Ein fragwürdiges Gesetz zwingt Doppelstaatler sich für einen Pass zu entscheiden - nun verlieren die ersten ihre deutsche Staatsbürgerschaft
München - Bojan Golgovac hat nie verstanden, was der ganze Zirkus soll. 'Warum muss ich mich zwischen zwei Pässen entscheiden? Wen kümmert das?', fragt der Deutsch-Bosnier. Bis vor kurzem war der Student für Flugzeugbau Doppelstaatler und damit ein Deutscher mit Verfallsdatum - so wie Hunderttausende andere Kinder aus Zuwandererfamilien. Sie müssen bis zu ihrem 23. Geburtstag ihre ausländische Staatsangehörigkeit abgelegt haben, sonst werden sie automatisch ausgebürgert. So sieht es das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1999 vor.
Die FDP hatte sich damals für den Kompromiss zwischen rot-grüner Bundesregierung und dem Bundesrat feiern lassen, in dem Rot-Grün die Mehrheit verloren hatte. Demnach bekommen Zuwandererkinder mit der Geburt zwar automatisch den deutschen Pass, müssen sich aber als Erwachsene für eine ihrer Staatsbürgerschaften entscheiden. Nun werden die Fallstricke des Gesetzes offensichtlich: seit Anfang dieses Jahres greift die Regelung, die ersten Doppelstaatler verlieren mit dem 23. Geburtstag ihren deutschen Pass.
Das erste Beispiel: eine Frau aus Hanau. Sie wollte Deutsche bleiben und beantragte, ihre türkische Staatsbürgerschaft zu verlieren. Allerdings zu spät. Weil sie keine Bestätigung aus der Türkei vorlegen konnte, wurde sie vor Kurzem den deutschen Pass los. Fachleute nehmen deshalb die sogenannte Optionspflicht ins Visier, etwa der Jura-Professor Uwe Berlit, der einen der maßgebliche Kommentare zum Staatsangehörigkeitsrecht mitverfasst hat. 'Sie setzt integrationspolitisch ein falsches Signal und ist nicht nur den Betroffenen schwer zu vermitteln', sagt Berlit. Die Regelung sei 'rechtspolitisch ein Irrweg'.
Womöglich ist die Regelung auch juristisch auf Abwegen. Dies müssen Gerichte klären, wenn die ersten Ausgebürgerten sich ihren Pass wieder erklagen wollen. Berlit ist da zurückhaltend, denn er ist auch Richter am Bundesverwaltungsgericht und darf keinem Urteil vorgreifen. Doch er sagt: 'Die Vereinbarkeit der Regelung mit EU-Recht ist klärungsbedürftig.' Auch sein Professoren-Kollege Kay Hailbronner kritisiert die Optionspflicht. Er bemängelt 'Rechtsunsicherheit und Unklarheit' des Gesetzes, es sei zu schwammig formuliert, schreibt Hailbronner in einem aktuellen Rechtsgutachten für die Bertelsmannstiftung. Das ist umso bemerkenswerter, als der Jura-Professor als regierungsnah gilt. Er hat wiederholt Bundesministerien in Prozessen vertreten. Hailbronner gibt zu Bedenken: Gut ein Drittel der Doppelstaatler wisse nach einer Studie des Bundesamtes für Migration gar nicht, dass sie ihren deutschen Pass verlieren, wenn sie den anderen nicht rechtzeitig abgeben. Unwissen schützt aber nicht. Es dürfte also noch viele Fälle wie den in Hanau geben.
Fast ein Drittel des ersten Jahrganges mit Doppelpass habe die Frist versäumt, sagt Martin Jungnickel, Dezernatsleiter der bundesweit größten Einbürgerungsbehörde in Darmstadt. Er hat bereits drei Doppelstaatlern den deutschen Pass aberkennen müssen. 'Insgesamt werden es in diesem Jahr wohl rund 100 Fälle werden' - allein im Bezirk Darmstadt. Jungnickel ist für Südhessen zuständig mit den Städten Frankfurt und Wiesbaden, 3,8 Millionen Menschen wohnen in dieser Region.
Oft ist die Lage noch viel komplizierter als bei der 23-jährigen Deutsch-Türkin. Die Behörden müssen die Doppelstaatler erst ermitteln, denn sie sind nicht zuverlässig erfasst. Woher soll das Amt auch wissen, dass ein junger Mensch einen weiteren Pass im Schrank liegen hat? Dann muss geprüft werden, ob es für den Doppelstaatler zu aufwendig ist, den alten Pass abzugeben. Wenn der andere Staat hohe Entlassungsgebühren verlangt wie Serbien, darf der Zweitpass behalten werden. Das gleiche gilt für EU-Pässe, hier erkennen die Länder gegenseitig den Doppelpass an. Dadurch ergeben sich zwei Klassen von Doppelstaatlern: diejenigen, die den zweiten Pass behalten dürfen - und diejenigen, die gezwungen werden, ihn abzugeben. Das sind vor allem Deutsch-Türken. Sie alle müssen angeschrieben, beraten - und auf die Folgen hingewiesen werden. Vollends kompliziert wird es dann, wenn Doppelstaatler nichts von ihrer zweiten Staatsbürgerschaft wissen, zum Beispiel weil sie durch Geburt automatisch die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern erhalten haben. Wer soll das klären? Und sollen sie trotzdem ihren deutschen Pass verlieren? 'Der bürokratische Aufwand ist unverhältnismäßig und absurd', sagt Berlit.
Bojan Golgovac wird dieses Jahr 22 Jahre. Er hat lange gewartet und gehofft, dass der Doppelpass auch für Bosnier noch erlaubt wird - vergebens. Dann waren die Argumente schnell zusammengezählt: er ist in Deutschland geboren, hat hier sein Abitur gemacht und sein Studium angefangen. Das wog schwerer als seine Verbundenheit mit Bosnien. 'Was man im Herzen trägt, muss man nicht auf Papier haben', sagt er. Seit dem Herbst ist er offiziell nur noch Deutscher.
München - Bojan Golgovac hat nie verstanden, was der ganze Zirkus soll. 'Warum muss ich mich zwischen zwei Pässen entscheiden? Wen kümmert das?', fragt der Deutsch-Bosnier. Bis vor kurzem war der Student für Flugzeugbau Doppelstaatler und damit ein Deutscher mit Verfallsdatum - so wie Hunderttausende andere Kinder aus Zuwandererfamilien. Sie müssen bis zu ihrem 23. Geburtstag ihre ausländische Staatsangehörigkeit abgelegt haben, sonst werden sie automatisch ausgebürgert. So sieht es das Staatsangehörigkeitsgesetz von 1999 vor.
Die FDP hatte sich damals für den Kompromiss zwischen rot-grüner Bundesregierung und dem Bundesrat feiern lassen, in dem Rot-Grün die Mehrheit verloren hatte. Demnach bekommen Zuwandererkinder mit der Geburt zwar automatisch den deutschen Pass, müssen sich aber als Erwachsene für eine ihrer Staatsbürgerschaften entscheiden. Nun werden die Fallstricke des Gesetzes offensichtlich: seit Anfang dieses Jahres greift die Regelung, die ersten Doppelstaatler verlieren mit dem 23. Geburtstag ihren deutschen Pass.
Das erste Beispiel: eine Frau aus Hanau. Sie wollte Deutsche bleiben und beantragte, ihre türkische Staatsbürgerschaft zu verlieren. Allerdings zu spät. Weil sie keine Bestätigung aus der Türkei vorlegen konnte, wurde sie vor Kurzem den deutschen Pass los. Fachleute nehmen deshalb die sogenannte Optionspflicht ins Visier, etwa der Jura-Professor Uwe Berlit, der einen der maßgebliche Kommentare zum Staatsangehörigkeitsrecht mitverfasst hat. 'Sie setzt integrationspolitisch ein falsches Signal und ist nicht nur den Betroffenen schwer zu vermitteln', sagt Berlit. Die Regelung sei 'rechtspolitisch ein Irrweg'.
Womöglich ist die Regelung auch juristisch auf Abwegen. Dies müssen Gerichte klären, wenn die ersten Ausgebürgerten sich ihren Pass wieder erklagen wollen. Berlit ist da zurückhaltend, denn er ist auch Richter am Bundesverwaltungsgericht und darf keinem Urteil vorgreifen. Doch er sagt: 'Die Vereinbarkeit der Regelung mit EU-Recht ist klärungsbedürftig.' Auch sein Professoren-Kollege Kay Hailbronner kritisiert die Optionspflicht. Er bemängelt 'Rechtsunsicherheit und Unklarheit' des Gesetzes, es sei zu schwammig formuliert, schreibt Hailbronner in einem aktuellen Rechtsgutachten für die Bertelsmannstiftung. Das ist umso bemerkenswerter, als der Jura-Professor als regierungsnah gilt. Er hat wiederholt Bundesministerien in Prozessen vertreten. Hailbronner gibt zu Bedenken: Gut ein Drittel der Doppelstaatler wisse nach einer Studie des Bundesamtes für Migration gar nicht, dass sie ihren deutschen Pass verlieren, wenn sie den anderen nicht rechtzeitig abgeben. Unwissen schützt aber nicht. Es dürfte also noch viele Fälle wie den in Hanau geben.
Fast ein Drittel des ersten Jahrganges mit Doppelpass habe die Frist versäumt, sagt Martin Jungnickel, Dezernatsleiter der bundesweit größten Einbürgerungsbehörde in Darmstadt. Er hat bereits drei Doppelstaatlern den deutschen Pass aberkennen müssen. 'Insgesamt werden es in diesem Jahr wohl rund 100 Fälle werden' - allein im Bezirk Darmstadt. Jungnickel ist für Südhessen zuständig mit den Städten Frankfurt und Wiesbaden, 3,8 Millionen Menschen wohnen in dieser Region.
Oft ist die Lage noch viel komplizierter als bei der 23-jährigen Deutsch-Türkin. Die Behörden müssen die Doppelstaatler erst ermitteln, denn sie sind nicht zuverlässig erfasst. Woher soll das Amt auch wissen, dass ein junger Mensch einen weiteren Pass im Schrank liegen hat? Dann muss geprüft werden, ob es für den Doppelstaatler zu aufwendig ist, den alten Pass abzugeben. Wenn der andere Staat hohe Entlassungsgebühren verlangt wie Serbien, darf der Zweitpass behalten werden. Das gleiche gilt für EU-Pässe, hier erkennen die Länder gegenseitig den Doppelpass an. Dadurch ergeben sich zwei Klassen von Doppelstaatlern: diejenigen, die den zweiten Pass behalten dürfen - und diejenigen, die gezwungen werden, ihn abzugeben. Das sind vor allem Deutsch-Türken. Sie alle müssen angeschrieben, beraten - und auf die Folgen hingewiesen werden. Vollends kompliziert wird es dann, wenn Doppelstaatler nichts von ihrer zweiten Staatsbürgerschaft wissen, zum Beispiel weil sie durch Geburt automatisch die Staatsbürgerschaft ihrer Eltern erhalten haben. Wer soll das klären? Und sollen sie trotzdem ihren deutschen Pass verlieren? 'Der bürokratische Aufwand ist unverhältnismäßig und absurd', sagt Berlit.
Bojan Golgovac wird dieses Jahr 22 Jahre. Er hat lange gewartet und gehofft, dass der Doppelpass auch für Bosnier noch erlaubt wird - vergebens. Dann waren die Argumente schnell zusammengezählt: er ist in Deutschland geboren, hat hier sein Abitur gemacht und sein Studium angefangen. Das wog schwerer als seine Verbundenheit mit Bosnien. 'Was man im Herzen trägt, muss man nicht auf Papier haben', sagt er. Seit dem Herbst ist er offiziell nur noch Deutscher.