An der Goethe-Universität zeigt sich, wie unpolitisch Studenten geworden sind. Sie wollen Ausbildung nur noch konsumieren und nicht mehr mitgestalten.
iDaniel Katzenmaier knipst das Licht im großen Festsaal an um zu zeigen, wie viel Platz die Studenten in Frankfurt haben. Der Saal gehört zu einem der größten selbstverwalteten Studierendenhäuser der Republik. Die Amerikaner haben den Bau nach dem Krieg finanziert, damit die Studenten darin Demokratie üben konnten. Hier waren schon Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit aktiv, erzählt Katzenmaier, Asta-Vorsitzender. Doch jetzt wird es einsam um das alte Haus.
Die Goethe-Universität zieht um. Seit zwölf Jahren verschwindet ein Fachbereich nach dem anderen aus dem Stadtteil Bockenheim. Der alte Campus, wo Adorno und Horkheimer lehrten, wo Rudi Dutschke sprach und die Bewegung 68 stark wurde, ist für die Uni so gut wie tot. Übrig bleibt das Studierendenhaus, das in zwei Jahren nachkommen soll, und mit ihm der Asta, das Studierendenparlament und die 17 Hochschulgruppen. Sie sind eigentlich die politische Zentrale der Uni, doch wie der alte Campus verlieren sie ihre Anhängerschaft.
Höchstens 2000 von insgesamt knapp 44000 Studierenden in Frankfurt sind noch in Fachschaften, Hochschulgruppen und anderen Initiativen aktiv, schätzt Katzenmaier und gibt die Hauptschuld dem verkürzten Studium. Einige, die im Asta Verantwortung übernehmen, gelten bereits als Langzeitstudenten. Als irgendwie hängengeblieben - auf dem alten Campus und in der Hochschulpolitik. Die ist dem großen Rest ziemlich egal: An den Wahlen zum Studierendenparlament im Januar haben sich nur knapp 14 Prozent beteiligt.
In Frankfurt spürt man, was bundesweit Trend ist: Studenten interessieren sich nur noch wenig für Politik. In den vergangen 25 Jahren ist das Interesse an der Arbeit in politischen Gruppen an der Uni von 62 auf 43 Prozent gesunken. Das zeigt der Studierendensurvey, den Wissenschaftler der Uni Konstanz seit 1982 alle drei Jahre erheben. Nur noch etwa ein Drittel der Studenten bezeichnete sich darin zuletzt als stark am politischen Geschehen interessiert. Selbst demokratischen Prinzipien begegnen Studierende distanzierter: während sie diese in den 80er Jahren noch mit großer Mehrheit (71 Prozent) vehement und eindeutig verteidigt haben, tut das heute nicht mal die Hälfte (48 Prozent).
Letztes Aufbegehren: Das Institut für vergleichende Irrelevanz an der Frankfurter Uni wird bald geräumt. Damit verschwindet einer der letzten revolutionären Orte der Goethe-Universität.
'Den Studenten ist in den letzten zwanzig Jahren Politik abgewöhnt worden', sagt Tino Bargel, Mitautor der Studie. Sie würden mehr und mehr in die Kundenrolle gedrängt, konsumierten ihr Studium, anstatt es mitzugestalten. Früher kämpften Studenten für mehr Mitspracherecht, lehnten sich gegen autoritäre Professoren auf, von denen nicht wenige eine Nazi-Vergangenheit hatten. Heute sind Dozenten gesprächsbereit, serviceorientiert und geben keinen Anlass mehr zur Revolte.
Die Protestbereitschaft der einst so aufmüpfigen Studenten sei mit einer Art Mehltau belegt, sagt Bargel. Das gilt auch außerhalb der Uni: Politik ist gemäßigter und nach Meinung vieler sowie nicht beeinflussbar. Die Frage nach einer alternativen Gesellschaft stellt niemand mehr. Nur wenn Studenten ihre persönlichen Interessen betroffen sehen, bei Studiengebühren oder Hochschulreformen, kommt es vereinzelt zu Protesten. Eine Bewegung wächst daraus nicht.
In Frankfurt hat der Umzug zuletzt einige Mini-Proteste ausgelöst, mit wenigen hundert Studierenden. Einige befürchten, dass sie auf dem neuen Campus nicht genug Raum haben, den sie selbst verwalten dürfen, für eigene Seminare, Lerngruppen, Diskussionen und Partys.
Und sie trauern um den 'Turm', ein abrissreifes Hochhaus, das seit den 70er Jahren die Erziehungs- und die Gesellschaftswissenschaften beherbergt. Diese sollen im Frühjahr umziehen, der Turm wird dann abgerissen. 'Das wohl am häufigsten besetzte Uni-Gebäude Deutschlands', sagt Tanja Brühl, Vizepräsidentin der Uni. Die Studenten mussten nur die Fahrstühle blockieren um ganze Etagen zu okkupieren und dort alternative Seminare zu veranstalten. Der Turm ist zum Symbol für Kritische Theorie und für Proteste geworden. Er ist aber auch Inbegriff des Verfalls. Die Gebäude in Bockenheim sind so marode, dass es keine Alternative zum Umzug gab.
Auch für den Asta baut die Uni ein gleich großes Studierendenhaus. Sonst wird es wohl kaum vergleichbar mit dem alten, wo Sprüche aus schwarzem Edding die Wände überwuchern. Von Goethe: 'Wenn man alle Gesetze studieren wollte, so hätte man gar keine Zeit, sie zu übertreten.' Und selbst gedichtet: 'Politik statt Crêpes.'
Zwischen hier und dem neuen Campus liegen 30 Minuten Fußweg - und Welten. Das neue Hauptgebäude war früher Verwaltungszentrale des Chemiekonzerns I.G.-Farben. Es steht in dem kleinen Park wie eine Trutzburg aus gelben Kalksteinplatten. Zu herrschaftlich, sagen Kritiker. Dazu kommt die I.G.-Farben-Vergangenheit im Dritten Reich. Doch die Kritiker sind in der Minderheit.
'Die meisten Studierenden loben den neuen Campus als wunderschön', sagt Vizepräsidentin Brühl. Sie sind längst in Westend angekommen, in den modernen Gebäuden mit den klaren Linien und den sauberen Wänden. Nicht nur mit seinem Widerwillen beim Thema Umzug hat sich der Asta von der Mehrheit der Studenten entfernt. Polarisierte Positionen führten auch sonst dazu, dass sie sich nicht mit der gewählten Vertretung identifizieren, sagt Brühl. 'Manchmal scheint es so, als würden hier zwei Welten auseinanderdriften.'
Das Eckbüro von Axel Honneth, Professor für Philosophie und Direktor des Instituts für Sozialforschung (IfS), befindet sich im zweiten Stock des I.G.-Farben-Gebäudes. Es ist aufgeräumt und hell, keine Bücherstapel, kein Ohrensessel, nur die Pfeife, die Honneth stopft, erfüllt das Klischee eines Philosophieprofessors. Der 63-Jährige gilt als wichtigster noch lebender Vertreter der Frankfurter Schule, ist am IfS Nachfolger von Max Horkheimer, Theodor Adorno und Jürgen Habermas. Deren 'Kritische Theorie' inspirierte die Studentenbewegung und machte die Uni Frankfurt international bekannt. Horkheimer kritisierte die traditionelle Wissenschaft, die gesellschaftliche Strukturen als gegeben annahm und Herrschaft nicht kritisierte. Die Kritische Theorie dagegen wollte den einzelnen Menschen von jeder Art der Unterdrückung befreien.
Honneth begann sein Studium 1969 in Bonn. Die Studenten damals seien hochpolitisiert gewesen, erzählt er, wollten die Arbeiterklasse revolutionieren, die Welt verändern. Illusion. Utopie. So nennt Honneth das heute. Auch damals waren die Straßenkämpfer eine Minderheit. Doch jeder war gezwungen, zu dieser Bewegung Stellung zu nehmen. Man wurde einsortiert, links oder rechts, gut oder böse, auf der Straße und im Hörsaal.
Heute hat der Realismus Einzug gehalten in die Universität, die nicht mehr Lebensmittelpunkt ist, sondern schlicht Ausbildungsort. Viele Studenten wohnten länger bei den Eltern, sagt Honneth. Viele hätten Nebenjobs, die sie dem Campus fernhieten. Sie engagierten sich außerhalb der Uni in Theatergruppen, der Musikszene, sozialen Diensten. 'Das ist alles keine unpolitische Beschäftigung', sagt Honneth. Nur, dass Politik eine andere Gestalt angenommen habe. Die Studenten machten sich keine Illusionen mehr. Sie seien ernüchtert. Ihr Engagement beschreibt Honneth als 'Arbeit an kleinen Misslichkeiten und Ungerechtigkeiten'. Und die große Bewegung? Da zeichnet sich im Moment nichts ab, sagt Honneth. Eine Theorie reiche nicht, selbst wenn es eine kritische ist. 'Die Frage ist, ob so etwas noch einmal die Herzen und Gemüter bewegen kann.'
Einen Ort gibt es noch in Frankfurt, wo eine revolutionäre Idee die Gemüter bewegt. Oder es gab ihn, bis vergangenen Freitag. Da entschied das Frankfurter Landgericht, dass das 'Institut für vergleichende Irrelevanz' (Ivi), eines der letzten von Studenten besetzten Häuser, geräumt werden müsse. Geklagt hatte die Investmentgesellschaft Franconofurt, die das Gebäude vergangenes Jahr von der Uni gekauft hatte. Seither versucht sie die Studenten, die es seit knapp zehn Jahren nutzen, loszuwerden. Zum Prozess erschien von Ivi-Seite niemand, außer versteckt auf der Zuschauerbank. Die Klage war gegen eine 'Ivi-GbR' gerichtet, doch wer sich dahinter verbirgt, weiß niemand. Viele haben einen Schlüssel zum Ivi, kommen und gehen und verraten ihre Namen nicht.
Auch Sabine Winter und Oliver Sonnenschein heißen eigentlich anders. Wenige Wochen vor dem Urteil sitzen sie vor Heizstrahlern im größten Raum des Ivi und erzählen von ihrer Idee. Zweieinhalb abgerissene Stuhlreihen erinnern daran, dass dies einmal ein Hörsaal war. Jetzt veranstalten sie hier Seminare, Ausstellungen, Konzerte. Über alles stimmen sie basisdemokratisch ab. Ein gesellschaftliches Experiment. 'Hier findet ein riesiges Kulturangebot statt', sagt Winter. 'Es ist der interessante Ort der Stadt.' Sie verstehen sich als Opposition zur Uni, fordern mehr Lehrstühle für Kritische Theorie und selbstverwalten Raum für Studenten.
Was Selbstverwaltung aus einem Haus machen kann, zeigt sich im ersten Stock, in dem noch Besetzer wohnen: Die Bibliothek ist zerfleddert, Farbe blättert von der Decke. Dort stehen zusammengewürfelte Sessel, ein alter Fernseher, ein Keyboard - der 'rote Salon', sagt Winter. Oder: 'Adorno-Mausoleum'. Warum? 'Vielleicht weil es so vermodert gerochen hat.' Im Flur hängt eine mehrere Meter großen Stadtkarte von Frankfurt, darüber steht: '9. November 1918' - Novemberrevolution.
Am Abend nach dem Gerichtsurteil marschieren 400 Sympathisanten aus Protest zum neuen Campus, rufen 'Randale, Bambule, Frankfurter Schule!'. Am Samstag besetzen Einige ein neues Gebäude, das Sigmund Freud-Institut, das seit 2010 leer steht. Zumindest eine Woche lang wollen sie hier Workshops und Vorträge zu Marx, Adorno und zur Kritischen Theorie abhalten. Das Ivi werden sie nicht freiwillig aufgeben, sagt Oliver Sonnenschein, auch wenn sie sich von der Polizei hinaustragen zu lassen müssen.
Den meisten Frankfurter Studenten wäre das wohl egal. Viele seien genervt vom Ivi, erzählt Friedrich Lösener von der Hochschulgruppe 'Giraffen'. Weil das Ivi so viel Aufmerksamkeit bekomme, und weil da Leute wohnten, für die die Uni früher sogar Strom und Wasser gezahlt habe. Das Wohnproblem solle richtig gelöst werden, 'nicht so kommunenhaft', sagt der Jura-Student.
Die Giraffen stehen dafür, keiner politischen Linie zu folgen. Sie konzentrieren sich auf praktische Probleme im Studium, überfüllte Bibliotheken, Prüfungsstress, Hausarbeiten-Sammlungen. 'Wir wollen lösungsorientiert sein und uns nicht auf Ideale runterdiskutieren', sagt Lösener. Proteste gegen den Umzug findet er nicht lösungsorientiert. Lösungsorientiert seien dagegen durchsichtige Plastiktüten, mit denen man Wertsachen trotz Taschenverbots in die Bibliothek mitnehmen könne. Mit solchen Ideen dürften die Giraffen den Nerv vieler Studenten treffen. Trotzdem haben sie im Studierendenparlament nicht die Mehrheit. Vielleicht ist das nur folgerichtig: Studenten, die vor allem durchsichtige Plastiktüten haben wollen, gehen wohl gar nicht erst wählen.
iDaniel Katzenmaier knipst das Licht im großen Festsaal an um zu zeigen, wie viel Platz die Studenten in Frankfurt haben. Der Saal gehört zu einem der größten selbstverwalteten Studierendenhäuser der Republik. Die Amerikaner haben den Bau nach dem Krieg finanziert, damit die Studenten darin Demokratie üben konnten. Hier waren schon Joschka Fischer und Daniel Cohn-Bendit aktiv, erzählt Katzenmaier, Asta-Vorsitzender. Doch jetzt wird es einsam um das alte Haus.
Die Goethe-Universität zieht um. Seit zwölf Jahren verschwindet ein Fachbereich nach dem anderen aus dem Stadtteil Bockenheim. Der alte Campus, wo Adorno und Horkheimer lehrten, wo Rudi Dutschke sprach und die Bewegung 68 stark wurde, ist für die Uni so gut wie tot. Übrig bleibt das Studierendenhaus, das in zwei Jahren nachkommen soll, und mit ihm der Asta, das Studierendenparlament und die 17 Hochschulgruppen. Sie sind eigentlich die politische Zentrale der Uni, doch wie der alte Campus verlieren sie ihre Anhängerschaft.
Höchstens 2000 von insgesamt knapp 44000 Studierenden in Frankfurt sind noch in Fachschaften, Hochschulgruppen und anderen Initiativen aktiv, schätzt Katzenmaier und gibt die Hauptschuld dem verkürzten Studium. Einige, die im Asta Verantwortung übernehmen, gelten bereits als Langzeitstudenten. Als irgendwie hängengeblieben - auf dem alten Campus und in der Hochschulpolitik. Die ist dem großen Rest ziemlich egal: An den Wahlen zum Studierendenparlament im Januar haben sich nur knapp 14 Prozent beteiligt.
In Frankfurt spürt man, was bundesweit Trend ist: Studenten interessieren sich nur noch wenig für Politik. In den vergangen 25 Jahren ist das Interesse an der Arbeit in politischen Gruppen an der Uni von 62 auf 43 Prozent gesunken. Das zeigt der Studierendensurvey, den Wissenschaftler der Uni Konstanz seit 1982 alle drei Jahre erheben. Nur noch etwa ein Drittel der Studenten bezeichnete sich darin zuletzt als stark am politischen Geschehen interessiert. Selbst demokratischen Prinzipien begegnen Studierende distanzierter: während sie diese in den 80er Jahren noch mit großer Mehrheit (71 Prozent) vehement und eindeutig verteidigt haben, tut das heute nicht mal die Hälfte (48 Prozent).
Letztes Aufbegehren: Das Institut für vergleichende Irrelevanz an der Frankfurter Uni wird bald geräumt. Damit verschwindet einer der letzten revolutionären Orte der Goethe-Universität.
'Den Studenten ist in den letzten zwanzig Jahren Politik abgewöhnt worden', sagt Tino Bargel, Mitautor der Studie. Sie würden mehr und mehr in die Kundenrolle gedrängt, konsumierten ihr Studium, anstatt es mitzugestalten. Früher kämpften Studenten für mehr Mitspracherecht, lehnten sich gegen autoritäre Professoren auf, von denen nicht wenige eine Nazi-Vergangenheit hatten. Heute sind Dozenten gesprächsbereit, serviceorientiert und geben keinen Anlass mehr zur Revolte.
Die Protestbereitschaft der einst so aufmüpfigen Studenten sei mit einer Art Mehltau belegt, sagt Bargel. Das gilt auch außerhalb der Uni: Politik ist gemäßigter und nach Meinung vieler sowie nicht beeinflussbar. Die Frage nach einer alternativen Gesellschaft stellt niemand mehr. Nur wenn Studenten ihre persönlichen Interessen betroffen sehen, bei Studiengebühren oder Hochschulreformen, kommt es vereinzelt zu Protesten. Eine Bewegung wächst daraus nicht.
In Frankfurt hat der Umzug zuletzt einige Mini-Proteste ausgelöst, mit wenigen hundert Studierenden. Einige befürchten, dass sie auf dem neuen Campus nicht genug Raum haben, den sie selbst verwalten dürfen, für eigene Seminare, Lerngruppen, Diskussionen und Partys.
Und sie trauern um den 'Turm', ein abrissreifes Hochhaus, das seit den 70er Jahren die Erziehungs- und die Gesellschaftswissenschaften beherbergt. Diese sollen im Frühjahr umziehen, der Turm wird dann abgerissen. 'Das wohl am häufigsten besetzte Uni-Gebäude Deutschlands', sagt Tanja Brühl, Vizepräsidentin der Uni. Die Studenten mussten nur die Fahrstühle blockieren um ganze Etagen zu okkupieren und dort alternative Seminare zu veranstalten. Der Turm ist zum Symbol für Kritische Theorie und für Proteste geworden. Er ist aber auch Inbegriff des Verfalls. Die Gebäude in Bockenheim sind so marode, dass es keine Alternative zum Umzug gab.
Auch für den Asta baut die Uni ein gleich großes Studierendenhaus. Sonst wird es wohl kaum vergleichbar mit dem alten, wo Sprüche aus schwarzem Edding die Wände überwuchern. Von Goethe: 'Wenn man alle Gesetze studieren wollte, so hätte man gar keine Zeit, sie zu übertreten.' Und selbst gedichtet: 'Politik statt Crêpes.'
Zwischen hier und dem neuen Campus liegen 30 Minuten Fußweg - und Welten. Das neue Hauptgebäude war früher Verwaltungszentrale des Chemiekonzerns I.G.-Farben. Es steht in dem kleinen Park wie eine Trutzburg aus gelben Kalksteinplatten. Zu herrschaftlich, sagen Kritiker. Dazu kommt die I.G.-Farben-Vergangenheit im Dritten Reich. Doch die Kritiker sind in der Minderheit.
'Die meisten Studierenden loben den neuen Campus als wunderschön', sagt Vizepräsidentin Brühl. Sie sind längst in Westend angekommen, in den modernen Gebäuden mit den klaren Linien und den sauberen Wänden. Nicht nur mit seinem Widerwillen beim Thema Umzug hat sich der Asta von der Mehrheit der Studenten entfernt. Polarisierte Positionen führten auch sonst dazu, dass sie sich nicht mit der gewählten Vertretung identifizieren, sagt Brühl. 'Manchmal scheint es so, als würden hier zwei Welten auseinanderdriften.'
Das Eckbüro von Axel Honneth, Professor für Philosophie und Direktor des Instituts für Sozialforschung (IfS), befindet sich im zweiten Stock des I.G.-Farben-Gebäudes. Es ist aufgeräumt und hell, keine Bücherstapel, kein Ohrensessel, nur die Pfeife, die Honneth stopft, erfüllt das Klischee eines Philosophieprofessors. Der 63-Jährige gilt als wichtigster noch lebender Vertreter der Frankfurter Schule, ist am IfS Nachfolger von Max Horkheimer, Theodor Adorno und Jürgen Habermas. Deren 'Kritische Theorie' inspirierte die Studentenbewegung und machte die Uni Frankfurt international bekannt. Horkheimer kritisierte die traditionelle Wissenschaft, die gesellschaftliche Strukturen als gegeben annahm und Herrschaft nicht kritisierte. Die Kritische Theorie dagegen wollte den einzelnen Menschen von jeder Art der Unterdrückung befreien.
Honneth begann sein Studium 1969 in Bonn. Die Studenten damals seien hochpolitisiert gewesen, erzählt er, wollten die Arbeiterklasse revolutionieren, die Welt verändern. Illusion. Utopie. So nennt Honneth das heute. Auch damals waren die Straßenkämpfer eine Minderheit. Doch jeder war gezwungen, zu dieser Bewegung Stellung zu nehmen. Man wurde einsortiert, links oder rechts, gut oder böse, auf der Straße und im Hörsaal.
Heute hat der Realismus Einzug gehalten in die Universität, die nicht mehr Lebensmittelpunkt ist, sondern schlicht Ausbildungsort. Viele Studenten wohnten länger bei den Eltern, sagt Honneth. Viele hätten Nebenjobs, die sie dem Campus fernhieten. Sie engagierten sich außerhalb der Uni in Theatergruppen, der Musikszene, sozialen Diensten. 'Das ist alles keine unpolitische Beschäftigung', sagt Honneth. Nur, dass Politik eine andere Gestalt angenommen habe. Die Studenten machten sich keine Illusionen mehr. Sie seien ernüchtert. Ihr Engagement beschreibt Honneth als 'Arbeit an kleinen Misslichkeiten und Ungerechtigkeiten'. Und die große Bewegung? Da zeichnet sich im Moment nichts ab, sagt Honneth. Eine Theorie reiche nicht, selbst wenn es eine kritische ist. 'Die Frage ist, ob so etwas noch einmal die Herzen und Gemüter bewegen kann.'
Einen Ort gibt es noch in Frankfurt, wo eine revolutionäre Idee die Gemüter bewegt. Oder es gab ihn, bis vergangenen Freitag. Da entschied das Frankfurter Landgericht, dass das 'Institut für vergleichende Irrelevanz' (Ivi), eines der letzten von Studenten besetzten Häuser, geräumt werden müsse. Geklagt hatte die Investmentgesellschaft Franconofurt, die das Gebäude vergangenes Jahr von der Uni gekauft hatte. Seither versucht sie die Studenten, die es seit knapp zehn Jahren nutzen, loszuwerden. Zum Prozess erschien von Ivi-Seite niemand, außer versteckt auf der Zuschauerbank. Die Klage war gegen eine 'Ivi-GbR' gerichtet, doch wer sich dahinter verbirgt, weiß niemand. Viele haben einen Schlüssel zum Ivi, kommen und gehen und verraten ihre Namen nicht.
Auch Sabine Winter und Oliver Sonnenschein heißen eigentlich anders. Wenige Wochen vor dem Urteil sitzen sie vor Heizstrahlern im größten Raum des Ivi und erzählen von ihrer Idee. Zweieinhalb abgerissene Stuhlreihen erinnern daran, dass dies einmal ein Hörsaal war. Jetzt veranstalten sie hier Seminare, Ausstellungen, Konzerte. Über alles stimmen sie basisdemokratisch ab. Ein gesellschaftliches Experiment. 'Hier findet ein riesiges Kulturangebot statt', sagt Winter. 'Es ist der interessante Ort der Stadt.' Sie verstehen sich als Opposition zur Uni, fordern mehr Lehrstühle für Kritische Theorie und selbstverwalten Raum für Studenten.
Was Selbstverwaltung aus einem Haus machen kann, zeigt sich im ersten Stock, in dem noch Besetzer wohnen: Die Bibliothek ist zerfleddert, Farbe blättert von der Decke. Dort stehen zusammengewürfelte Sessel, ein alter Fernseher, ein Keyboard - der 'rote Salon', sagt Winter. Oder: 'Adorno-Mausoleum'. Warum? 'Vielleicht weil es so vermodert gerochen hat.' Im Flur hängt eine mehrere Meter großen Stadtkarte von Frankfurt, darüber steht: '9. November 1918' - Novemberrevolution.
Am Abend nach dem Gerichtsurteil marschieren 400 Sympathisanten aus Protest zum neuen Campus, rufen 'Randale, Bambule, Frankfurter Schule!'. Am Samstag besetzen Einige ein neues Gebäude, das Sigmund Freud-Institut, das seit 2010 leer steht. Zumindest eine Woche lang wollen sie hier Workshops und Vorträge zu Marx, Adorno und zur Kritischen Theorie abhalten. Das Ivi werden sie nicht freiwillig aufgeben, sagt Oliver Sonnenschein, auch wenn sie sich von der Polizei hinaustragen zu lassen müssen.
Den meisten Frankfurter Studenten wäre das wohl egal. Viele seien genervt vom Ivi, erzählt Friedrich Lösener von der Hochschulgruppe 'Giraffen'. Weil das Ivi so viel Aufmerksamkeit bekomme, und weil da Leute wohnten, für die die Uni früher sogar Strom und Wasser gezahlt habe. Das Wohnproblem solle richtig gelöst werden, 'nicht so kommunenhaft', sagt der Jura-Student.
Die Giraffen stehen dafür, keiner politischen Linie zu folgen. Sie konzentrieren sich auf praktische Probleme im Studium, überfüllte Bibliotheken, Prüfungsstress, Hausarbeiten-Sammlungen. 'Wir wollen lösungsorientiert sein und uns nicht auf Ideale runterdiskutieren', sagt Lösener. Proteste gegen den Umzug findet er nicht lösungsorientiert. Lösungsorientiert seien dagegen durchsichtige Plastiktüten, mit denen man Wertsachen trotz Taschenverbots in die Bibliothek mitnehmen könne. Mit solchen Ideen dürften die Giraffen den Nerv vieler Studenten treffen. Trotzdem haben sie im Studierendenparlament nicht die Mehrheit. Vielleicht ist das nur folgerichtig: Studenten, die vor allem durchsichtige Plastiktüten haben wollen, gehen wohl gar nicht erst wählen.