Obama ist kein Gefühlsmensch. Aber er weiß, wie man mit Gefühlen Politik macht - und den Gegner in die Ecke stellt.
Barack Obama hat bereits 54 Minuten gesprochen, als jener Satz fällt, der von dieser Rede zur Lage der Nation in Erinnerung bleiben wird: 'Sie haben eine Abstimmung verdient.' Obama sagt es einmal, er sagt es zweimal und ein drittes Mal. 'Sie haben eine Abstimmung verdient.' Sie - das sind Nate und Cleo Pendleton, Eltern aus Obamas Heimatstadt Chicago, die der Präsident nach Washington eingeladen hat, um seine Rede anzuhören. Die Abstimmung, die Obama einfordert, ist ein Votum des Parlaments über seine Vorschläge zur Verschärfung der Waffengesetze, die im Kongress bisher auf wenig Gegenliebe stoßen. Und verdient haben sich Nate und Cleo Pendleton diese Abstimmung auf die denkbar furchtbarste Weise: Vor zwei Wochen wurde ihre Tochter Hadiya erschossen.
Am Mittwoch hielt der wiedergewählte US-Präsident Barack Obama seine erste Rede zur Lage der Nation seit seiner erneuten Amtseinführung.
Die 15-Jährige wurde bei einem Gefecht zwischen Gangmitgliedern von einer Kugel in den Rücken getroffen. In Amerikas Städten ist das Alltag. Wäre Hadiya nicht zufällig ein paar Tage vor ihrem Tod mit ihrer Schulkapelle bei Obamas Amtseinführungsfeier in Washington aufgetreten, sie wäre vermutlich eine Ziffer in der Statistik geblieben, das 42.Mordopfer in einem besonders blutigen Januar in Chicago. Stattdessen war Hadiya am Dienstag einer der vielen tragischen Gründe, die Obama anführte, um seine Forderung nach härteren Waffengesetzen zu untermauern. 'Die Familien von Newtown haben eine Abstimmung verdient', sagte er. 'Die Familien von Aurora haben eine Abstimmung verdient.' Die Familien in 'zahllosen anderen Orten, die durch Schusswaffengewalt zerrissen wurden - sie haben eine einfache Anstimmung verdient'.
Barack Obama ist kein Gefühlsmensch. Aber er weiß, wie man mit Gefühlen Politik macht. Die Redepassage über das tote Mädchen war anrührend - vor allem jedoch sollte sie Schuldgefühle bei jenen Parlamentariern wecken, die sich bisher gegen Obamas Vorschläge sperren. Zwar will der Präsident die Waffengesetze ohnehin nur moderat verschärfen: Der Verkauf bestimmter Sturmgewehre und übergroßer Magazine soll verboten werden, Waffenkäufer sollen sich künftig ausnahmslos überprüfen lassen müssen. Doch selbst dagegen regt sich im Kongress Widerstand. Viele Republikaner lehnen jegliche Verschärfung der Waffengesetze ab. Aber auch etliche Demokraten aus ländlichen, konservativen Bundesstaaten fürchten um ihre Wiederwahl in zwei Jahren, sollten sie der Waffenlobby in die Quere kommen.
Der Präsident, so viel hat er in der Rede klargemacht, will nicht zulassen, dass der Kongress die Sache aussitzt. Und er hat seine Gegner herausgefordert: Wagt es nur, gegen meine Vorschläge zu stimmen.
Die Verschärfung der Waffengesetze war aber beileibe nicht das einzige Vorhaben in Obamas Rede, dessen Chancen im Kongress eher dürftig sind, wo die Republikaner immer noch das Repräsentantenhaus beherrschen. Sollte, so bemerkte ein Kommentator der Washington Post nach der Ansprache, all das umgesetzt werden, was Obama soeben vorgeschlagen habe, 'Amerika wäre ein spürbar anderes Land'. Genau das strebt Obama vielleicht an, genau davor graust es aber den Republikanern. Für Überparteilichkeit und Kompromisse bleibt da wenig Raum.
Das gilt für Obamas Forderung, den gesetzlichen Mindestlohn von 7,25 auf 9 Dollar pro Stunde anzuheben. Es gilt für die Forderung, die Regierung solle jedem Kleinkind eine Vorschulbildung finanzieren. Es gilt für die Forderung, einen großen Batzen Geld aus der Staatskasse in die Sanierung von maroden Stadtteilen, Straßen und Brücken zu stecken. Und es gilt vor allem für Obamas nonchalanten Vorschlag, Amerikas Defizit- und Schuldenproblem durch das Stopfen von Steuerschlupflöchern für Besserverdiener zu lösen, nicht - wie die Republikaner fordern - durch echte Kürzungen bei Sozialleistungen.
Auch Obamas Mahnung, der Kongress solle sich doch endlich auf ein Gesetz einigen, das den Ausstoß von Treibhausgasen begrenze und einen Handel mit Emissionsrechten ermögliche, wird wohl nur das bleiben- eine Mahnung. Eine Mehrheit im Parlament für ein solches Gesetz ist nicht absehbar. Sollte Obama es mit dem wiederentdeckten Kampf gegen die Erderwärmung ernst meinen, wird er seine Drohung wahr machen und den Ausstoß von Kohlendioxid per Vorschrift von der Bundesumweltbehörde EPA reduzieren lassen müssen. Dem politischen Klima in Washington wird das aber nicht guttun.
Dass Obama überhaupt mit so großem Selbstbewusstsein Vorschläge vortrug, die auf großen Widerstand stoßen werden, hat wiederum mit politischer Berechnung zu tun. Obama glaubt fest daran, sein Wahlsieg beweise, dass die Mehrheit der Amerikaner seine Philosophie von der Rolle der Regierung in der Gesellschaft teile. Anders als die Republikaner, die 'die Regierung' stets als übergriffige Krake denunzieren, die jede individuelle Initiative abwürge, sieht Obama 'den Staat' als Garanten dafür, dass auch die Schwachen eine Chance bekommen. Zudem ist Obama davon überzeugt, dass Amerika nach zehn Jahren Krieg in Irak und Afghanistan anfangen muss, die Probleme daheim anzupacken. Entsprechend groß war die Rolle, die er in seiner Rede der Regierung bei der Lösung der Probleme zuschrieb, die Amerika plagen - sei es die bröselnde Infrastruktur, die schlechte Ausbildung vieler Menschen, die Ungleichheit bei der Bezahlung von Frauen und Männern.
Das einzige große Vorhaben, das Obama in der Rede darlegte und das in absehbarer Zeit Gesetz werden könnte, ist die Reform der Einwanderungsgesetze. Die verbale Hetze gegen illegale Einwanderer, die sich die Republikaner jahrelang geleistet haben, war ein wichtiger Grund für Obamas Wahlsieg im November. Diesen Mühlstein wollen sich viele vernünftige Republikaner vom Hals schaffen. Eine Reform, die illegalen Immigranten irgendeine Möglichkeit gibt, im Land zu bleiben und die US-Staatsbürgerschaft zu erwerben, während gleichzeitig die Grenze zu Mexiko besser gesichert wird, ist daher wahrscheinlich.
Die politischen Lorbeeren dieser Reform wird freilich (nicht zu Unrecht) Barack Obama zu ernten wissen. Schließlich war er es, der am Dienstag dem Kongress die Leviten las: 'Let"s get it done.'
Barack Obama hat bereits 54 Minuten gesprochen, als jener Satz fällt, der von dieser Rede zur Lage der Nation in Erinnerung bleiben wird: 'Sie haben eine Abstimmung verdient.' Obama sagt es einmal, er sagt es zweimal und ein drittes Mal. 'Sie haben eine Abstimmung verdient.' Sie - das sind Nate und Cleo Pendleton, Eltern aus Obamas Heimatstadt Chicago, die der Präsident nach Washington eingeladen hat, um seine Rede anzuhören. Die Abstimmung, die Obama einfordert, ist ein Votum des Parlaments über seine Vorschläge zur Verschärfung der Waffengesetze, die im Kongress bisher auf wenig Gegenliebe stoßen. Und verdient haben sich Nate und Cleo Pendleton diese Abstimmung auf die denkbar furchtbarste Weise: Vor zwei Wochen wurde ihre Tochter Hadiya erschossen.
Am Mittwoch hielt der wiedergewählte US-Präsident Barack Obama seine erste Rede zur Lage der Nation seit seiner erneuten Amtseinführung.
Die 15-Jährige wurde bei einem Gefecht zwischen Gangmitgliedern von einer Kugel in den Rücken getroffen. In Amerikas Städten ist das Alltag. Wäre Hadiya nicht zufällig ein paar Tage vor ihrem Tod mit ihrer Schulkapelle bei Obamas Amtseinführungsfeier in Washington aufgetreten, sie wäre vermutlich eine Ziffer in der Statistik geblieben, das 42.Mordopfer in einem besonders blutigen Januar in Chicago. Stattdessen war Hadiya am Dienstag einer der vielen tragischen Gründe, die Obama anführte, um seine Forderung nach härteren Waffengesetzen zu untermauern. 'Die Familien von Newtown haben eine Abstimmung verdient', sagte er. 'Die Familien von Aurora haben eine Abstimmung verdient.' Die Familien in 'zahllosen anderen Orten, die durch Schusswaffengewalt zerrissen wurden - sie haben eine einfache Anstimmung verdient'.
Barack Obama ist kein Gefühlsmensch. Aber er weiß, wie man mit Gefühlen Politik macht. Die Redepassage über das tote Mädchen war anrührend - vor allem jedoch sollte sie Schuldgefühle bei jenen Parlamentariern wecken, die sich bisher gegen Obamas Vorschläge sperren. Zwar will der Präsident die Waffengesetze ohnehin nur moderat verschärfen: Der Verkauf bestimmter Sturmgewehre und übergroßer Magazine soll verboten werden, Waffenkäufer sollen sich künftig ausnahmslos überprüfen lassen müssen. Doch selbst dagegen regt sich im Kongress Widerstand. Viele Republikaner lehnen jegliche Verschärfung der Waffengesetze ab. Aber auch etliche Demokraten aus ländlichen, konservativen Bundesstaaten fürchten um ihre Wiederwahl in zwei Jahren, sollten sie der Waffenlobby in die Quere kommen.
Der Präsident, so viel hat er in der Rede klargemacht, will nicht zulassen, dass der Kongress die Sache aussitzt. Und er hat seine Gegner herausgefordert: Wagt es nur, gegen meine Vorschläge zu stimmen.
Die Verschärfung der Waffengesetze war aber beileibe nicht das einzige Vorhaben in Obamas Rede, dessen Chancen im Kongress eher dürftig sind, wo die Republikaner immer noch das Repräsentantenhaus beherrschen. Sollte, so bemerkte ein Kommentator der Washington Post nach der Ansprache, all das umgesetzt werden, was Obama soeben vorgeschlagen habe, 'Amerika wäre ein spürbar anderes Land'. Genau das strebt Obama vielleicht an, genau davor graust es aber den Republikanern. Für Überparteilichkeit und Kompromisse bleibt da wenig Raum.
Das gilt für Obamas Forderung, den gesetzlichen Mindestlohn von 7,25 auf 9 Dollar pro Stunde anzuheben. Es gilt für die Forderung, die Regierung solle jedem Kleinkind eine Vorschulbildung finanzieren. Es gilt für die Forderung, einen großen Batzen Geld aus der Staatskasse in die Sanierung von maroden Stadtteilen, Straßen und Brücken zu stecken. Und es gilt vor allem für Obamas nonchalanten Vorschlag, Amerikas Defizit- und Schuldenproblem durch das Stopfen von Steuerschlupflöchern für Besserverdiener zu lösen, nicht - wie die Republikaner fordern - durch echte Kürzungen bei Sozialleistungen.
Auch Obamas Mahnung, der Kongress solle sich doch endlich auf ein Gesetz einigen, das den Ausstoß von Treibhausgasen begrenze und einen Handel mit Emissionsrechten ermögliche, wird wohl nur das bleiben- eine Mahnung. Eine Mehrheit im Parlament für ein solches Gesetz ist nicht absehbar. Sollte Obama es mit dem wiederentdeckten Kampf gegen die Erderwärmung ernst meinen, wird er seine Drohung wahr machen und den Ausstoß von Kohlendioxid per Vorschrift von der Bundesumweltbehörde EPA reduzieren lassen müssen. Dem politischen Klima in Washington wird das aber nicht guttun.
Dass Obama überhaupt mit so großem Selbstbewusstsein Vorschläge vortrug, die auf großen Widerstand stoßen werden, hat wiederum mit politischer Berechnung zu tun. Obama glaubt fest daran, sein Wahlsieg beweise, dass die Mehrheit der Amerikaner seine Philosophie von der Rolle der Regierung in der Gesellschaft teile. Anders als die Republikaner, die 'die Regierung' stets als übergriffige Krake denunzieren, die jede individuelle Initiative abwürge, sieht Obama 'den Staat' als Garanten dafür, dass auch die Schwachen eine Chance bekommen. Zudem ist Obama davon überzeugt, dass Amerika nach zehn Jahren Krieg in Irak und Afghanistan anfangen muss, die Probleme daheim anzupacken. Entsprechend groß war die Rolle, die er in seiner Rede der Regierung bei der Lösung der Probleme zuschrieb, die Amerika plagen - sei es die bröselnde Infrastruktur, die schlechte Ausbildung vieler Menschen, die Ungleichheit bei der Bezahlung von Frauen und Männern.
Das einzige große Vorhaben, das Obama in der Rede darlegte und das in absehbarer Zeit Gesetz werden könnte, ist die Reform der Einwanderungsgesetze. Die verbale Hetze gegen illegale Einwanderer, die sich die Republikaner jahrelang geleistet haben, war ein wichtiger Grund für Obamas Wahlsieg im November. Diesen Mühlstein wollen sich viele vernünftige Republikaner vom Hals schaffen. Eine Reform, die illegalen Immigranten irgendeine Möglichkeit gibt, im Land zu bleiben und die US-Staatsbürgerschaft zu erwerben, während gleichzeitig die Grenze zu Mexiko besser gesichert wird, ist daher wahrscheinlich.
Die politischen Lorbeeren dieser Reform wird freilich (nicht zu Unrecht) Barack Obama zu ernten wissen. Schließlich war er es, der am Dienstag dem Kongress die Leviten las: 'Let"s get it done.'