Computerspiele machen aggressiv und dumm? Nicht nur, argumentieren Forscher. In Zukunft sollen virtuelle Welten gezielt die Denkleistung und das Wohlbefinden verbessern.
Der 13. April 2009 wird wohl kaum Eingang in die Geschichtsbücher finden. Doch war es der Tag, an dem rund 15 Millionen Spieler des beliebten Computerspiels Halo3 in ihren Foren einen großen Erfolg feierten: An diesem Tag hatten die Gamer virtuell zehn Milliarden feindliche Aliens der 'Covenant-Allianz' erschossen. Es war das Ergebnis von 565 Tagen intensiver Tötungsarbeit mit durchschnittlich 17,5 Millionen Kills pro Tag.
In Zukunft sollen Computerspiele Denkleistung und Wohlbefinden verbessern.
'Diese zehn Milliarden Kills sind keine Leistung, die zufällig von der spielenden Masse erbracht wurden', schreibt die Buchautorin Jane McGonigal. 'Die Halo-Spieler arbeiteten kollektiv und konsequent auf dieses Ziel hin.' Sie kooperierten, tauschten Tipps, halfen sich, schwärmt McGonigal. Die Konsolen-Killer hätten sich an diesem Tag als 'Teil von etwas Größerem' wahrnehmen können, das ihrem Leben Sinn und Bedeutung verleiht. 'Wir haben all das mit nur ein paar Millionen Gamern geschafft', zitiert McGonigal zustimmend einen Spieler: 'Stellt euch mal vor, was wir mit der geballten Kraft von sechs Milliarden Menschen ausrichten könnten!!'
So liest sich eine Schlüsselstelle des vor kurzem auch auf Deutsch erschienenen Buches von Jane McGonigal 'Besser als die Wirklichkeit! Warum wir von Computerspielen profitieren und wie sie die Welt verändern' (Heyne, 2012). In diesem plädiert die Spieleentwicklerin und Forschungsleiterin am Institute for the Future (IFTF) im kalifornischen Palo Alto dafür, die Kreativität und das Engagement der Bewohner des Cyberspace zu nutzen, um die weniger vollkommene reale Welt zu verbessern, etwa 'um die globale Lebensqualität zu steigern, uns auf die Zukunft vorzubereiten und den Fortbestand der Erde für das nächste Jahrtausend und darüber hinaus zu sichern.'
Intuitiv möchte man dies belächeln, gäbe es nicht Indizien, dass auch nüchtere Wissenschaftlern derzeit ihre Haltung zu Computerspielen ändert. Einst fragten sie fast ausschließlich, wie Computerspiele schaden könnten. Mittlerweile erkunden sie auch, wie die Spiele Menschen und ihre Welt verbessern könnten.
Als ein Manifest dieses Trends lässt sich ein Kommentar lesen, den die Neurowissenschaftler Daphne Bavelier von den Universitäten Rochester und Genf, sowie Richard Davidson von der University of Wisconsin in der aktuellen Ausgabe des führenden Wissenschaftsmagazins Nature (Bd. 494, S.425, 2013) publizieren. Es genüge nicht, wenn Forscher immer nur erkunden, was Computerspiele in jugendlichen Gehirnen Schlimmes anrichten, schreiben die beiden Forscher. Die Gelehrten 'sollten helfen, überzeugende Computerspiele zu entwickeln, die die Hirnfunktionen verbessern und das Wohlbefinden fördern.'
Schon die Zahlen sprächen dafür, argumentieren Bavelier und Davidson und verweisen trocken auf die Tatsache, dass die Jugend dieses Planeten allein im Monat nach dem Verkaufsstart des Egoshooters Call of Duty: Black Ops insgesamt 68000 Mannjahre mit dem Spiel verbrachten. 'Das Spielen wird uns bleiben', folgern Bavelier und Davidson und fordern deshalb - ähnlich wie Jane McGonigal - 'die Liebe der Menschen für den Bildschirm in solche Bahnen zu lenken, dass sich positive Effekte für Gehirn und Verhalten ergeben'.
Bavelier verweist unter anderem auf eigene Studien, wonach sogar die zweifellos brutalen Ego-Shooter zumindest die visuellen Fähigkeiten der Spieler steigern: Junge Erwachsene, die acht bis zehn Wochen jeweils für fünf Tage eine Stunde lang Scharfschütze spielten, konnten danach mehr Details im einem visuellen Durcheinander ausmachen und besser zwischen verschiedenen Schattierungen von Grau unterscheiden. Andere Versuchspersonen konnten bereits nach zehn Stunden Verfolgungsjagd durch virtuelle Labyrinthe Gegenstände im Geist besser rotieren lassen. Die Trainingseffekte waren noch nach sechs Monaten nachweisbar. Und sie scheinen tatsächlich von Nutzen zu sein, nicht nur für Fluglotsen und Piloten. So erschien in dieser Woche eine Studie italienischer Forscher um Domenico Giannotti von der Universität Rom, die nachweist, dass junge Chirurgen in der Ausbildung ihre Leistungen bei einer Bauchspiegelung deutlich verbesserten, nachdem sie vier Wochen lang regelmäßig unter anderem Tischtennis mit der Spielkonsole Wii gespielt hatten (Plos One, Bd.8, e57372, 2013).
Mögen solche Resultate noch erwartbar sein, erstaunt doch, was ein Team um Andrea Facoetti in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Current Biology (online) berichtet. Die Entwicklungspsychologen ließen legasthenische Kinder insgesamt zwölf Stunden lang das skurrile Actionspiel Rayman Raving Rabbids spielen, bei dem unter anderem mit Klopümpeln eine Invasion niederträchtiger Hasen abgewehrt werden muss. Danach zeigten die Probanden in Lesetests mehr Fortschritte als sie mit einer anstrengenden Lesetherapie oder in einem Jahr spontaner Leseentwicklung erreicht hätten. Kein Zauberwerk, meint Facoetti: 'In Actionspielen lernt man, mehr Informationen aus der Umwelt zu extrahieren' - genau das helfe bei Legasthenie.
Derzeit häufen sich Berichte über mögliche positive Effekte von Computerspielen, resümieren Bavelier und Davidson: Im Spiel Sparx können depressive Jugendliche in einer Fantasiewelt gegen schwarze Gedanken kämpfen; in Re-Mission sprengen junge Krebspatienten virtuelle Tumorzellen in die Luft und beseitigen Nebenwirkungen - das soll sie motivieren, bei der Therapie besser mitzumachen.
Insbesondere Richard Davidson - berühmt durch seine Meditationsforschung an tibetanischen Mönchen - setzt mittlerweile auch auf Computerspiele: Wenn das meditative Training des Geistes, wie man heute weiß, das plastische Gehirn verändern kann, wieso sollte das nicht auch durch das aktive Training am Computer möglich sein? Er verweist auf eine Studie von Tobias Greitemeyer und Sabine Osswald im Journal of Experimental Social Psychology aus dem Jahre 2010: Diese zeige, dass Probanden sehr viel mehr Hilfsbereitschaft und Zivilcourage zeigten, wenn sie zuvor prosoziale Spiele wie etwa Lemmings gespielt hatten, bei dem man die kleinen Nagetiere retten muss. Unter anderem griffen sie eher ein, wenn eine Versuchsleiterin von einem vermeintlichen Ex-Freund belästigt wurde.
Die Folgerung liegt nahe: Wenn bereits ganz normale Spiele so erfolgreich sind, was wäre da wohl möglich, wenn man mit wissenschaftlicher Expertise gezielt Spiele für Training und Therapie entwickeln würde? Aus diesem Grund plädieren Daphne Bavelier und Richard Davidson in ihrem Nature-Kommentar für eine überlegte Strategie: Spieledesigner und Neurowissenschaftler sollten gezielt zusammenarbeiten, um die Auswirkungen unterschiedlicher Spiele auf das Gehirn zu erforschen. Dabei müssten die Forscher ihre Scheu vor der Spieleindustrie verlieren und in den Unternehmen selbst mitarbeiten. Und die Entwickler therapeutischer Spiele müssten ähnlich wie im pharmakologischen Bereich Routinen entwickeln, wie man ihre Produkte testet und auf den Markt bringt. Denn trotz der neuen Begeisterung für die guten Spiele dürfe man nicht die bekannten Nebenwirkung übermäßigen Computerspielkonsums ignorieren: gesteigerte Aggressivität, Aufmerksamkeitsstörungen und all die anderen Nachteile der am Bildschirm vernichteten Lebenszeit.
Erst dann kann man vielleicht über die Utopien von Jane McGonigal nachdenken, die hofft, dass auch Halo3-Killer schon bald mithilfe neuer Online-Spiele Lösungen für den Hunger und den Weltfrieden suchen. Allerdings scheinen die Gamer im Moment noch ein kleines Werteproblem zu haben, wie die Autorin erstaunlich unbefangen in ihrem Buch notiert. Auf die Frage, was für ein Ziel man denn nun nach der Feier der zehn Milliarden Alien-Kills angehen soll, schreibt ein Spieler im Forum: 'Also, auf zu den hundert Milliarden!'
Der 13. April 2009 wird wohl kaum Eingang in die Geschichtsbücher finden. Doch war es der Tag, an dem rund 15 Millionen Spieler des beliebten Computerspiels Halo3 in ihren Foren einen großen Erfolg feierten: An diesem Tag hatten die Gamer virtuell zehn Milliarden feindliche Aliens der 'Covenant-Allianz' erschossen. Es war das Ergebnis von 565 Tagen intensiver Tötungsarbeit mit durchschnittlich 17,5 Millionen Kills pro Tag.
In Zukunft sollen Computerspiele Denkleistung und Wohlbefinden verbessern.
'Diese zehn Milliarden Kills sind keine Leistung, die zufällig von der spielenden Masse erbracht wurden', schreibt die Buchautorin Jane McGonigal. 'Die Halo-Spieler arbeiteten kollektiv und konsequent auf dieses Ziel hin.' Sie kooperierten, tauschten Tipps, halfen sich, schwärmt McGonigal. Die Konsolen-Killer hätten sich an diesem Tag als 'Teil von etwas Größerem' wahrnehmen können, das ihrem Leben Sinn und Bedeutung verleiht. 'Wir haben all das mit nur ein paar Millionen Gamern geschafft', zitiert McGonigal zustimmend einen Spieler: 'Stellt euch mal vor, was wir mit der geballten Kraft von sechs Milliarden Menschen ausrichten könnten!!'
So liest sich eine Schlüsselstelle des vor kurzem auch auf Deutsch erschienenen Buches von Jane McGonigal 'Besser als die Wirklichkeit! Warum wir von Computerspielen profitieren und wie sie die Welt verändern' (Heyne, 2012). In diesem plädiert die Spieleentwicklerin und Forschungsleiterin am Institute for the Future (IFTF) im kalifornischen Palo Alto dafür, die Kreativität und das Engagement der Bewohner des Cyberspace zu nutzen, um die weniger vollkommene reale Welt zu verbessern, etwa 'um die globale Lebensqualität zu steigern, uns auf die Zukunft vorzubereiten und den Fortbestand der Erde für das nächste Jahrtausend und darüber hinaus zu sichern.'
Intuitiv möchte man dies belächeln, gäbe es nicht Indizien, dass auch nüchtere Wissenschaftlern derzeit ihre Haltung zu Computerspielen ändert. Einst fragten sie fast ausschließlich, wie Computerspiele schaden könnten. Mittlerweile erkunden sie auch, wie die Spiele Menschen und ihre Welt verbessern könnten.
Als ein Manifest dieses Trends lässt sich ein Kommentar lesen, den die Neurowissenschaftler Daphne Bavelier von den Universitäten Rochester und Genf, sowie Richard Davidson von der University of Wisconsin in der aktuellen Ausgabe des führenden Wissenschaftsmagazins Nature (Bd. 494, S.425, 2013) publizieren. Es genüge nicht, wenn Forscher immer nur erkunden, was Computerspiele in jugendlichen Gehirnen Schlimmes anrichten, schreiben die beiden Forscher. Die Gelehrten 'sollten helfen, überzeugende Computerspiele zu entwickeln, die die Hirnfunktionen verbessern und das Wohlbefinden fördern.'
Schon die Zahlen sprächen dafür, argumentieren Bavelier und Davidson und verweisen trocken auf die Tatsache, dass die Jugend dieses Planeten allein im Monat nach dem Verkaufsstart des Egoshooters Call of Duty: Black Ops insgesamt 68000 Mannjahre mit dem Spiel verbrachten. 'Das Spielen wird uns bleiben', folgern Bavelier und Davidson und fordern deshalb - ähnlich wie Jane McGonigal - 'die Liebe der Menschen für den Bildschirm in solche Bahnen zu lenken, dass sich positive Effekte für Gehirn und Verhalten ergeben'.
Bavelier verweist unter anderem auf eigene Studien, wonach sogar die zweifellos brutalen Ego-Shooter zumindest die visuellen Fähigkeiten der Spieler steigern: Junge Erwachsene, die acht bis zehn Wochen jeweils für fünf Tage eine Stunde lang Scharfschütze spielten, konnten danach mehr Details im einem visuellen Durcheinander ausmachen und besser zwischen verschiedenen Schattierungen von Grau unterscheiden. Andere Versuchspersonen konnten bereits nach zehn Stunden Verfolgungsjagd durch virtuelle Labyrinthe Gegenstände im Geist besser rotieren lassen. Die Trainingseffekte waren noch nach sechs Monaten nachweisbar. Und sie scheinen tatsächlich von Nutzen zu sein, nicht nur für Fluglotsen und Piloten. So erschien in dieser Woche eine Studie italienischer Forscher um Domenico Giannotti von der Universität Rom, die nachweist, dass junge Chirurgen in der Ausbildung ihre Leistungen bei einer Bauchspiegelung deutlich verbesserten, nachdem sie vier Wochen lang regelmäßig unter anderem Tischtennis mit der Spielkonsole Wii gespielt hatten (Plos One, Bd.8, e57372, 2013).
Mögen solche Resultate noch erwartbar sein, erstaunt doch, was ein Team um Andrea Facoetti in der aktuellen Ausgabe des Fachmagazins Current Biology (online) berichtet. Die Entwicklungspsychologen ließen legasthenische Kinder insgesamt zwölf Stunden lang das skurrile Actionspiel Rayman Raving Rabbids spielen, bei dem unter anderem mit Klopümpeln eine Invasion niederträchtiger Hasen abgewehrt werden muss. Danach zeigten die Probanden in Lesetests mehr Fortschritte als sie mit einer anstrengenden Lesetherapie oder in einem Jahr spontaner Leseentwicklung erreicht hätten. Kein Zauberwerk, meint Facoetti: 'In Actionspielen lernt man, mehr Informationen aus der Umwelt zu extrahieren' - genau das helfe bei Legasthenie.
Derzeit häufen sich Berichte über mögliche positive Effekte von Computerspielen, resümieren Bavelier und Davidson: Im Spiel Sparx können depressive Jugendliche in einer Fantasiewelt gegen schwarze Gedanken kämpfen; in Re-Mission sprengen junge Krebspatienten virtuelle Tumorzellen in die Luft und beseitigen Nebenwirkungen - das soll sie motivieren, bei der Therapie besser mitzumachen.
Insbesondere Richard Davidson - berühmt durch seine Meditationsforschung an tibetanischen Mönchen - setzt mittlerweile auch auf Computerspiele: Wenn das meditative Training des Geistes, wie man heute weiß, das plastische Gehirn verändern kann, wieso sollte das nicht auch durch das aktive Training am Computer möglich sein? Er verweist auf eine Studie von Tobias Greitemeyer und Sabine Osswald im Journal of Experimental Social Psychology aus dem Jahre 2010: Diese zeige, dass Probanden sehr viel mehr Hilfsbereitschaft und Zivilcourage zeigten, wenn sie zuvor prosoziale Spiele wie etwa Lemmings gespielt hatten, bei dem man die kleinen Nagetiere retten muss. Unter anderem griffen sie eher ein, wenn eine Versuchsleiterin von einem vermeintlichen Ex-Freund belästigt wurde.
Die Folgerung liegt nahe: Wenn bereits ganz normale Spiele so erfolgreich sind, was wäre da wohl möglich, wenn man mit wissenschaftlicher Expertise gezielt Spiele für Training und Therapie entwickeln würde? Aus diesem Grund plädieren Daphne Bavelier und Richard Davidson in ihrem Nature-Kommentar für eine überlegte Strategie: Spieledesigner und Neurowissenschaftler sollten gezielt zusammenarbeiten, um die Auswirkungen unterschiedlicher Spiele auf das Gehirn zu erforschen. Dabei müssten die Forscher ihre Scheu vor der Spieleindustrie verlieren und in den Unternehmen selbst mitarbeiten. Und die Entwickler therapeutischer Spiele müssten ähnlich wie im pharmakologischen Bereich Routinen entwickeln, wie man ihre Produkte testet und auf den Markt bringt. Denn trotz der neuen Begeisterung für die guten Spiele dürfe man nicht die bekannten Nebenwirkung übermäßigen Computerspielkonsums ignorieren: gesteigerte Aggressivität, Aufmerksamkeitsstörungen und all die anderen Nachteile der am Bildschirm vernichteten Lebenszeit.
Erst dann kann man vielleicht über die Utopien von Jane McGonigal nachdenken, die hofft, dass auch Halo3-Killer schon bald mithilfe neuer Online-Spiele Lösungen für den Hunger und den Weltfrieden suchen. Allerdings scheinen die Gamer im Moment noch ein kleines Werteproblem zu haben, wie die Autorin erstaunlich unbefangen in ihrem Buch notiert. Auf die Frage, was für ein Ziel man denn nun nach der Feier der zehn Milliarden Alien-Kills angehen soll, schreibt ein Spieler im Forum: 'Also, auf zu den hundert Milliarden!'