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Frohes neues Paar

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Das Neujahrsfest verbringen Chinesen bei ihrer Familie. Vor allem für junge Frauen ist das ein Problem. Die wichtigste Frage der Eltern: Wann heiratest Du endlich? Die Antwort: Man mietet sich einen Verlobten. Das Geschäft boomt

Das mit den Extras findet Meng Guangyong nicht gut. 'Schau', sagt er und zeigt gleich auf den ersten Konkurrenten, den Taobao ausspuckt, die Webseite, auf der sie sich alle anbieten: 'Gemeinsam Einkaufen gehen, 30 Yuan die Stunde. Mittagessen, 50 Yuan (die Kosten des Essens trägt die Auftraggeberin). Einmal ins Kino, 50 Yuan (Horrorfilme das Doppelte)'. Ein anderer verlangt fürs Trinken an der Festtafel: 20 Yuan pro halber Liter Bier, Reisschnaps wird teurer: ein Yuan pro Milliliter. 'Kann mir nicht vorstellen, dass die damit Kundschaft anlocken', sagt Meng. Bei ihm ist alles inklusive: Reden, Feiern, Komplimente vor den Eltern, sogar Kosenamen hat er sich zurechtgelegt.

Das Mädchen, mit dem er seit gestern verhandelt, per Chat, hat schon einen: 'Yaya' nennt sie sich, die Elegante. 22 Jahre ist sie erst, aus der Provinz Shaanxi, und braucht schon dringend einen Verlobten. 'Wie viel willst Du denn?' fragt Yaya. '100 Yuan am Tag', schreibt Meng, umgerechnet 12 Euro. 'Ah', antwortet sie. Pause. Und dann: 'Aber bei so einem Geschäft zahlt doch das Mädchen drauf. Vor den Eltern muss ich noch Händchenhalten mitmachen und so was. Kompliziert, das alles ...' Er: 'Wenn"s passt, bleibt ja vielleicht auch eine schöne Erinnerung.' Sie schickt einen Smiley, und noch einmal: 'Heikel'. Dann plaudern sie. Sie verkauft Kleider, auch über Taobao, Chinas Gegenstück zu Ebay. 'Unstetes Leben', schreibt sie. Die Eltern wüssten sie gern in festen Händen.

Meng Guangyong ist 29 Jahre alt, studierter Jurist, seit 2009 in Peking, wo er sich seither durchschlägt, mal als Wachmann, mal als Verkäufer von Kosmetika, kommt selbst vom Land. Ein kleines Dorf in der Südprovinz Guizhou. Meng ist leise, eher schmächtig, als Herzensbrecher würde er kaum durchgehen, bei chinesischen Schwiegereltern ist das ein Plus. Andererseits ist er auch nicht wirklich die Besetzung für den Typ Karrieremann, die ländliche Herkunft hat er auch im Äußeren noch nicht ganz abgelegt. Aber dafür ist er günstig, gerade mal 100 Yuan am Tag. 'Kann kochen. Dich zur Prinzessin machen', steht in seinem Inserat. Der Respekt gegenüber den Eltern, sagt er, das sei ihm eines der wichtigsten Dinge im Leben. Aber ist das nicht Betrug, was er vorhat? Nicht im juristischen Sinne, nein, aber Betrug an den Eltern? Das finde er nicht, sagt er. Man spiele den Eltern etwas vor, gut. 'Aber letztlich tut man ihnen damit doch etwas Gutes. Man sorgt für Frieden und Zufriedenheit. Und alle haben ein schönes Fest.'

Das Fest ist schuld. Das Frühlingsfest. Chinesisch Neujahr. Dieses Jahr wird es am Sonntag, dem 10. Februar, gefeiert. Der Drache gibt dann ab an die Schlange. Für Chinesen ist das wie für uns Weihnachten und Ostern zusammen. Ganz China steigt ins Auto, in den Bus, in den Zug, ins Flugzeug, fährt nach Hause zu den Eltern. Dort gibt es Essen, Feuerwerk, Essen und wieder Essen. Vor allem aber gibt es: bohrende Fragen, endlose Verhöre. Hast Du endlich einen Freund? Wann heiratest Du? Und wann, wann, wann kommt das Enkelkind?

'Wie mir davor graut', sagt eine Pekinger Freundin, die am Wochenende in ihre Heimatstadt in den Nordosten fährt. 'Jedes Jahr die gleichen Fragen, die gleichen Vorwürfe.' Vor allem die jungen Frauen trifft es. Die in ein sich wandelndes China geboren wurden, die in zunehmend modernen Städten berufstätig sind, viele mit Ende 20, Anfang 30 noch Single - zuhause aber treffen sie auf die Erwartungen einer noch immer patriarchalisch-konservativen Gesellschaft, in der unverheiratete Frauen ab 27 als alte Jungfern gelten. Der staatliche Frauenverband, ausgerechnet, verpasste ihnen den Stempel 'übriggebliebene Frauen'. Eine Gesellschaft, in der Xiaoshun, also Respekt und Gehorsam gegenüber den Eltern noch immer als goldene Tugend gilt. Und die höchste Form des Xiaoshun ist: Heiraten und Kinder gebären. Es gibt sogar ein eigenes Wort für das hartnäckige Zureden von Eltern, Onkeln und Tanten: bihun, 'zur Hochzeit drängen'.





Und hier kommt Meng Guangyong ins Spiel. Er ist ein 'Mietfreund'. Über die Webseite Taobao kann man ihn bestellen, so wie inzwischen gut 600 andere Männer auch. Serviceparadies China. 'Bist du nicht mehr ganz jung und fürchtest wieder das Genörgle deiner Eltern?', heißt es in einer der Anzeigen: 'Bist du eine "Übriggebliebene" und weißt nicht, wo du vor Scham in der Erde versinken sollst, wenn sich deine Freunde und Verwandten wieder mal um dich "sorgen"? Dann brauchst Du einen Freund, der sich mit Dir an Neujahr Deiner Familie stellt.' Meng verkauft eigentlich Kosmetika über Taobao, und hatte die Sache mit dem Mietfreund nur seinem Angebot zugefügt, um mit seinem Laden bei den Ergebnislisten der Suchmaschinen vorne dabei zu sein: 'Mietfreund' war nämlich einer der meistgesuchten Begriffe bei Taobao in den letzten Wochen. 'Als dann die ersten Mädchen anfragten, war ich selbst überrascht', sagt er.

Konkurrent Xiao Shen aus Shandong ist ein Veteran der Szene: Mehrmals hat er schon den Verlobten gespielt. Das erste Mal für eine Schulfreundin. 'Da war ich aufgeregt', sagt er. 'Ich konnte den Eltern gar nicht in die Augen sehen.' Heute gibt er den Profi. 'Bei mir muss keine nervös sein', sagt er, 'ich spiele die Hauptrolle. Ich weiß, wie man Eltern packt, mich treibt keiner in die Enge, Themenwechsel sind meine Stärke.' Auf Wunsch gibt er den Bad Boy: 'Wenn sie möchte, dass ihre Eltern gegen mich sind, dann bin ich unhöflich, helfe nie am Tisch.' Das ist praktisch, weil die Eltern dann froh sind, wenn der ungehobelte junge Mann schnell wieder aus dem Leben der Tochter verschwindet.

Das Phänomen ist nicht neu. 2011 veranstaltete das Rabatt-Portal 'Meituan' eine Verlosung unter dem Titel 'Papa, Mama, schaut! Hier ist er!' Die Siegerin durfte einen gut aussehenden jungen Mann aus dem Personal mit zum Fest nach Hause nehmen, Kost und Logis übernahm das Unternehmen. 170000 Leute nahmen an der 'Mietfreund-Tombola' teil. Und die Komödie 'Contract Lover' brachte den Mietpartner schon 2007 auf die Leinwand: Ein junger Mann geht nach Hause aufs Dorf und traut sich nicht, den Eltern die moderne, aufgeschlossene Freundin vorzustellen, also mietet er sich ein traditionelles Mädel, das gerade Geld braucht. Am Ende, klar, sticht die schöne Brave die flotte Stadtfrau aus, und aus Geschäft wird Liebe.

Ein schönes Ende, Meng Guangyong? Der Mietfreund aus Guizhou nickt ernst. Er ist der einzige von fünf Geschwistern, der noch nicht verheiratet ist. Zuhause im Dorf haben die Eltern alle Brüder und Schwestern unter die Haube gebracht, mit Hilfe von Kupplern. 'Aber das ist nichts für mich, eine Frau vom Land', sagt er. Und wenn sich jetzt was ergäbe, über so eine Mietpartie? Meng zeigt uns das Ende seines Online-Chats mit der 22jährigen Yaya: 'Ach, der Preis...', hat er am Ende geschrieben: 'Wenn ich jemanden finde, der mir wirklich gefällt, dann wer weiß.' Yaya berät sich nun mit ihrer Freundin.

Herr Meng, warum gehen Sie eigentlich zum Frühlingsfest nicht selbst nach Hause zur Familie, nach Guizhou? Nein, sagt er, da wolle er sich nicht blicken lassen. Die Mutter kenne schon am Telefon nur mehr ein Thema: Wann lernen wir endlich Deine Freundin kennen? 'Wenn ich jetzt heimfahre, dann nerven mich alle jeden Tag. Das halte ich nicht aus.' Er hat ihnen gesagt, er habe kein Zugticket mehr bekommen.

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