Oliver Stone über das kalifornische Drogenmilieu, die Recherchen für seinen neuen Film 'Savages' und den Moment, da Verhandeln nichts mehr nützt, und man handeln muss
Spuren haben sich eingegraben ins Gesicht von Oliver Stone, Lebens- und Leidenschaftsspuren, all die Kämpfe, das Engagement, Geschichten von Krieg, Politik, Verbrechen, Drogen. Er ist kein Mann der leisen Töne. In Berlin hat er seinen neuen Film 'Savages' vorgestellt, nach dem Roman von Don Winslow.
Der neue Film von Oliver Stone kommt ins Kino
SZ: Money makes the world go round, heißt es immer. In Ihrem Film aber ist die Liebe die stärkste Kraft. Sind Sie womöglich ein verkappter Romantiker?
Oliver Stone: Nett gesagt ... Ja, es gibt in 'Savages' eine Liebesgeschichte, dieses südkalifornische Mädchen, sie glaubt, sie könnte so lieben wie Jules und Jim, ein paradiesisches Leben, das dann abrupt vom mexikanischen Drogenkartell unterbrochen wird. Da kommt Salma Hayek, deren Figur aus der konservativen, katholischen Tradition stammt, und nennt ihre Liebesgeschichte völlig verkorkst. Für mich geht es vor allem um die Verwundbarkeit, die jeder der sechs Helden zu spüren bekommt. Das Ende des Buchs, dieser sehr romantische gemeinsame Tod wie bei Butch Cassidy, hätte für mich nicht funktioniert ...
Mit Drehbüchern und Filmen wie 'Midnight Express', 'Scarface', 'Natural Born Killers', 'The Doors' haben Sie bereits das Thema Drogen angepackt ...
Wobei es nicht die Sucht ist, die mich dabei interessiert. Darren Aronofsky hat mit 'Requiem for a Dream' einen großartigen Suchtfilm gemacht, Gus van Sant mit 'Drugstore Cowboy', das sind Filme, die diese merkwürdige Perspektive im Kopf eines Süchtigen einnehmen. Mich faszinieren Drogen nur als Motor der Geschichte, statt Drogen könnte das auch Geld sein, oder Windhundrennen. Die Drogen sind nur der schillernde Hintergrund für das Katz-und-Maus-Spiel der Macht.
Welches Thema Sie sich auch anpacken, immer gibt es Krieg in Ihren Filmen.
Sagen wir: Krieg und Liebe. Nehmen Sie 'Vom Winde verweht'! Die Frage ist doch, ob die Liebe in einem völlig friedlichen Umfeld existieren kann? Können zwei Schweizer Farmer, die ihr ganzes Leben lang Kühe melken, sich ein ganzes Leben lang lieben? Der Krieg ist eine Unterbrechung, vielleicht die schlimmste von allen.
Wie Chon, der eine Ihrer Helden, haben auch Sie den Krieg erlebt, in Vietnam, er in Afghanistan. Und haben sich danach der Gegenkultur zugewendet ...
Ben und Chon, sie sind beide Krieger, und das respektiere ich. Man muss bereit sein, sich selbst zu verteidigen, muss das Richtige tun, wenn es die Zeit erfordert. Der Dalai Lama hat es doch auf den Punkt gebracht: Es gibt Zeiten, in denen man weniger Leid verursacht, wenn man einigen Menschen Leid antut. Für ein höheres Ziel muss man manchmal zu Gewalt greifen.
Das gilt auch für einen Filmemacher?
Sicher, manchmal muss man tough sein! Ein einfaches Beispiel: Wenn ein Schauspieler Unruhe stiftet und dem Film schadet, muss man ihn feuern. Man kann nicht immer mit allen gut Freund sein. Ich bin aber auch ein Teil von Ben, der verhandeln will, der Gutes tun will, in der Welt, der in Afrika war und in Asien und sein Geld kreativ einsetzt. Er verkörpert alles, was gut ist am jungen amerikanischen Unternehmer. Interessant sind seine Fehler, wenn er mit Leuten verhandeln will, mit denen das eigentlich nicht geht. Sie wollen, dass er einen Mann tötet ... Er schafft es nicht, riskiert damit sein Leben, das seiner Freunde. So was habe ich in Vietnam erlebt, beim ersten Mal ist man wie gelähmt. Das ist der Moment, da man sich untreu wird ...
Es ist eine Frage der Konsequenz. Ist es das, was Sie meinen, wenn Sie sagen, dass Sie immer zu dem Film werden, den Sie gerade drehen?
Woher wissen Sie das - dass ich das gesagt habe? Aber es stimmt, darüber habe ich vor Kurzem nachgedacht. Dass ich mich selbst nicht einordnen kann, mein Stil ändert sich mit jedem Film. So wie ein guter Schauspieler sich in die jeweilige Figur verwandelt, werde ich ein Jahr lang zu Gordon Gekko ('Wall Street'), zu den Doors, zu Richard Nixon. Bei 'Savages' waren es sechs Leute, war es die Atmosphäre von Südkalifornien und Mexiko. Ich bin auf dieselbe Weise in diese Welt abgetaucht wie vor vielen Jahren in das andere Südkalifornien der Doors. Ich muss es wirklich durchleben, vorher weiß ich nie, wie sich der Stil eines Films entwickelt. Diese Geschichte hat mich interessiert, weil sie in der Sonne spielt - ein Beach-Film, mit schönen Körpern, Surf, Sand und Wasser, aber auch mit der düsteren anderen Seite, der Dunkelheit in den Verliesen, der Angst, dem Terror, den Masken.
Sie verurteilen diese jungen Dealer nicht - ist das Ihre Version einer Legalize-it-Botschaft? Dass es ohne das Verbot das Problem gar nicht gäbe?
Das ist ein Traum, doch dafür müsste man die Zeit 42 Jahre zurückdrehen. Dieser Film spielt nach den großen Drogenkriegen, die es leider gibt, auch wenn sie heuchlerisch sind, auch wenn sie alles schlimmer gemacht haben, für alle. Der Film spielt an einem fast zynischen Ort, wo alle einfach weitermachen, so gut es geht. Wir wollten - auch wenn das bei diesem Genre immer implizit scheint - nicht gegen die Drogengesetze lästern. Der Film ist eher eine Phantasie, etwas das es so noch nicht gegeben hat. Aber alles ist absolut korrekt, wir haben Zeit mit den Anbauern verbracht in Kalifornien, wir sind nach Mexiko gefahren, wir haben uns mit den Fahndern der Drogenpolizei getroffen, die seit dreißig Jahren damit zu tun haben, und mit ehemaligen Mitgliedern der Drogenkartelle. Wir haben auch mit Computerhackern gesprochen, die das Gesicht des neuen Drogenhandels prägen. Und da sind die Soldaten, die aus dem Irak und aus Afghanistan die Logistik in die USA mitbringen, und damit auch die Brutalität der Kartelle. Mir geht es um Glaubwürdigkeit, ich mag keine Actionfilme, die nicht auf der Wirklichkeit basieren. Bei mir entsteht die Action aus den Charakteren heraus, und ich muss glauben können, dass es so passieren könnte.
Heute, da alle Welt sich dem digitalen Kino zuwendet, wirkt es fast anachronistisch, dass Sie auf Zelluloid bestehen ...
Ich liebe Zelluloid! Wenn Sie diesen Film auf einem guten Projektor in einem tollen Theater sehen, dann sieht er 25 Prozent besser aus als in jeder digitalen Projektion. Da leuchten die Farben, das ist lebendig, man sieht die Konturen, das Korn. Die digitale Vorführung hat natürlich den Vorteil der gleichbleibenden Qualität, es gibt keine Schwankungen, im Gegensatz zu früher, als alles vom Projektor, der Leinwand, der Kopie abhing.
Wie schwer ist es, diese Haltung heute durchzusetzen?
Sehr schwer, bald wird es das nicht mehr geben. Kodak ist ja nun pleitegegangen, was eine Tragödie ist. Ich bin sicher, dass es hartnäckige Zelluloid-Verfechter geben wird, Regisseure, die stark genug sind und Film lieben, Terrence Malick, Chris Nolan. Und ich hoffe, dass wir diese Kameras und das Material am Leben halten können. Leider wird das Business von der Wirtschaftlichkeit bestimmt. Letzte Nacht wollte ich in meinem verdammten Hotelzimmer hier ein Video-on-Demand sehen, den Freud-Film 'Eine dunkle Begierde'. Doch auf HD sah das aus wie eine Entertainment-Tonight-Show. Da geht so unglaublich viel verloren! Wenn ich Sie betrachte, sehe ich Sie auf Film, ich sehe das Licht auf Ihrem Gesicht, den Schatten, dem Licht wohnt ein ganz anderes Geheimnis inne. In HD bekommt man das nicht, weil es einfach zu verdammt sauber ist - das sieht dann aus wie jedes beliebige skandinavische, viel zu perfekte Mädchen. Ich bin wirklich wütend auf die Deutschen, mit ihrer großen Kameratradition. Sie sollten sich darum kümmern! Sie sollten den deutschen Fernsehsendern sagen, dass sie die Filme nicht einfach in HD zeigen dürfen!
Spuren haben sich eingegraben ins Gesicht von Oliver Stone, Lebens- und Leidenschaftsspuren, all die Kämpfe, das Engagement, Geschichten von Krieg, Politik, Verbrechen, Drogen. Er ist kein Mann der leisen Töne. In Berlin hat er seinen neuen Film 'Savages' vorgestellt, nach dem Roman von Don Winslow.
Der neue Film von Oliver Stone kommt ins Kino
SZ: Money makes the world go round, heißt es immer. In Ihrem Film aber ist die Liebe die stärkste Kraft. Sind Sie womöglich ein verkappter Romantiker?
Oliver Stone: Nett gesagt ... Ja, es gibt in 'Savages' eine Liebesgeschichte, dieses südkalifornische Mädchen, sie glaubt, sie könnte so lieben wie Jules und Jim, ein paradiesisches Leben, das dann abrupt vom mexikanischen Drogenkartell unterbrochen wird. Da kommt Salma Hayek, deren Figur aus der konservativen, katholischen Tradition stammt, und nennt ihre Liebesgeschichte völlig verkorkst. Für mich geht es vor allem um die Verwundbarkeit, die jeder der sechs Helden zu spüren bekommt. Das Ende des Buchs, dieser sehr romantische gemeinsame Tod wie bei Butch Cassidy, hätte für mich nicht funktioniert ...
Mit Drehbüchern und Filmen wie 'Midnight Express', 'Scarface', 'Natural Born Killers', 'The Doors' haben Sie bereits das Thema Drogen angepackt ...
Wobei es nicht die Sucht ist, die mich dabei interessiert. Darren Aronofsky hat mit 'Requiem for a Dream' einen großartigen Suchtfilm gemacht, Gus van Sant mit 'Drugstore Cowboy', das sind Filme, die diese merkwürdige Perspektive im Kopf eines Süchtigen einnehmen. Mich faszinieren Drogen nur als Motor der Geschichte, statt Drogen könnte das auch Geld sein, oder Windhundrennen. Die Drogen sind nur der schillernde Hintergrund für das Katz-und-Maus-Spiel der Macht.
Welches Thema Sie sich auch anpacken, immer gibt es Krieg in Ihren Filmen.
Sagen wir: Krieg und Liebe. Nehmen Sie 'Vom Winde verweht'! Die Frage ist doch, ob die Liebe in einem völlig friedlichen Umfeld existieren kann? Können zwei Schweizer Farmer, die ihr ganzes Leben lang Kühe melken, sich ein ganzes Leben lang lieben? Der Krieg ist eine Unterbrechung, vielleicht die schlimmste von allen.
Wie Chon, der eine Ihrer Helden, haben auch Sie den Krieg erlebt, in Vietnam, er in Afghanistan. Und haben sich danach der Gegenkultur zugewendet ...
Ben und Chon, sie sind beide Krieger, und das respektiere ich. Man muss bereit sein, sich selbst zu verteidigen, muss das Richtige tun, wenn es die Zeit erfordert. Der Dalai Lama hat es doch auf den Punkt gebracht: Es gibt Zeiten, in denen man weniger Leid verursacht, wenn man einigen Menschen Leid antut. Für ein höheres Ziel muss man manchmal zu Gewalt greifen.
Das gilt auch für einen Filmemacher?
Sicher, manchmal muss man tough sein! Ein einfaches Beispiel: Wenn ein Schauspieler Unruhe stiftet und dem Film schadet, muss man ihn feuern. Man kann nicht immer mit allen gut Freund sein. Ich bin aber auch ein Teil von Ben, der verhandeln will, der Gutes tun will, in der Welt, der in Afrika war und in Asien und sein Geld kreativ einsetzt. Er verkörpert alles, was gut ist am jungen amerikanischen Unternehmer. Interessant sind seine Fehler, wenn er mit Leuten verhandeln will, mit denen das eigentlich nicht geht. Sie wollen, dass er einen Mann tötet ... Er schafft es nicht, riskiert damit sein Leben, das seiner Freunde. So was habe ich in Vietnam erlebt, beim ersten Mal ist man wie gelähmt. Das ist der Moment, da man sich untreu wird ...
Es ist eine Frage der Konsequenz. Ist es das, was Sie meinen, wenn Sie sagen, dass Sie immer zu dem Film werden, den Sie gerade drehen?
Woher wissen Sie das - dass ich das gesagt habe? Aber es stimmt, darüber habe ich vor Kurzem nachgedacht. Dass ich mich selbst nicht einordnen kann, mein Stil ändert sich mit jedem Film. So wie ein guter Schauspieler sich in die jeweilige Figur verwandelt, werde ich ein Jahr lang zu Gordon Gekko ('Wall Street'), zu den Doors, zu Richard Nixon. Bei 'Savages' waren es sechs Leute, war es die Atmosphäre von Südkalifornien und Mexiko. Ich bin auf dieselbe Weise in diese Welt abgetaucht wie vor vielen Jahren in das andere Südkalifornien der Doors. Ich muss es wirklich durchleben, vorher weiß ich nie, wie sich der Stil eines Films entwickelt. Diese Geschichte hat mich interessiert, weil sie in der Sonne spielt - ein Beach-Film, mit schönen Körpern, Surf, Sand und Wasser, aber auch mit der düsteren anderen Seite, der Dunkelheit in den Verliesen, der Angst, dem Terror, den Masken.
Sie verurteilen diese jungen Dealer nicht - ist das Ihre Version einer Legalize-it-Botschaft? Dass es ohne das Verbot das Problem gar nicht gäbe?
Das ist ein Traum, doch dafür müsste man die Zeit 42 Jahre zurückdrehen. Dieser Film spielt nach den großen Drogenkriegen, die es leider gibt, auch wenn sie heuchlerisch sind, auch wenn sie alles schlimmer gemacht haben, für alle. Der Film spielt an einem fast zynischen Ort, wo alle einfach weitermachen, so gut es geht. Wir wollten - auch wenn das bei diesem Genre immer implizit scheint - nicht gegen die Drogengesetze lästern. Der Film ist eher eine Phantasie, etwas das es so noch nicht gegeben hat. Aber alles ist absolut korrekt, wir haben Zeit mit den Anbauern verbracht in Kalifornien, wir sind nach Mexiko gefahren, wir haben uns mit den Fahndern der Drogenpolizei getroffen, die seit dreißig Jahren damit zu tun haben, und mit ehemaligen Mitgliedern der Drogenkartelle. Wir haben auch mit Computerhackern gesprochen, die das Gesicht des neuen Drogenhandels prägen. Und da sind die Soldaten, die aus dem Irak und aus Afghanistan die Logistik in die USA mitbringen, und damit auch die Brutalität der Kartelle. Mir geht es um Glaubwürdigkeit, ich mag keine Actionfilme, die nicht auf der Wirklichkeit basieren. Bei mir entsteht die Action aus den Charakteren heraus, und ich muss glauben können, dass es so passieren könnte.
Heute, da alle Welt sich dem digitalen Kino zuwendet, wirkt es fast anachronistisch, dass Sie auf Zelluloid bestehen ...
Ich liebe Zelluloid! Wenn Sie diesen Film auf einem guten Projektor in einem tollen Theater sehen, dann sieht er 25 Prozent besser aus als in jeder digitalen Projektion. Da leuchten die Farben, das ist lebendig, man sieht die Konturen, das Korn. Die digitale Vorführung hat natürlich den Vorteil der gleichbleibenden Qualität, es gibt keine Schwankungen, im Gegensatz zu früher, als alles vom Projektor, der Leinwand, der Kopie abhing.
Wie schwer ist es, diese Haltung heute durchzusetzen?
Sehr schwer, bald wird es das nicht mehr geben. Kodak ist ja nun pleitegegangen, was eine Tragödie ist. Ich bin sicher, dass es hartnäckige Zelluloid-Verfechter geben wird, Regisseure, die stark genug sind und Film lieben, Terrence Malick, Chris Nolan. Und ich hoffe, dass wir diese Kameras und das Material am Leben halten können. Leider wird das Business von der Wirtschaftlichkeit bestimmt. Letzte Nacht wollte ich in meinem verdammten Hotelzimmer hier ein Video-on-Demand sehen, den Freud-Film 'Eine dunkle Begierde'. Doch auf HD sah das aus wie eine Entertainment-Tonight-Show. Da geht so unglaublich viel verloren! Wenn ich Sie betrachte, sehe ich Sie auf Film, ich sehe das Licht auf Ihrem Gesicht, den Schatten, dem Licht wohnt ein ganz anderes Geheimnis inne. In HD bekommt man das nicht, weil es einfach zu verdammt sauber ist - das sieht dann aus wie jedes beliebige skandinavische, viel zu perfekte Mädchen. Ich bin wirklich wütend auf die Deutschen, mit ihrer großen Kameratradition. Sie sollten sich darum kümmern! Sie sollten den deutschen Fernsehsendern sagen, dass sie die Filme nicht einfach in HD zeigen dürfen!