Eine berührende Stunde des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus im Deutschen Bundestag: Die 90 Jahre alte Inge Deutschkron erzählt.
Berlin - Sie ist klein, trägt ein schwarzes Kleid, dessen Schlichtheit nur an den Armen gebrochen wird, wo der Stoff von durchscheinender Spitze ist. Ihre Handtasche ist rot, ihre Lippen sind rot, und das alles verdiente kaum der Erwähnung, würde nicht alles Äußerliche an dieser Frau ein einziges Signal senden: 'Ich bin da', sagen ihre roten Lippen. 'Ich habe überlebt, und nie wieder werde ich mich verstecken.'
Die Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron im Bundestag
Als Inge Deutschkron den Plenarsaal des Bundestages betritt, ist es so still, dass selbst die Auslösergeräusche der Kameras störend wirken. Der Bundespräsident und der Bundestagspräsident geleiten die kleine Frau zu ihrem Platz, haken sie unter. 90 Jahre ist sie alt, und nun soll sie am Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus eine Rede halten, vor allen Repräsentanten des Staates, vor den Vertretern der Kirchen und Jüdischen Gemeinden. Von Norbert Lammert wird sie begrüßt. Dann singt das Synagogalensemble Berlin liturgische Musik von Louis Lewandowski.
Dieser 30. Januar, grau und verregnet in Berlin, ist der 80. Jahrestag der sogenannten 'Machtergreifung' durch Adolf Hitler. Und Inge Deutschkron erzählt, was nach diesem Tag im Januar 1933 geschah.
Als 'die Stadt lauter wurde', als sie Angst vor den Geräuschen von Stiefeln auf der Treppe bekam. Als sie die Nachbarin abholten. Als Juden keine Radios und Telefone mehr besitzen- keine Seife mehr kaufen durften. Als ihr Vater, Sozialist und Lehrer, aus dem Schuldienst entlassen wurde. Als sie alle den gelben Stern auf Herzhöhe zu tragen gezwungen wurden.
'Ich gab meinem Gesicht den Ausdruck einer Maske', sagt Inge Deutschkron, 'niemand sollte wissen, wie es wirklich um mich stand'.
Allein vor dem Haus in der Bamberger Straße im Berliner Bayerischen Viertel, in dem die Deutschkrons bis 1943 lebten, liegen heute sieben Erinnerungssteine, ins Pflaster geschlagen. Stolpersteine mit den Namen derer, die von hier deportiert wurden, nach Auschwitz, nach Buchenwald. Die Grünbaums, Frau Rieger und Frau Mejerzon, die Gimpels und Herr Baruch. Reisegruppen aus Israel, Schulklassen werden heute durch das Viertel in Schöneberg geführt, um den Spuren der Juden nachzugehen, die hier lebten, bevor sie ermordet wurden.
Dem Vater, so erzählt Inge Deutschkron, war noch die Flucht nach England gelungen, Mutter und Tochter aber blieben zurück. Von Mitte Januar 1943 an wurden sie von Freunden und Bekannten in verschiedenen Quartieren versteckt, bis zum Kriegsende. Sie waren zwei von nur 1700 Juden, die in der Reichshauptstadt den Terror überlebten.
'Es war möglich zu helfen', diesen Satz hat Inge Deutschkron immer wieder in Interviews gesagt, und wer sie an ihrem Geburtstag besuchte, dem sagte sie: 'Der Geburtstag ist der Tag meines Triumphes. Ich habe überlebt.'
Inge Deutschkrons Verhältnis zu ihrer Heimat blieb gespalten, auch nach dem Ende des Krieges. Ihr Vater habe lange gehofft, dass man ihn zurückrufen würde, in seine Heimat, um ein demokratisches Deutschland mit aufzubauen. Aber niemand rief nach ihm, nach Doktor Martin Deutschkron, Oberstudienrat und Freiwilliger im Ersten Weltkrieg, dem man das Eiserne Kreuz verliehen hatte. Inge Deutschkron spricht von seiner Enttäuschung, die ihn kraftlos machte.
Enttäuschung war es auch, die Inge Deutschkron, die als Korrespondentin, von Bonn aus, für die israelische Tageszeitung Maariv arbeitete, aus Deutschland weg nach Israel trieb, auch wenn sie davon in ihrer Rede nicht spricht.
Der Grund, dass sie 1972 nach Israel auswanderte, war die damals immer stärker werdende Kritik der Linken an der israelischen Politik, war der linke Antisemitismus, war die Anschlagserie des Jahresbeginns 1970, als, ein Beispiel nur, das jüdische Altersheim in der Münchner Reichenbachstraße angezündet wurde, und sieben Menschen-in der Mehrzahl waren es Überlebende des Holocaust-zu Tode kamen. Von alledem kein Wort in dieser Gedenkstunde. Aber sehr nachdenklich endet Inge Deutschkron, indem sie beschreibt, wie ihr Vater in Birmingham stundenlang am Fenster stand, in der Hand die Urkunde, die ihm die britische Staatsbürgerschaft verlieh. Ihm, dem Deutschen.
Der Saal applaudiert der kleinen Frau mit ihrer roten Handtasche, der Chor singt noch einmal, dann wird sie zur Tür geleitet. Sie geht vorbei an den Inschriften, die Rotarmisten im Mai 1945 an die Wände des zerstörten Reichstages geschrieben haben. 'Sdjes buila', steht da, 'ich war hier, Alexej'. Unten, vor dem Südeingang, kommt eine Bekannte auf Inge Deutschkron zu. Die beiden begrüßen sich. 'Es war sicher anstrengend', sagt die Dame. 'Selbstverständlich', sagt Inge Deutschkron, 'das war es.' Lässt sich in den Mantel helfen und geht.
Berlin - Sie ist klein, trägt ein schwarzes Kleid, dessen Schlichtheit nur an den Armen gebrochen wird, wo der Stoff von durchscheinender Spitze ist. Ihre Handtasche ist rot, ihre Lippen sind rot, und das alles verdiente kaum der Erwähnung, würde nicht alles Äußerliche an dieser Frau ein einziges Signal senden: 'Ich bin da', sagen ihre roten Lippen. 'Ich habe überlebt, und nie wieder werde ich mich verstecken.'
Die Holocaust-Überlebende Inge Deutschkron im Bundestag
Als Inge Deutschkron den Plenarsaal des Bundestages betritt, ist es so still, dass selbst die Auslösergeräusche der Kameras störend wirken. Der Bundespräsident und der Bundestagspräsident geleiten die kleine Frau zu ihrem Platz, haken sie unter. 90 Jahre ist sie alt, und nun soll sie am Gedenktag an die Opfer des Nationalsozialismus eine Rede halten, vor allen Repräsentanten des Staates, vor den Vertretern der Kirchen und Jüdischen Gemeinden. Von Norbert Lammert wird sie begrüßt. Dann singt das Synagogalensemble Berlin liturgische Musik von Louis Lewandowski.
Dieser 30. Januar, grau und verregnet in Berlin, ist der 80. Jahrestag der sogenannten 'Machtergreifung' durch Adolf Hitler. Und Inge Deutschkron erzählt, was nach diesem Tag im Januar 1933 geschah.
Als 'die Stadt lauter wurde', als sie Angst vor den Geräuschen von Stiefeln auf der Treppe bekam. Als sie die Nachbarin abholten. Als Juden keine Radios und Telefone mehr besitzen- keine Seife mehr kaufen durften. Als ihr Vater, Sozialist und Lehrer, aus dem Schuldienst entlassen wurde. Als sie alle den gelben Stern auf Herzhöhe zu tragen gezwungen wurden.
'Ich gab meinem Gesicht den Ausdruck einer Maske', sagt Inge Deutschkron, 'niemand sollte wissen, wie es wirklich um mich stand'.
Allein vor dem Haus in der Bamberger Straße im Berliner Bayerischen Viertel, in dem die Deutschkrons bis 1943 lebten, liegen heute sieben Erinnerungssteine, ins Pflaster geschlagen. Stolpersteine mit den Namen derer, die von hier deportiert wurden, nach Auschwitz, nach Buchenwald. Die Grünbaums, Frau Rieger und Frau Mejerzon, die Gimpels und Herr Baruch. Reisegruppen aus Israel, Schulklassen werden heute durch das Viertel in Schöneberg geführt, um den Spuren der Juden nachzugehen, die hier lebten, bevor sie ermordet wurden.
Dem Vater, so erzählt Inge Deutschkron, war noch die Flucht nach England gelungen, Mutter und Tochter aber blieben zurück. Von Mitte Januar 1943 an wurden sie von Freunden und Bekannten in verschiedenen Quartieren versteckt, bis zum Kriegsende. Sie waren zwei von nur 1700 Juden, die in der Reichshauptstadt den Terror überlebten.
'Es war möglich zu helfen', diesen Satz hat Inge Deutschkron immer wieder in Interviews gesagt, und wer sie an ihrem Geburtstag besuchte, dem sagte sie: 'Der Geburtstag ist der Tag meines Triumphes. Ich habe überlebt.'
Inge Deutschkrons Verhältnis zu ihrer Heimat blieb gespalten, auch nach dem Ende des Krieges. Ihr Vater habe lange gehofft, dass man ihn zurückrufen würde, in seine Heimat, um ein demokratisches Deutschland mit aufzubauen. Aber niemand rief nach ihm, nach Doktor Martin Deutschkron, Oberstudienrat und Freiwilliger im Ersten Weltkrieg, dem man das Eiserne Kreuz verliehen hatte. Inge Deutschkron spricht von seiner Enttäuschung, die ihn kraftlos machte.
Enttäuschung war es auch, die Inge Deutschkron, die als Korrespondentin, von Bonn aus, für die israelische Tageszeitung Maariv arbeitete, aus Deutschland weg nach Israel trieb, auch wenn sie davon in ihrer Rede nicht spricht.
Der Grund, dass sie 1972 nach Israel auswanderte, war die damals immer stärker werdende Kritik der Linken an der israelischen Politik, war der linke Antisemitismus, war die Anschlagserie des Jahresbeginns 1970, als, ein Beispiel nur, das jüdische Altersheim in der Münchner Reichenbachstraße angezündet wurde, und sieben Menschen-in der Mehrzahl waren es Überlebende des Holocaust-zu Tode kamen. Von alledem kein Wort in dieser Gedenkstunde. Aber sehr nachdenklich endet Inge Deutschkron, indem sie beschreibt, wie ihr Vater in Birmingham stundenlang am Fenster stand, in der Hand die Urkunde, die ihm die britische Staatsbürgerschaft verlieh. Ihm, dem Deutschen.
Der Saal applaudiert der kleinen Frau mit ihrer roten Handtasche, der Chor singt noch einmal, dann wird sie zur Tür geleitet. Sie geht vorbei an den Inschriften, die Rotarmisten im Mai 1945 an die Wände des zerstörten Reichstages geschrieben haben. 'Sdjes buila', steht da, 'ich war hier, Alexej'. Unten, vor dem Südeingang, kommt eine Bekannte auf Inge Deutschkron zu. Die beiden begrüßen sich. 'Es war sicher anstrengend', sagt die Dame. 'Selbstverständlich', sagt Inge Deutschkron, 'das war es.' Lässt sich in den Mantel helfen und geht.