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Stadt ohne Pflanzen

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Firmen und Organisationen versuchen, mehr Grün in die 20-Millionen-Metropole Kairo zu bekommen. Doch die ägyptischen Behörden und die Muslimbrüder machen ihnen das Leben schwer.

Ein alter Städter erinnert sich wehmütig an seine Jugend als Bauer. Eine Frau macht dank des Gemüses einen Einkommenssprung von umgerechnet 20 Euro, immerhin ein Drittel von dem, was sie jetzt hat. Aber auch diesen Effekt hat 'Urban Farming' in Kairo: 'Eine arme Frau wollte sich unsere Dachgartenanlage nicht zulegen, weil sie Angst hatte, dass sie kein Geld mehr von Wohltätigkeitsorganisationen bekommt', sagt Scherif Hosni und fegt ein bisschen Staub vom Lollo Rosso.

'Urban Farming' in Kairo hat wenig zu tun mit vertikaler Architekturverschönerung und wertekonservativer Einkehr. Aber viel mit Überleben. Der Menschen. Und der Stadt. Scherif Hosni, Gründer der Firma 'Schaduf', steht beispielsweise jetzt zwischen Blumenkohl, Tomaten und Paprika, Erdbeeren, Petersilie, Basilikum und Lavendel. Und Saatar, einer arabischen Thymian-Art. Das alles wächst auf einem Hausdach, es ist nicht viel Platz, aber wo ist das schon in Kairo? Hier in Maadi, einem luftigen Kairoer Villen-Vorort, vielleicht noch am meisten. Aber in den Armenvierteln der Staat oder rund um den Tahrir-Platz ist ein Baum seltener als ein Restaurant mit Alkohollizenz. Hier steht die Luft. Wenn die Felder um Kairo abgebrannt werden. Wenn der Wind ungünstig steht. Wenn der Ruß aus Myriaden halbverendeter Busse, Autos, Mopeds und der Atem von 15, vielleicht 20 Millionen Menschen, dazu die Fabriken und die Küchenöfen der Stadt das letzte Sauerstoffpartikel entziehen. Dann wird der Dunst so dicht, dass man nicht von einem Nil-Ufer zum anderen sehen kann. In dieser Umgebung ist ein Lollo Rosso auf einem Dach mehr als Salat. Er ist eine Oase. Eine grüne Sensation. Ist Leben.



Kairos Farben sind Grau und Braun. "Urban Farming" soll Ägyptens Hauptstadt grüner machen.

25 Dachfarmen hat Hosnis 'Schaduf' in den vergangenen zwei Jahren installiert. Hosni bietet 'hydroponische Systeme' an, was in der Praxis ein durchlöchertes Abflussrohr ist, durch das Wasser fließt. In den Löchern wachsen die Pflanzen. Ohne Erde. 'Gute Erde ist in Ägypten teuer und schwer zu kriegen, man muss sie aufs Dach schleppen, man kriegt Schädlinge', setzt Hosni auseinander. 'Hydroponische Systeme' sparen Wasser. Und einige Salate wachsen schneller.

Es ist nicht so, dass 'Urban Farming' in der ägyptischen Hauptstadt ganz neu wäre, wie auch in einer Stadt, in der mancherorts Hühner und Ziegen auf dem Dach leben wie auf dem Land? Sogar die Regierung hat mal Gemüse auf Häusern angebaut. Aber sie betreibt keine Nachsorge, sagt Hosni, sie hilft nicht bei der Vermarktung. Hosni sammelt das Gemüse ein und bringt es zum Markt. Die hydroponisch gezogenen Salate entsprechen zwar nicht deutschen Öko-Standards, sind aber deutlich pestizidfreier als vieles, was sonst auf den Straßen angeboten wird - und damit teurer.

Hosni, ein Ingenieur, der in Dubai arbeitete und in Amerika erstmals vom Urban Farming hörte, kam kurz nach dem Sturz Mubaraks vor zwei Jahren nach Ägypten und damit in ein politisches Klima, in dem viel über soziale Gerechtigkeit geredet wurde, aber die Armen rettungslos weiter verarmten. Mildtätigkeit, glaubt Hosni, sei dennoch das letzte, was Ägypten brauche. 20 Quadratmeter Dachgarten kosten umgerechnet 280 Euro, das ist für einige Menschen das Mehrfache eines Monatslohns. Sie finanzieren die Anlagen über Kredite von Nichtregierungsorganisationen. 'Ich halte nichts davon, etwas zu verschenken. Was umsonst ist, wird nicht geschätzt - und es macht die Menschen abhängig', sagt Hosni. Selbst die Unterprivilegierten sind für ihn 'Kunden'.

Eben deshalb kam auch eine Zusammenarbeit mit den Muslimbrüdern nicht zustande. Im Armenviertel Imbaba trat eine islamistische Initiative an Hosnis Firma heran - sie wollte die Dachgärten verschenken. Bevor sie an die Regierung kamen hatten die Muslimbrüder in vielen Elendsvierteln das Monopol auf außerstaatliche Wohlfahrt. Vielerorts haben sie es bis heute. Aber in den Augen ihrer Kritiker lindern sie die Armut gerade genug, um politische Loyalitäten zu schaffen - nicht, um das Elend abzuschaffen.

Das Ringen um eine schönere, lebenswertere Stadt ist ein Kampf. Hosni meidet ägyptische Medien, um nicht unnötig Aufmerksamkeit zu provozieren. Dabei führt er ein legales Unternehmen, keine unabhängige Initiative. Diese nämlich, die zahlreichen Nichtregierungsorganisationen soll ein geplantes NGO-Gesetz fortan noch strenger und bürokratischer kontrollieren, ihre politische Arbeit verhindern und der Zentralbank und dem Geheimdienst die Prüfung ausländischer Mittel für NGOs erlauben. Schon jetzt ist die Arbeit schwer genug. Mohammed Abdel Samad hätte mit seiner NGO 'Schagara' gern ebenfalls ein bisschen Stadtbegrünung betrieben. Er hat in einem Schießclub zufällig sogar mal Ministerpräsident Hischam Kandil getroffen und ihm davon erzählt. Den Durchbruch brachte das Gespräch jedoch nicht. In zwei Jahren hat Kandil 26 Bäume gepflanzt, einen vor seinem eigenen Haus. 'Die Bürokratie ist furchtbar', sagt er. Ein Restaurant am Nil wollte mit seiner Unterstützung Gemüse auf seinem Dach anbauen, um den Gästen Waren aus eigener Produktion zu bieten: 'Es wurde abgelehnt, weil das Beet die genehmigte Dachhöhe veränderte', sagt Samad.

'Eine NGO hat es tausendmal schwerer in Ägypten als ein Unternehmen', sagt Adam Molyneux-Berry, halb Brite, halb Ägypter und Mitgründer von 'Ice Cairo'. In einer staubigen Altbauwohnung in der Nähe des Tahrir-Platzes will 'Ice Cairo' eine Börse für Technologien, Programme, Ideen sein, um die Stadt, um das ganze Land lebenswerter zu machen: Biogas, Müllentsorgung, Solarenergie. Manchmal kommen dabei ziemlich schlichte Lösungen heraus, wie zum Beispiel Möbel aus Kisten. Aber Berry findet das gerade gut: 'Ich bin diese glitzernden Utopien über Kairo im Jahr 2020 leid. Wenn wir es hinkriegen, dass das Trinkwasser besser schmeckt, wären wir einen großen Schritt weiter.'

Oder, wenn auf ein paar mehr Dächern endlich Lollo Rosso wächst.

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