Edge-Seite sind ihre kurzen Essays jetzt frei zugänglich.
Die versammelten Sorgen, die wir uns dringend machen sollten, sind naturgemäß keine allzu erbauliche Lektüre. Eher ein Tableau aller großen Themen unserer Zeit, serviert als Gruselkabinett schlimmer, schlimmster und mitunter sogar allerschlimmster Befürchtungen, die immer wieder auch noch erschreckend plausibel begründet werden. Echte Schwerpunkte, also von einer Mehrheit der Befragten geteilte Sorgen finden sich im Dickicht der Antworten leider nicht, dazu dürfte der Drang zu Originalität glücklicherweise zu groß gewesen sein. Dass sich vieles um die 'Biopower' China dreht, ist natürlich kein Wunder. Dem Evolutionspsychologe Robert Kurzbahn etwa bereitet die Tatsache Sorgen, dass es wegen der Ein-Kind-Politik in China schon 2020 voraussichtlich etwa 30 Millionen mehr Männer als Frauen geben wird. 15 Prozent aller jungen Männer werden ohne Partner bleiben. Was für ein Testosteronüberschuss!
David Gelernter, der als einer der brillantesten Computerforscher der Gegenwart gilt, bleibt dagegen seiner radikalen Netzskepsis treu und macht sich ernste, fast apokalyptische Sorgen wegen des epidemischen Überflusses im Internet: 'Wenn wir eine Million Fotos besitzen, ist für uns jedes einzelne weniger wert, als wenn wir nur zehn besäßen.' Genauso sei es mit der Sprache. Das Internet, so Gelernter, flute die Welt mit Texten und forciere so die allgemeine Abwertung des geschriebenen Wortes. Wenn aber jedes Wort weniger aufmerksam gelesen werde und so immer weniger wert sei, dann werde es auch schneller geschrieben und schlampiger redigiert: 'In dem Maße jedoch, in dem die Zeit, die Autor und Leser in einen Text investieren immer knapper wird, in diesem Maße verfällt auch die Fähigkeit einer Gesellschaft, sich über geschriebene Sprache zu verständigen. Und das führt zum Ende von Wissenschaft, Gelehrsamkeit und Kunst - und damit zum Verlust all dessen, was Bisamratten und Delfine nicht von vornherein besser können als der Mensch.'
Der Philosoph Daniel Dennett, wie übrigens auch George Dyson, fürchtet den großen Internet-Blackout und fordert: 'Solange wir darauf bestehen, auf der Überholspur zu leben, sollten wir uns auch darüber Gedanken machen, wie wir sie wieder verlassen können, ohne Chaos zu verursachen.' Ganz ähnliche Vorbehalte gegenüber der allzu vorbehaltlosen Hingabe an die Allgegenwart der Technik hegt der Journalist und Bestsellerautor Evgeny Morozov: 'Nur weil wir ,smarte" Lösungen für jedes Problem haben, bedeutet das noch lange nicht, dass jedes Problem unsere Aufmerksamkeit verdient. Tatsächlich sind manche Probleme gar keine. Dass bestimmte soziale oder individuelle Situationen unbequem, unvollkommen, laut, undurchsichtig oder riskant sind, könnte auch gerade richtig so sein.'
Da wäre sicher auch Nassim Taleb einverstanden. Nur dass er die Bankenpolitik für eines der undurchsichtigen Probleme halten dürfte, das wir nicht vernachlässigen sollten. Der Börsenhändler, Essayist und Statistiker wurde bekannt, weil er noch vor dem Ausbruch der Krise zeigen konnte, dass die Finanzindustrie viel zu hohe Risiken eingeht. Sie tut es seiner Ansicht nach noch heute, weshalb er sich darüber Sorgen macht, dass - anders etwa als Feuerwehrmänner - Börsenhändler für die gigantischen Risiken, die sie tagtäglich eingehen, noch immer nicht persönlich einstehen müssten. Es sei eindeutig zu wenig 'Skin in the game'.
Man ist danach vergleichsweise erleichtert, wenn man auf den Beitrag von Rodney A. Brooks stößt. Brooks war Robotik-Professor am Massachusetts Institute of Technology, der wahrscheinlich berühmtesten technischen Universität der Welt. Anders als viele befürchten, glaubt er nicht daran, dass uns Roboter in naher Zukunft auch noch die letzte verbliebene Arbeit wegnehmen. Im Gegenteil: 'Was mich derzeit am meisten beunruhigt ist die Frage, ob wir unsere Roboter schnell genug so verbessern können, dass sie die ganze Arbeit, die sie in den kommenden Jahrzehnten werden übernehmen müssen, auch wirklich erledigen können. Wenn wir das nicht schaffen, ist unser derzeitiger Lebensstandard ernsthaft in Gefahr.'
So drastisch das klingt, so sehr scheint hier doch vielleicht noch etwas zu viel Science-Fiction im Spiel und etwas zu wenig Politik. Dass die dann der Popstar Brian Eno liefert, gehört zu den Überraschungen, die Edge ausmachen. Enos Antwort ist nicht nur eine der kürzesten und elegantesten, sondern womöglich auch die verstörendste: 'Die meisten klugen Menschen, die ich kenne, wollen mit Politik nichts zu tun haben. Wir meiden sie wie die Pest - Edge vermeidet sie wie die Pest. (...) Wir erwarten, dass andere die Politik für uns machen und meckern, wenn sie es falsch machen. Wir glauben, es reiche, dass wir regelmäßig einen Wahlzettel ausfüllen. Danach wollen wir wieder so viel Laissez-faire wie nur möglich.' Und dann folgt ein großer Satz, der so unübersetzbar wie unmissverständlich ist: 'What worries me is that while we"re laissez-ing, someone else is faire-ing.' - Was mich besorgt ist, dass irgendwer loszieht, und die Sache in die Hand nimmt, während wir uns noch gehen lassen.'
Finanzkrise, Eurokrise, Nahost-Konflikt, Terrorismus, Bürgerkriege, Despotien, Überbevölkerung, Klimawandel - an Ereignissen, um die sich die Menschheit derzeit tagtäglich Sorgen macht, fehlt es nicht. Im Nachhinein lässt sich allerdings auch oft feststellen, dass manche der Sorgen, die die Schlagzeilen beherrschten, zwar berechtigt, aber gar nicht die für die Zukunft dringendsten waren.
Klimakatastrophe, Terrorismus, Vulkanausbrüche - wovor sollen wir denn nun Angst haben?
Wer etwa sorgte sich 2007 schon ernsthaft wegen des Handels mit verbrieften amerikanischen Hypothekenkrediten, der die Welt 2008 in eine Finanz- und Wirtschaftskrise stürzen sollte, die ganze Staaten ruinierte - und noch immer nicht überwunden ist? Zu wenige, wie man heute weiß. Der amerikanische Wissenschaftshistoriker George Dyson kam deshalb zu dem Schluss, dass 'die Menschen dazu tendieren, sich zu viele Sorgen um die falschen Dinge zu machen, und zu wenige um die Dinge, um die wir uns mit Blick auf die Zukunft tatsächlich sorgen sollten'.
Weil George Dyson aber nicht irgendein Wissenschaftler ist, blieb es nicht bei der alarmierenden Analyse. Die These wurde zur 17. 'Edge-Frage': 'What should we worried about?' - Worüber sollten wir wirklich besorgt sein? Die 'Edge Question' wiederum ist nicht irgendeine Frage, sondern die Frage, die seit 1998 der umtriebige New Yorker Literaturagent John Brockman einmal im Jahr an einen Kreis der renommiertesten (mehrheitlich englischsprachigen Ländern stammenden) Forscher und Intellektuellen der Welt stellt. Im vergangenen Jahr lautete die Frage: 'Welche tiefgründige, elegante oder schöne Erklärung schätzen Sie am meisten?'
Brockman ist Gründer der Edge Foundation und Betreiber des Online-Magazins Edge.org, dass ein Forum sein will für die hellsten Köpfe der Gegenwart, die dort die Chance und die Pflicht haben sollen, ihre Ideen nicht nur mit den Kollegen, sondern auch fachfremden Intellektuellen und dem ganzen interessierten Rest der Welt zu teilen. Zum Netzwerk gehören dabei Physik-Nobelpreisträger genau so wie Philosophen und Hirnforscher genauso wie Science-Fiction-Autoren oder die Medienunternehmer wie Arianna Huffington. Geantwortet haben auf diesjährige Frage 155 'finest Minds'. Auf der Edge-Seite sind ihre kurzen Essays jetzt frei zugänglich.
Die versammelten Sorgen, die wir uns dringend machen sollten, sind naturgemäß keine allzu erbauliche Lektüre. Eher ein Tableau aller großen Themen unserer Zeit, serviert als Gruselkabinett schlimmer, schlimmster und mitunter sogar allerschlimmster Befürchtungen, die immer wieder auch noch erschreckend plausibel begründet werden. Echte Schwerpunkte, also von einer Mehrheit der Befragten geteilte Sorgen finden sich im Dickicht der Antworten leider nicht, dazu dürfte der Drang zu Originalität glücklicherweise zu groß gewesen sein. Dass sich vieles um die 'Biopower' China dreht, ist natürlich kein Wunder. Dem Evolutionspsychologe Robert Kurzbahn etwa bereitet die Tatsache Sorgen, dass es wegen der Ein-Kind-Politik in China schon 2020 voraussichtlich etwa 30 Millionen mehr Männer als Frauen geben wird. 15 Prozent aller jungen Männer werden ohne Partner bleiben. Was für ein Testosteronüberschuss!
David Gelernter, der als einer der brillantesten Computerforscher der Gegenwart gilt, bleibt dagegen seiner radikalen Netzskepsis treu und macht sich ernste, fast apokalyptische Sorgen wegen des epidemischen Überflusses im Internet: 'Wenn wir eine Million Fotos besitzen, ist für uns jedes einzelne weniger wert, als wenn wir nur zehn besäßen.' Genauso sei es mit der Sprache. Das Internet, so Gelernter, flute die Welt mit Texten und forciere so die allgemeine Abwertung des geschriebenen Wortes. Wenn aber jedes Wort weniger aufmerksam gelesen werde und so immer weniger wert sei, dann werde es auch schneller geschrieben und schlampiger redigiert: 'In dem Maße jedoch, in dem die Zeit, die Autor und Leser in einen Text investieren immer knapper wird, in diesem Maße verfällt auch die Fähigkeit einer Gesellschaft, sich über geschriebene Sprache zu verständigen. Und das führt zum Ende von Wissenschaft, Gelehrsamkeit und Kunst - und damit zum Verlust all dessen, was Bisamratten und Delfine nicht von vornherein besser können als der Mensch.'
Der Philosoph Daniel Dennett, wie übrigens auch George Dyson, fürchtet den großen Internet-Blackout und fordert: 'Solange wir darauf bestehen, auf der Überholspur zu leben, sollten wir uns auch darüber Gedanken machen, wie wir sie wieder verlassen können, ohne Chaos zu verursachen.' Ganz ähnliche Vorbehalte gegenüber der allzu vorbehaltlosen Hingabe an die Allgegenwart der Technik hegt der Journalist und Bestsellerautor Evgeny Morozov: 'Nur weil wir ,smarte" Lösungen für jedes Problem haben, bedeutet das noch lange nicht, dass jedes Problem unsere Aufmerksamkeit verdient. Tatsächlich sind manche Probleme gar keine. Dass bestimmte soziale oder individuelle Situationen unbequem, unvollkommen, laut, undurchsichtig oder riskant sind, könnte auch gerade richtig so sein.'
Da wäre sicher auch Nassim Taleb einverstanden. Nur dass er die Bankenpolitik für eines der undurchsichtigen Probleme halten dürfte, das wir nicht vernachlässigen sollten. Der Börsenhändler, Essayist und Statistiker wurde bekannt, weil er noch vor dem Ausbruch der Krise zeigen konnte, dass die Finanzindustrie viel zu hohe Risiken eingeht. Sie tut es seiner Ansicht nach noch heute, weshalb er sich darüber Sorgen macht, dass - anders etwa als Feuerwehrmänner - Börsenhändler für die gigantischen Risiken, die sie tagtäglich eingehen, noch immer nicht persönlich einstehen müssten. Es sei eindeutig zu wenig 'Skin in the game'.
Man ist danach vergleichsweise erleichtert, wenn man auf den Beitrag von Rodney A. Brooks stößt. Brooks war Robotik-Professor am Massachusetts Institute of Technology, der wahrscheinlich berühmtesten technischen Universität der Welt. Anders als viele befürchten, glaubt er nicht daran, dass uns Roboter in naher Zukunft auch noch die letzte verbliebene Arbeit wegnehmen. Im Gegenteil: 'Was mich derzeit am meisten beunruhigt ist die Frage, ob wir unsere Roboter schnell genug so verbessern können, dass sie die ganze Arbeit, die sie in den kommenden Jahrzehnten werden übernehmen müssen, auch wirklich erledigen können. Wenn wir das nicht schaffen, ist unser derzeitiger Lebensstandard ernsthaft in Gefahr.'
So drastisch das klingt, so sehr scheint hier doch vielleicht noch etwas zu viel Science-Fiction im Spiel und etwas zu wenig Politik. Dass die dann der Popstar Brian Eno liefert, gehört zu den Überraschungen, die Edge ausmachen. Enos Antwort ist nicht nur eine der kürzesten und elegantesten, sondern womöglich auch die verstörendste: 'Die meisten klugen Menschen, die ich kenne, wollen mit Politik nichts zu tun haben. Wir meiden sie wie die Pest - Edge vermeidet sie wie die Pest. (...) Wir erwarten, dass andere die Politik für uns machen und meckern, wenn sie es falsch machen. Wir glauben, es reiche, dass wir regelmäßig einen Wahlzettel ausfüllen. Danach wollen wir wieder so viel Laissez-faire wie nur möglich.' Und dann folgt ein großer Satz, der so unübersetzbar wie unmissverständlich ist: 'What worries me is that while we"re laissez-ing, someone else is faire-ing.' - Was mich besorgt ist, dass irgendwer loszieht, und die Sache in die Hand nimmt, während wir uns noch gehen lassen.'