Annette Schavan hat es in der Politik weit gebracht - oft gegen harten Widerstand in der Union.
Man kann sich schon fragen, ob nun Rom folgt. Oder Paris. Oder beides hintereinander. Das nämlich hat Annette Schavan vor gar nicht so langer Zeit einem Reporter der Zeit anvertraut: dass ein Vierteljahr in Rom für sie mal was Wunderbares wäre. Und danach gleich noch mal drei Monate in Paris. Sie hat das in einem Moment aufblitzender Freiheit gesagt, einem Augenblick ohne Pflicht und Amt und Verantwortung. Und es spricht viel dafür, dass sie das ehrlich gemeint hat. Rom. Paris. Das Leben mal locker lassen. Es könnte ein Genuss sein nach dem, was jetzt vorbei ist. Die Dauerdebatten um ihre Dissertation, ihr Amt und die Spekulation, sie könne zu einer Belastung für Angela Merkel werden.
Seit Samstag ist klar, dass die Karriere der 57-jährigen CDU-Politikerin ein vorläufiges Ende erreicht hat. Sie wird trotzdem Wahlkampf machen. Sie wird ihren Wahlkreis Ulm weiter im Bundestag vertreten wollen. Aber die Plagiatsvorwürfe, die Aberkennung des Doktortitels und der juristische Kampf dagegen haben dazu geführt, dass das meiste vorbei ist. Und das wird sich wie eine Vollbremsung anfühlen. So nüchtern die baldige Ministerin a. D. oft wirkt, so leidenschaftlich hat sie sich seit Jugendtagen in die Politik gestürzt.
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Annette Schavan und Kanzlerin Merkel nach der Pressekonferenz am vergangenen Samstag, auf der Schavan ihren Rücktritt vom Amt der Bildungsministerin erklärte.
Die Karriere, die nun mit einem Rücktritt als Bundesministerin endet, begann in den Siebzigerjahren in der Rolle der Klassen- und Schülersprecherin des Neusser Nelly-Sachs-Gymnasiums. Die junge Schavan wehrte sich gegen die Schließung ihrer Schule, sie engagierte sich bald in der Jungen Union und im Rat der Stadt. Und sie erlebte sehr früh, was das in der Altherrenpartei CDU bedeutet. Sie stieß auf Widerstände und musste sich unentwegt gegen Abfälligkeiten, Lästereien, auch Gemeinheiten behaupten. So gesehen lernte sie schon in den Siebziger- und Achtzigerjahren, was sich Angela Merkel in den Neunzigerjahren in der westdeutsch-geprägten CDU aneignen musste: eine dicke Haut gegen Anwürfe der Widersacher.
Am schmerzvollsten ist das womöglich gar nicht jetzt, nicht nach diesem Rücktritt. Am schmerzvollsten musste Schavan das im Herbst 2004 erleben. Damals hatte sie es gewagt, gegen die alten, vermeintlich ewig geltenden Nachfolgeregeln der CDU Baden-Württembergs zu verstoßen. Als Erwin Teufel seinen Rückzug ankündigte, warf sie ihren Hut in den Ring und erzwang einen Mitgliederentscheid gegen Günther Oettinger, den Fraktionschef. Ihre Niederlage war erträglich, sie errang fast 40 Prozent der Stimmen. Unerträglich waren die Gerüchte und Anfeindungen, die ihr sehr zusetzten. So hatten Gegner vor der Abstimmung lanciert, sie habe eine lesbische Beziehung - und nutzten das als vermeintlichen Beleg dafür, dass sie für das Amt nicht infrage komme. Am Abend der Niederlage saß sie im Auto, fuhr nach Hause und weinte ob der Niedertracht. Bis sie sich schwor, niemals klein beizugeben. Ein Grundgefühl, das man kennt. Man kennt es bei Angela Merkel.
Wenn Schavan am kommenden Donnerstag ihre Entlassungsurkunde in Händen halten wird, dann hat sie 17 Jahre als Ministerin hinter sich. Bevor sie 2005 Ministerin für Bildung und Forschung in Berlin wurde, war sie zehn Jahre Kultusministerin in Baden-Württemberg. Dorthin hatte Erwin Teufel sie geholt, nachdem Christian Wulff, damals junger Oppositionsführer in Hannover, sie schon 1994 in sein Schattenkabinett berufen hatte. Schavan galt zu der Zeit als unkonventionell und intellektuell. Teufel holte sie auch gegen Widerstände in der eigenen Landtagsfraktion, weil er frische Ideen und ein frisches Gesicht in seinem Kabinett haben wollte. Schavan revanchierte sich mit vielen Initiativen. Unter ihrer Regie führte Baden-Württemberg im Südwesten als erstes Bundesland einen Fremdsprachenunterricht in Grundschulen ein, später das auf acht Jahre verkürzte Abitur. Während Ersteres ihr Lob einbringt, ist Letzteres bis heute umstritten und wird mancherorts wieder zurückgenommen. Trotz aufkommender Kritik an manchen ihrer Vorschläge rückte Schavan zur profiliertesten Bildungspolitikerin der CDU auf.
Parallel stieg sie in der Partei auf. In den Neunzigerjahren engagiert sie sich in der CDU-Grundsatzkommission. Nachdem Wolfgang Schäuble 1998 Parteichef wurde, holte er sich zwei Frauen an seine Seite: Er machte Angela Merkel zu seiner Generalsekretärin und Schavan zu seiner Stellvertreterin. Die beiden rückten zur selben Zeit nach vorne. Als der Spendenskandal Anfang 2000 auch Schäuble zum Rücktritt zwang, wurde Schavan zur zentralen Mitstreiterin Merkels in der Parteispitze. Nicht selten war es die westdeutsche Katholikin Schavan, die der ostdeutschen Protestantin Merkel erläuterte, was die CDU Kohl"scher Prägung eigentlich ausmachte.
Den Job ihres Lebens bekam Schavan 2005: Sie wurde in der großen Koalition Ministerin für Bildung und Forschung. Anders als in Baden-Württemberg stürmte sie nicht in das Amt, sondern betrat es leise - und wurde neben der wild wirbelnden Ursula von der Leyen bald kritisiert als zu still, zu zurückhaltend, zu arm an Provokationen. Da war etwas dran, doch gleichzeitig kämpfte sie auch mit objektiven Problemen. Die Föderalismusreform, für die sie einst selbst stritt, band ihr nun bei der Bildung die Hände. Und der Anstieg der Forschungsausgaben wurde zwar gelobt, war aber so unstrittig, dass daraus keine großen Schlagzeilen wurden.
Erst in der zweiten Amtszeit wagte Schavan die Konfrontation. Sie stritt vehement für mehr Bildungskompetenzen des Bundes, stellte die Zukunft von Hauptschulen infrage und erlebte 2011 einen Sommer des Missvergnügens, weil die CDU-Länderfürsten aus Angst um ihre Macht dagegenhielten. So bleibt die Bilanz gemischt: wenig bei der Bildung, viel Geld für die Forschung und ein Ringen um eine bessere Ausstattung der Hochschulen.
In einer ruhigen Minute hat Schavan mal gesagt, dass es schön wäre, wenn sie irgendwann selbst entscheiden könnte, wann sie aufhört. Diese Hoffnung ist unerfüllt geblieben. Stefan Braun
Man kann sich schon fragen, ob nun Rom folgt. Oder Paris. Oder beides hintereinander. Das nämlich hat Annette Schavan vor gar nicht so langer Zeit einem Reporter der Zeit anvertraut: dass ein Vierteljahr in Rom für sie mal was Wunderbares wäre. Und danach gleich noch mal drei Monate in Paris. Sie hat das in einem Moment aufblitzender Freiheit gesagt, einem Augenblick ohne Pflicht und Amt und Verantwortung. Und es spricht viel dafür, dass sie das ehrlich gemeint hat. Rom. Paris. Das Leben mal locker lassen. Es könnte ein Genuss sein nach dem, was jetzt vorbei ist. Die Dauerdebatten um ihre Dissertation, ihr Amt und die Spekulation, sie könne zu einer Belastung für Angela Merkel werden.
Seit Samstag ist klar, dass die Karriere der 57-jährigen CDU-Politikerin ein vorläufiges Ende erreicht hat. Sie wird trotzdem Wahlkampf machen. Sie wird ihren Wahlkreis Ulm weiter im Bundestag vertreten wollen. Aber die Plagiatsvorwürfe, die Aberkennung des Doktortitels und der juristische Kampf dagegen haben dazu geführt, dass das meiste vorbei ist. Und das wird sich wie eine Vollbremsung anfühlen. So nüchtern die baldige Ministerin a. D. oft wirkt, so leidenschaftlich hat sie sich seit Jugendtagen in die Politik gestürzt.

Annette Schavan und Kanzlerin Merkel nach der Pressekonferenz am vergangenen Samstag, auf der Schavan ihren Rücktritt vom Amt der Bildungsministerin erklärte.
Die Karriere, die nun mit einem Rücktritt als Bundesministerin endet, begann in den Siebzigerjahren in der Rolle der Klassen- und Schülersprecherin des Neusser Nelly-Sachs-Gymnasiums. Die junge Schavan wehrte sich gegen die Schließung ihrer Schule, sie engagierte sich bald in der Jungen Union und im Rat der Stadt. Und sie erlebte sehr früh, was das in der Altherrenpartei CDU bedeutet. Sie stieß auf Widerstände und musste sich unentwegt gegen Abfälligkeiten, Lästereien, auch Gemeinheiten behaupten. So gesehen lernte sie schon in den Siebziger- und Achtzigerjahren, was sich Angela Merkel in den Neunzigerjahren in der westdeutsch-geprägten CDU aneignen musste: eine dicke Haut gegen Anwürfe der Widersacher.
Am schmerzvollsten ist das womöglich gar nicht jetzt, nicht nach diesem Rücktritt. Am schmerzvollsten musste Schavan das im Herbst 2004 erleben. Damals hatte sie es gewagt, gegen die alten, vermeintlich ewig geltenden Nachfolgeregeln der CDU Baden-Württembergs zu verstoßen. Als Erwin Teufel seinen Rückzug ankündigte, warf sie ihren Hut in den Ring und erzwang einen Mitgliederentscheid gegen Günther Oettinger, den Fraktionschef. Ihre Niederlage war erträglich, sie errang fast 40 Prozent der Stimmen. Unerträglich waren die Gerüchte und Anfeindungen, die ihr sehr zusetzten. So hatten Gegner vor der Abstimmung lanciert, sie habe eine lesbische Beziehung - und nutzten das als vermeintlichen Beleg dafür, dass sie für das Amt nicht infrage komme. Am Abend der Niederlage saß sie im Auto, fuhr nach Hause und weinte ob der Niedertracht. Bis sie sich schwor, niemals klein beizugeben. Ein Grundgefühl, das man kennt. Man kennt es bei Angela Merkel.
Wenn Schavan am kommenden Donnerstag ihre Entlassungsurkunde in Händen halten wird, dann hat sie 17 Jahre als Ministerin hinter sich. Bevor sie 2005 Ministerin für Bildung und Forschung in Berlin wurde, war sie zehn Jahre Kultusministerin in Baden-Württemberg. Dorthin hatte Erwin Teufel sie geholt, nachdem Christian Wulff, damals junger Oppositionsführer in Hannover, sie schon 1994 in sein Schattenkabinett berufen hatte. Schavan galt zu der Zeit als unkonventionell und intellektuell. Teufel holte sie auch gegen Widerstände in der eigenen Landtagsfraktion, weil er frische Ideen und ein frisches Gesicht in seinem Kabinett haben wollte. Schavan revanchierte sich mit vielen Initiativen. Unter ihrer Regie führte Baden-Württemberg im Südwesten als erstes Bundesland einen Fremdsprachenunterricht in Grundschulen ein, später das auf acht Jahre verkürzte Abitur. Während Ersteres ihr Lob einbringt, ist Letzteres bis heute umstritten und wird mancherorts wieder zurückgenommen. Trotz aufkommender Kritik an manchen ihrer Vorschläge rückte Schavan zur profiliertesten Bildungspolitikerin der CDU auf.
Parallel stieg sie in der Partei auf. In den Neunzigerjahren engagiert sie sich in der CDU-Grundsatzkommission. Nachdem Wolfgang Schäuble 1998 Parteichef wurde, holte er sich zwei Frauen an seine Seite: Er machte Angela Merkel zu seiner Generalsekretärin und Schavan zu seiner Stellvertreterin. Die beiden rückten zur selben Zeit nach vorne. Als der Spendenskandal Anfang 2000 auch Schäuble zum Rücktritt zwang, wurde Schavan zur zentralen Mitstreiterin Merkels in der Parteispitze. Nicht selten war es die westdeutsche Katholikin Schavan, die der ostdeutschen Protestantin Merkel erläuterte, was die CDU Kohl"scher Prägung eigentlich ausmachte.
Den Job ihres Lebens bekam Schavan 2005: Sie wurde in der großen Koalition Ministerin für Bildung und Forschung. Anders als in Baden-Württemberg stürmte sie nicht in das Amt, sondern betrat es leise - und wurde neben der wild wirbelnden Ursula von der Leyen bald kritisiert als zu still, zu zurückhaltend, zu arm an Provokationen. Da war etwas dran, doch gleichzeitig kämpfte sie auch mit objektiven Problemen. Die Föderalismusreform, für die sie einst selbst stritt, band ihr nun bei der Bildung die Hände. Und der Anstieg der Forschungsausgaben wurde zwar gelobt, war aber so unstrittig, dass daraus keine großen Schlagzeilen wurden.
Erst in der zweiten Amtszeit wagte Schavan die Konfrontation. Sie stritt vehement für mehr Bildungskompetenzen des Bundes, stellte die Zukunft von Hauptschulen infrage und erlebte 2011 einen Sommer des Missvergnügens, weil die CDU-Länderfürsten aus Angst um ihre Macht dagegenhielten. So bleibt die Bilanz gemischt: wenig bei der Bildung, viel Geld für die Forschung und ein Ringen um eine bessere Ausstattung der Hochschulen.
In einer ruhigen Minute hat Schavan mal gesagt, dass es schön wäre, wenn sie irgendwann selbst entscheiden könnte, wann sie aufhört. Diese Hoffnung ist unerfüllt geblieben. Stefan Braun