Sie will zusammenbringen, was nicht zusammenpasst, und enttäuscht dabei Konservative wie Liberale. Ein Besuch bei der jemenitischen Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman, die unermüdlich für Demokratie in ihrem Land kämpft.
Sanaa - Vor ihrem Büro in einer stillen Straße in Jemens Hauptstadt Sanaa steht ein Polizeiauto. 'Oh, sollen wir verhaftet werden?', spottet Tawakkul Karman. Dass die Beamten sie schützen, kommt ihr nicht in den Sinn. Im Herbst 2011 hat Karman - Journalistin, Bürgerrechtlerin, Islamistin, oft verhaftet, nie gebrochen - für ihren Kampf für die Demokratie den Friedensnobelpreis bekommen. Frieden hat seither weder der Jemen gefunden noch sie selbst. Radikale Frömmler hetzten, der Preis sei eine Auszeichnung des Westens für jüdische Kollaborateure. Sie wird bedroht, auch ihre Familie. Und ignoriert es.
Die jemenitische Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman kämpft unermüdlich für Demokratie in ihrem Land.
70 Prozent der Frauen im Jemen tragen den Niqab, den schwarzen Gesichtsschleier, Tawakkul Karman aber eines ihrer regenbogenbunten Kopftücher. Zwei Jahre ist es her, da zog sie gegen den Dauerpräsidenten Ali Abdullah Saleh auf die Straße, vor einem Jahr übergab Saleh die Macht - nach 33 Jahren - an seinen Vize Abd Rabbu Mansur Hadi. Wer regiert Jemen heute? 'Das alte Regime', sagt Karman nüchtern. Saleh ist bis heute Chef der Partei GPC (Allgemeiner Volkskongress), und diese stellt auch heute noch Minister in der Übergangsregierung. Vor wenigen Tagen ließ er Zehntausende Anhänger vor der Saleh-Moschee in Sanaa aufmarschieren. Es war sein erster Auftritt nach 18 Monaten. 'Das bringt mich in Rage', sagt Karman: 'Wir wollen nach vorn schauen, aber er zerrt uns zurück in die Vergangenheit.'
Die internationale Gemeinschaft, darunter der Golfkooperationsrat, hatten Saleh Straffreiheit gewährt für die friedliche Machtübergabe: Das 'jemenitische Modell' wurde auch für andere Länder in Aufruhr diskutiert, etwa Syrien. Karman sieht die Schattenseiten: 'Die Immunität war ein Riesenfehler, denn jetzt kann er seine politischen Spiele spielen.' Jüngst erst habe der UN-Sicherheitsrat mit Sanktionen gedroht, sollte Saleh den politischen Prozess behindern. 'Diese Kundgebung war so ein Hindernis.' Saleh nehme Rache an seinem Volk, unterbreche Stromleitungen, zerstöre Pipelines, unterstütze bewaffnete Gruppen wie al-Qaida - das Terrornetzwerk ist im Jemen wie in kaum einem anderen Land. Der Beweis? 'Saleh hat behauptet, dass er al-Qaida bekämpft. In Wahrheit haben seine Sicherheitsoffiziere die Terroristen geführt. Er hat ihnen das Land überlassen, damit sie ihr Kalifat errichten können.' Präsident Hadi aber habe al-Qaida aus Städten wie Abjan und Schabwa verjagen können. Andererseits lobt Hadi die US-Drohnen, die bei der Anti-Terror-Jagd immer wieder Zivilisten treffen. Karman dagegen sagt: 'Niemand darf ohne Gerichtsbeschluss getötet werden. Al-Qaida ist mehr ein wirtschaftliches und politisches Problem als ein militärisches.'
Wie viele Jemeniten setzt auch sie große Hoffnungen auf den Nationalen Dialog, eine Konferenz, die vom 18. März an für sechs Monate alle widerstreitenden Kräfte versammeln wird, und die vieles sein soll: Konfliktmanagement, politische Therapie, Grundlage für ein künftiges Staatswesen. Karman gehört dem Komitee an, das den Dialog vorbereitet. Scheitere dieser, drohe ein Krieg, sagt sie. Zugleich warnt sie vor einer Schaufensterveranstaltung. Drei Bedingungen müssten erfüllt werden: 'Saleh muss den Vorsitz seiner Partei abgeben und seine Straffreiheit verlieren. Und Präsident Hadi muss die Armee vereinen.' Zwar hat Hadi eine Umstrukturierung der Streitkräfte verkündet. Aber bis heute kontrolliert Salehs Sohn die mächtigen Republikanischen Garden und Salehs Widersacher General Ali Mohsen al-Ahmar die Erste Gepanzerte Division: Die Armee ist geteilt, die Truppen der Widersacher kontrollieren verschiedene Viertel der Hauptstadt, ergänzt um die Männer der mächtigen Al-Ahmar-Familie (die mit dem abtrünnigen General nicht verwandt ist). Die alten Eliten, früher vereint, heute verfeindet, versuchen sich in Schach zu halten.
Aber so muss der Nationale Dialog scheitern. Die Unabhängigkeitsbewegung im Süden, 'Hirak' fühlt sich unterdrückt, sie ist seit dem Sturz Salehs lauter geworden. Die Wut gipfelte in Protesten, bei denen vier Menschen gestorben sind. Hirak wird am Dialog wohl kaum teilnehmen. Die Radikalsten drohten mit bewaffnetem Widerstand. Im Norden kontrollieren die schiitischen Huthi ganze Landstriche. Beobachter vergleichen sie mit der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah. Auch sie misstrauen dem nationalen Dialog, weil sie ihn für eine Veranstaltung ihrer Gegner in Sanaa halten. Tawakkul Karman weiß das: 'Wir wollen, dass sich diese Gruppen in politische Parteien verwandeln', sagt sie: 'Aber die Huthis im Norden und ein kleiner bewaffneter Zweig der Separatisten im Süden werden von Iran aufgestachelt und ausgerüstet.' Aber auch Saudi-Arabien und Katar, die reichen sunnitischen Nachbarn, ziehen die Fäden. Der Jemen zahle den Preis für den versteckten Krieg zwischen dem schiitischen Iran und den sunnitischen Golfstaaten, sagt Karman.
Demokraten werfen ihr vor, im Umgang mit Saudi-Arabien zu nachsichtig zu sein. Das sunnitische Königreich gilt als Förderer ihrer Partei, der islamistischen Islah, zu der Pragmatiker wie sie selbst zählen und der mächtige Al-Ahmar-Clan, aber eben auch der rotbärtige Krawall-Scheich Abdel Majid al-Sindani, der in Amerika auf der Terrorliste steht. Am Freitag blockieren Tausende Islah-Mitglieder eine zentrale Straße in Sanaa. Manche Jemeniten halten Islah, derzeit Teil der Koalitionsregierung, für genauso machtgierig wie Salehs einstige Regierungspartei. Tawakkul Karman gibt sich pragmatisch: 'Unsere Parteien sind so schwach. Wir müssen sie von innen verändern, anstatt sie zu schwächen.'
Junge Jemeniten, die sie während des Aufruhrs erlebten, sagen, sie sei diplomatischer als früher. Aber sie bringt vieles zusammen, was nicht zusammen passt, und enttäuscht Konservative wie Liberale. Karman habe den Friedensnobelpreis bekommen, weil sie für die Rechte der Frauen kämpfe, aber wolle sich nicht 'Feministin' nennen, ereifert sich eine junge Jemenitin: 'Dann soll sie den Preis zurückgeben!' Tatsächlich ist dies die einzige Frage, die Tawakkul Karman ins Stocken bringt. 'Eine Feministin? Nein, ich bin ein Mensch.'
Sanaa - Vor ihrem Büro in einer stillen Straße in Jemens Hauptstadt Sanaa steht ein Polizeiauto. 'Oh, sollen wir verhaftet werden?', spottet Tawakkul Karman. Dass die Beamten sie schützen, kommt ihr nicht in den Sinn. Im Herbst 2011 hat Karman - Journalistin, Bürgerrechtlerin, Islamistin, oft verhaftet, nie gebrochen - für ihren Kampf für die Demokratie den Friedensnobelpreis bekommen. Frieden hat seither weder der Jemen gefunden noch sie selbst. Radikale Frömmler hetzten, der Preis sei eine Auszeichnung des Westens für jüdische Kollaborateure. Sie wird bedroht, auch ihre Familie. Und ignoriert es.
Die jemenitische Friedensnobelpreisträgerin Tawakkul Karman kämpft unermüdlich für Demokratie in ihrem Land.
70 Prozent der Frauen im Jemen tragen den Niqab, den schwarzen Gesichtsschleier, Tawakkul Karman aber eines ihrer regenbogenbunten Kopftücher. Zwei Jahre ist es her, da zog sie gegen den Dauerpräsidenten Ali Abdullah Saleh auf die Straße, vor einem Jahr übergab Saleh die Macht - nach 33 Jahren - an seinen Vize Abd Rabbu Mansur Hadi. Wer regiert Jemen heute? 'Das alte Regime', sagt Karman nüchtern. Saleh ist bis heute Chef der Partei GPC (Allgemeiner Volkskongress), und diese stellt auch heute noch Minister in der Übergangsregierung. Vor wenigen Tagen ließ er Zehntausende Anhänger vor der Saleh-Moschee in Sanaa aufmarschieren. Es war sein erster Auftritt nach 18 Monaten. 'Das bringt mich in Rage', sagt Karman: 'Wir wollen nach vorn schauen, aber er zerrt uns zurück in die Vergangenheit.'
Die internationale Gemeinschaft, darunter der Golfkooperationsrat, hatten Saleh Straffreiheit gewährt für die friedliche Machtübergabe: Das 'jemenitische Modell' wurde auch für andere Länder in Aufruhr diskutiert, etwa Syrien. Karman sieht die Schattenseiten: 'Die Immunität war ein Riesenfehler, denn jetzt kann er seine politischen Spiele spielen.' Jüngst erst habe der UN-Sicherheitsrat mit Sanktionen gedroht, sollte Saleh den politischen Prozess behindern. 'Diese Kundgebung war so ein Hindernis.' Saleh nehme Rache an seinem Volk, unterbreche Stromleitungen, zerstöre Pipelines, unterstütze bewaffnete Gruppen wie al-Qaida - das Terrornetzwerk ist im Jemen wie in kaum einem anderen Land. Der Beweis? 'Saleh hat behauptet, dass er al-Qaida bekämpft. In Wahrheit haben seine Sicherheitsoffiziere die Terroristen geführt. Er hat ihnen das Land überlassen, damit sie ihr Kalifat errichten können.' Präsident Hadi aber habe al-Qaida aus Städten wie Abjan und Schabwa verjagen können. Andererseits lobt Hadi die US-Drohnen, die bei der Anti-Terror-Jagd immer wieder Zivilisten treffen. Karman dagegen sagt: 'Niemand darf ohne Gerichtsbeschluss getötet werden. Al-Qaida ist mehr ein wirtschaftliches und politisches Problem als ein militärisches.'
Wie viele Jemeniten setzt auch sie große Hoffnungen auf den Nationalen Dialog, eine Konferenz, die vom 18. März an für sechs Monate alle widerstreitenden Kräfte versammeln wird, und die vieles sein soll: Konfliktmanagement, politische Therapie, Grundlage für ein künftiges Staatswesen. Karman gehört dem Komitee an, das den Dialog vorbereitet. Scheitere dieser, drohe ein Krieg, sagt sie. Zugleich warnt sie vor einer Schaufensterveranstaltung. Drei Bedingungen müssten erfüllt werden: 'Saleh muss den Vorsitz seiner Partei abgeben und seine Straffreiheit verlieren. Und Präsident Hadi muss die Armee vereinen.' Zwar hat Hadi eine Umstrukturierung der Streitkräfte verkündet. Aber bis heute kontrolliert Salehs Sohn die mächtigen Republikanischen Garden und Salehs Widersacher General Ali Mohsen al-Ahmar die Erste Gepanzerte Division: Die Armee ist geteilt, die Truppen der Widersacher kontrollieren verschiedene Viertel der Hauptstadt, ergänzt um die Männer der mächtigen Al-Ahmar-Familie (die mit dem abtrünnigen General nicht verwandt ist). Die alten Eliten, früher vereint, heute verfeindet, versuchen sich in Schach zu halten.
Aber so muss der Nationale Dialog scheitern. Die Unabhängigkeitsbewegung im Süden, 'Hirak' fühlt sich unterdrückt, sie ist seit dem Sturz Salehs lauter geworden. Die Wut gipfelte in Protesten, bei denen vier Menschen gestorben sind. Hirak wird am Dialog wohl kaum teilnehmen. Die Radikalsten drohten mit bewaffnetem Widerstand. Im Norden kontrollieren die schiitischen Huthi ganze Landstriche. Beobachter vergleichen sie mit der libanesischen Schiitenmiliz Hisbollah. Auch sie misstrauen dem nationalen Dialog, weil sie ihn für eine Veranstaltung ihrer Gegner in Sanaa halten. Tawakkul Karman weiß das: 'Wir wollen, dass sich diese Gruppen in politische Parteien verwandeln', sagt sie: 'Aber die Huthis im Norden und ein kleiner bewaffneter Zweig der Separatisten im Süden werden von Iran aufgestachelt und ausgerüstet.' Aber auch Saudi-Arabien und Katar, die reichen sunnitischen Nachbarn, ziehen die Fäden. Der Jemen zahle den Preis für den versteckten Krieg zwischen dem schiitischen Iran und den sunnitischen Golfstaaten, sagt Karman.
Demokraten werfen ihr vor, im Umgang mit Saudi-Arabien zu nachsichtig zu sein. Das sunnitische Königreich gilt als Förderer ihrer Partei, der islamistischen Islah, zu der Pragmatiker wie sie selbst zählen und der mächtige Al-Ahmar-Clan, aber eben auch der rotbärtige Krawall-Scheich Abdel Majid al-Sindani, der in Amerika auf der Terrorliste steht. Am Freitag blockieren Tausende Islah-Mitglieder eine zentrale Straße in Sanaa. Manche Jemeniten halten Islah, derzeit Teil der Koalitionsregierung, für genauso machtgierig wie Salehs einstige Regierungspartei. Tawakkul Karman gibt sich pragmatisch: 'Unsere Parteien sind so schwach. Wir müssen sie von innen verändern, anstatt sie zu schwächen.'
Junge Jemeniten, die sie während des Aufruhrs erlebten, sagen, sie sei diplomatischer als früher. Aber sie bringt vieles zusammen, was nicht zusammen passt, und enttäuscht Konservative wie Liberale. Karman habe den Friedensnobelpreis bekommen, weil sie für die Rechte der Frauen kämpfe, aber wolle sich nicht 'Feministin' nennen, ereifert sich eine junge Jemenitin: 'Dann soll sie den Preis zurückgeben!' Tatsächlich ist dies die einzige Frage, die Tawakkul Karman ins Stocken bringt. 'Eine Feministin? Nein, ich bin ein Mensch.'